Über Ostern war ich in einer Hirtenhütte auf Korsika. Ein kleines Steinhaus ohne Komfort mitten in der Pampa mit Blick auf Berge und Meer – das könne ja nur erholsam und romantisch sein, dachte ich. Doch ich hatte nicht mit den Stressfaktoren gerechnet, die die Natur so bietet.

Die Hirtenhütte selbst war tatsächlich noch so ganz im Hirtenstil. Und hier und da auf Korsika gibt es auch noch Hirten. Jetzt ist es aber so, dass der Korse nicht mehr nur von der Schafzucht allein lebt, durch die saftigen Hügel wandelt, seine traurigen Lieder anstimmt und einsam Schäferstündchen hält. Sondern weil sich auch der Korse weiterentwickelt und geschäftig von A nach B saust, braucht er auch eine entsprechende Infrastruktur. So waren von der Hütte aus die auf- und absteigenden Flugzeuge und die vorbeirasenden Autos zu hören. Und da der moderne Korse nicht nur geschäftig, sondern auch geschäftstüchtig ist, baut er heute statt Hütten moderne Villen – auch um die Hütte herum. Was der Hütte nicht nur die romantische Atmosphäre, sondern mir auch schlicht die Weitsicht nahm. Und im Umkehrschluss konnte ich natürlich von den Nachbarn beobachtet werden. Was eh schon nicht so schön ist, aber da die Hütte kein Bad hat und ich im Freien duschen und pinkeln musste, war es erst recht unangenehm.

Als eigentliches Problem an den Villen stellte sich aber heraus, dass zu jedem Anwesen mindestens zwei Hunde gehörten, wovon mindestens einer groß und schwarz und nicht angeleint war. Das macht es besonders deswegen brenzlig, weil auf Korsika die Grundstücksgrenzen – zumindest für mich – nicht klar erkennbar sind. Da aber Hunde sehr wohl ihre Reviere markieren, blieb mir unklar, wie weit ich mich vorwagen konnte. Ein Fehltritt und einer der Hunde hätte mir – aus seiner Sicht vollkommen zurecht – in die Wade gezwickt. Was das Mindeste gewesen wäre. Anderes, etwa das Zerfleischen meiner Arme, Beine oder Durchbeißen meiner Kehle, mochte ich mir gar nicht erst ausmalen. Und noch hinzukam, dass ich mir die verzweifelten Versuche eines Nachbarn, seinen Hund zu zähmen, anhören musste. Was mich wiederum verzweifeln ließ, da jeder weiß, dass der Hund an sich eigentlich ein gezähmter Wolf und somit – rückwärts gerechnet – ungezähmte Hunde Wölfe sind. Tja, da hatte ich es also mit Wölfen zu tun! Und da ich ein ziemlicher Hasenfuß bin und meine Fantasie nicht immer im Griff habe, erst recht nicht in unvertrauter Umgebung und im Dunkeln, kam ich vom Wolf schnell zum Werwolf. Und damit war dann ziemlich schnell Schluss mit der Romantik in der Pampa, erst recht im Dunkeln. So habe ich also nicht des Nachts vor der Hütte im Mondschein gesessen, sondern mich mucksmäuschenstill in eine Hüttenecke gedrückt und die Stunden bis zum Morgengrauen gezählt.

Hinzu kam noch, dass mitten durch mein Grundstück ein elektrischer Zaun ging, damit irgendwer hier seine Pferde und Kühe weiden lassen konnte. Jedes Mal, wenn ich Holz für das romantische Kaminfeuer holen wollte, musste ich also ganz unromantisch unter dem Zaun herkriechen, was mir erstens die Angst vor einem elektrischen Schlag versetzt hat und ich mich zweitens den besagten Kühen und Pferden aussetzen musste, vor denen ich wie vor allen Tieren Angst habe.

Und dann war da noch der Taxifahrer, den ich auf der Herfahrt sehr verärgert hatte. Ich war natürlich im Recht, da er mich für total bescheuert erklärt hatte, weil ich keine Adresse und Telefonnummer zu dem Haus nennen konnte. Er wollte nicht einsehen, dass das alles sehr, sehr klein wäre, wo ich hinwolle, die Hütte, der Weg, der Bach, die Brücke und sowieso der Weg dorthin. Weil er davon überzeugt war, dass er sich auf Korsika besser auskenne als ich, verlor er schnell Geduld und Nerven und wiederholte, wie blöd und debil ich doch sei. Als mir das Latein beziehungsweise Französisch ausging, konterte ich mit „Idiot“, woraufhin ich aus dem Taxi flog. Was ich zunächst nicht schlimm fand, da ich sogleich die Hütte gefunden habe und dem Taxifahrer kein Geld zahlen durfte, weil er so sauer war. Aber später fragte ich mich, wie weit der korsische Mann in der Rettung seiner Ehre wohl gehen würde, wenn man ihn als Frau zum Idioten erklärt. So lauerte ich bei jedem Knacken und Knistern darauf, ob da wohl ein Hund, Wolf, Werwolf oder der Taxifahrer käme, um mich zu zerfleischen, die anderen unbekannten Wesen, die es auf Korsika noch geben möge, nicht eingerechnet.

Aber abgesehen davon war es wirklich ganz romantisch, erholsam und wunderschön. Gerne fahre ich wieder hin, dann aber in Begleitung eines mutigen, starken und bewaffneten Mannes.

Julia Siebert

11/04/08

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