Zwei Monate lang war eine Gruppe junger Erwachsener aus den deutschsprachigen Gemeinden Wolkendorf und Heltau in Rumänien mit dem Kleinbus auf der Seidenstraße unterwegs, um evangelische Gemeinden im Jahr der Reformation zu besuchen. Im letzten Teil der Reihe nimmt uns Pfarrer Uwe Seidner mit auf die Rückreise, die von China über Sibirien nach Rumänien führte.

Wir ließen die verbotene Stadt, den Platz des himmlischen Friedens, die chinesische Mauer und Pekings Wolkenkratzer hinter uns und traten den langen Heimweg an. In Ulan Bator hatten wir unseren VW-Bus stehen lassen müssen, den wir nun wieder abholten. Damit ging es weiter in die Russische Föderation.

Wir durchquerten Burjatien in Richtung Baikalsee. In der nach den Burjaten benannten Republik machen diese jedoch gerade einmal ein Drittel der Bevölkerung aus. Viele bekennen sich zum Buddhismus, doch auch der Schamanismus spielt eine große Rolle im Glaubensleben der Burjaten.

Sibirischer Buddhismus

Ganz in der Nähe der Hauptstadt Ulan Ude befindet sich eines der größten buddhistischen Klöster Russlands: Iwolginski Dazan. Im Jahr 2002 wurde die Leiche eines Hambo-Lamas hierhin überführt. Die Legende besagt, dass sich der Mönch in einen meditativen Zustand versetzte, in welchem er 1927 verstarb. Der einbalsamierte Leichnam befindet sich auch heute noch in dieser meditativen Stellung und ist in einer Vitrine in einem Tempel der Klosteranlage untergebracht.

Nur buddhistischen Pilgern ist es erlaubt, diesen Raum zu betreten. Dem wachhabenden Mönch erzählten wir, wir seien ebenfalls eine Art Pilger zu Glaubensgeschwistern entlang der Seidenstraße. Tatsächlich machte er eine Ausnahme, sodass wir das Heiligtum betreten durften, um zu meditieren.

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Erntedankfest am Baikalsee

Ähnlich wie in Zentralasien siedelten bereits im 19. Jahrhundert Deutsche in dem Gebiet. Unter Stalin wurden weitere Deutschstämmige nach Sibirien deportiert. Nach dem Ende der Sowjetunion lebte auch hier das evangelische Gemeindeleben wieder auf: 1992 wurde die Evangelisch-Lutherische Kirche im Ural, in Sibirien und im Ferner Osten (ELKUSFO) gegründet. Sie ist flächenmäßig die größte lutherische Kirche der Welt. Der Bischofssitz befindet sich in Omsk. Die entferntesten Gemeinden sind in Wladiwostok, Magadan und auf der Insel Sachalin.

Nicht weit vom Baikalsee entfernt, befindet sich die Kleinstadt Schelechow, wo es eine kleine evangelische Gemeinde gibt. Hier feierten wir am 1. Oktober das Erntedankfest zusammen mit Pastor Thomas Graf Grote. In seiner Predigt dankte er für all das, was er im vergangenen Jahr erleben durfte. Nach dem Gottesdienst gab es noch eine gemeinsame Mittagsjause mit den Glaubensgeschwistern.

Thomas Graf Grote war als Forstunternehmer nach Irkutsk gekommen, um Holz nach Deutschland zu exportieren. Im fernen Sibirien entdeckte er seine Berufung zum Pastor und dient nun seit Jahren der Gemeinde in Irkutsk. In Schelechow wurde in den 1990ern eine Pfandfindergemeinde gegründet. Heute bemüht sich die Gemeinde vor allem um Projekte im sozialen Bereich. So gibt es zum Beispiel Unterricht und Angebote für Kinder mit Down-Syndrom, die in Russland stark marginalisiert werden.

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Zeichen der Solidarität

Die Hauptverkehrsroute in den europäischen Teil Russlands verläuft durch Südsibirien. Entlang dieser Route befinden sich mit die größten Städte Sibiriens: Krasnojarsk, Nowosibirsk, Omsk, Tscheljabinsk. In all diesen Städten gibt es kleine evangelische Gemeinden. Die meisten von ihnen haben wir besucht.

Wir begegneten Menschen, feierten Andachten und Gottesdienste oder unternahmen etwas mit den Gemeindemitgliedern. All diese warmherzigen Begegnungen vermittelten uns ein angenehmes Gefühl. Die Menschen freuten sich über unseren Besuch als Zeichen der Solidarität im Jahr der Reformation. Sie wollen auch in Sibirien nicht in Vergessenheit geraten.

In Krasnojarsk, der Geburtsstadt von Helene Fischer, trafen wir Pastor Gleb Piwowarow. Der junge Pastor hat vor kurzem das Studium im theologischen Seminar von Nowosaratowka bei Sankt Petersburg abgeschlossen und bemüht sich nun um den Gemeindeaufbau. So will er das aktuelle Bethaus zu einer Kirche ausbauen.

Bei Gleb fiel uns die evangelikale Art auf, die uns sonst nur aus der Freikirche bekannt und ungewohnt ist. Er bemüht sich, Leute für die Gemeinde anzuwerben: Er verteilt Faltblätter in der Universität mit Evangelisationsangeboten; es werden junge Leute zu Sportaktivitäten eingeladen und mit einer Gruppe trifft er sich regelmäßig in einem Café in der Innenstadt zu Bibelgesprächen.

Die Gemeinde in Nowosibirsk ist hingegen konservativer. Das Gemeindeleben findet noch in deutscher Sprache statt. Im Bethaus trafen wir uns mit den Damen aus der Gemeinde und hielten eine Andacht.

Wir erreichten den Bischofssitz in Omsk. 1994 wurde das Christuskirchen-Zentrum eingeweiht. Das mit einem Architektenpreis gekrönte Backstein-Bauwerk gehörte zu den ersten Kirchenneubauten in Russland nach der Oktoberrevolution. Die evangelische Landeskirche in Hannover ist die Partnerkirche der ELKUSFO. Sie unterstützt den Erhalt dieses Zentrums, das auch mit deutschen Geldern erbaut wurde.

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Schwester Luise

Zu Besuch bei der deutschsprachigen Gemeinde in Omsk. | Foto: Autor

Alexander Scheiermann ist seit April der Bischof in Omsk. Zuvor diente er als Pastor in Saratow an der Wolga. Er gehört zu den Rückkehrern aus Deutschland. Pfarrer Eugen Filippow lud zur Bibelstunde ein. Wir erzählten den Teilnehmern über unsere Heimat und von unseren Erlebnissen. Es war wohl eine seiner längsten Bibelstunden, meinte der Pfarrer anschließend zu uns.

Schwester Luise aus Deutschland kommt jedes Jahr über die Wintermonate nach Omsk. Sie besucht von hier aus Menschen in entfernten Gemeinden, um mit ihnen Bibelstunden und Gottesdienste zu feiern. Dafür eignet sich der Winter am besten, wenn die sumpfigen Straßen zugefroren sind und ein Durchkommen möglich ist. Wir besuchten mit Schwester Luise sibirische Dorfgemeinden, wo heute noch Deutsche leben. Südlich vom Omsk liegt der „Deutsche Nationalrayon Asowo“.

Ab 1893 gründeten russlanddeutsche Umsiedler aus dem europäischen Teil des russischen Zarenreichs in dieser Gegend mehrere Dörfer, in denen die deutsche Sprache und Kultur bis in die 1990er Jahre weitergegeben wurde und dadurch erhalten geblieben ist. Durch die Auswanderungswelle sind heute nur noch etwa 4.500 Deutsche übrig. Für uns war es ein uriges Gefühl, mitten in Sibirien einen hessischen Dialekt zu hören. Die Leute freuten sich sehr über unseren Besuch und immer wieder betonten sie, dass der liebe Gott sie durch die schweren Zeiten hindurch begleitet hat. Dafür dankten wir ihm in gemeinsamen Gebeten.

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Brüdertradition

In Omsk findet jeden Sonntag ein deutschsprachiger Gottesdienst um 10 Uhr statt, ein weiterer in russischer Sprache wird um 14 Uhr abgehalten. Damit nimmt man einerseits Rücksicht auf die deutsche Vergangenheit und die Traditionen der Gemeinde, anderseits eröffnet es auch denjenigen den Zugang zur Gemeinde, die nicht deutsch sprechen, aber dennoch im evangelischen Glauben eine Heimat gefunden haben.

Ich durfte die Predigt im Gottesdienst halten. Die Gemeinde blickt auf eine Brüdertradition zurück, also wurde das Abendmahl von einem der Brüder eingeleitet. Als in den schweren Zeiten der Verfolgung das kirchliche Leben verboten war, waren es gläubige und mutige Brüder, die die Verantwortung übernahmen und im Verborgenen ihre Gottesdienste hielten. Bischof Scheiermann, der während unseres Aufenthaltes viel Zeit mit uns verbrachte, hat durch seine warmherzige Art dazu beigetragen, dass wir uns in Omsk sehr wohlfühlten.

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Wieder zuhause

Kurz nach unserem Besuch in Moskau stand dort ein wichtiges Ereignis an: der Besuch des deutschen Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier. Fast acht Jahrzehnte nach der Enteignung durch Josef Stalin hat der russische Staat die Moskauer Kathedrale St. Peter und Paul an die evangelisch-lutherische Kirche Russlands zurückgegeben. Nun erwartete man den deutschen Staatspräsidenten zu feierlichen Zeremonien in dem Gotteshaus.

In Moskau trafen wir auch Bischof Dietrich Brauer, geistlicher Führer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland, der Ukraine, in Kasachstan und Zentralasien, ebenso wie den Wolkendorfer Adolf Becker, der unsere Reise durch Russland organisatorisch tatkräftig unterstützt hatte.

Von der russischen Hauptstadt aus trennten uns nur noch zwei Reisetage von zuhause. Das große „Reformationsabenteuer“ näherte sich seinem Ende. Jeder der jungen Mitreisenden hat einen Koffer voller Erlebnisse mitgebracht. Dankbar erinnern wir uns an all die Menschen in den Gemeinden, mit denen wir Zeit verbringen und die Reformation feiern durften.

Ganz herzlich bedanken wir uns bei allen, die zu dem Erfolg dieses Projektes beigetragen haben und nie an seinem Sinn gezweifelt haben. Wir danken insbesondere unserer Kirchenleitung und unseren Förderern: dem Martin-Luther-Bund, dem Gustav-Adolf-Werk, dem Bayrischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales und Familie über das Haus des Deutschen Ostens, der Österreichischen Landsmannschaft, der Kärntner Landlerhilfe und dem Hilfskomitee der Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben. Durch deren freundliche Unterstützung ist dieses Projekt erst möglich geworden.

Uwe Seidner

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