„RIA Nowosti“ zum Platz Putins im Geschichtsbuch:
„Putin hat begonnen an der Zukunft und für die Geschichtsschreibung zu arbeiten. Seine letzten Auftritte und Handlungen scheinen für die kommenden Jahre und gleichzeitig sein persönliches Renommee zu dienen. Weniger für seine aktuelle Bewertung, die sich ständig ändern kann, sondern für die, die im Gedächtnis haften bleibt – bei den einfachen Bürgern, den Politikern und in der Statistik. Putin sucht eine Antwort auf die Frage: Wie soll er gehen, um zu bleiben? Das aber nicht in dem Sinne, wie es heute von Politologen diskutiert wird. Er konzentriert sich auf einige Richtungen, und man kann ihm nicht vorwerfen, dass er etwas äußerst Wichtiges vergessen hätte. Erstens – die postsowjetischen Nachbarn. Wenn auch auf der Ebene der Rhetorik anscheinend viel im Verhältnis zu den ehemaligen Unionsrepubliken erhalten geblieben ist, so kommt man auf der Ebene der Taten nicht umhin, zuzugeben, dass sich nach dem „ukrainischen Krach“ die Beziehungen geändert haben. Mit Kirgisien und Kasachstan, ja selbst mit Georgien und der Ukraine wird in einem ruhigeren Ton gesprochen. Ob etwa die Erkenntnis gekommen ist, dass „etwas übers Knie zu brechen“ nicht produktiv ist, oder ob das die Folge russischer Niederlagen ist, ist eine zweitrangige Frage. Es ist jedenfalls Fakt, dass sich Tonfall und Kommentare geändert haben. Mehr noch, die GUS kann zum Thema des kommenden G8-Gipfels werden, der 2006 in Russland stattfinden wird. Vor Monaten hätte man kaum gewagt, daran zu denken. Jetzt ist Moskau bereit, die GUS von den Großen der Welt diskutieren zu lassen. Zweitens – die Armee. Im letzen Monat hat sich Putin Versorgungsfragen und dem Kaderproblem zugewandt. Wobei er offensichtlich den technischen Zustand und die Gefahr einer neuen Kursk-Tragödie im Kopf hatte. Daher Kommandowechsel, zum Teil unübersehbar und teils weniger auffällig. Daher auch seine Anwesenheit bei verschiedenen Übungen. Weniger beachtet bisher seine Erklärung, dass keine Studenten mehr eingezogen würden. Ebenso die Absicht, die Zahl der zum Grundwehrdienst Einberufenen zu kürzen. Putin könnte gar in die Geschichte eingehen als der Mann, unter dem der Grundwehrdienst um die Hälfte reduziert wurde und unter dem Grundlagen für eine Berufsarmee geschaffen wurden – nach russischen Maßstäben ein Grund, um ihm ein Denkmal zu errichten. Drittens – die Stellung in der Welt. Ob nun aus Ohnmacht heraus, das Land zu einem Qualitätssprung nach vorn zwingen zu können, oder aus dem pragmatischen Verständnis, dass es besser sei, keine anderen Wirtschaftssektoren zu erschüttern, hat sich Putin auf die Energie konzentriert. Das aber im Großmaßstab. Es entsteht der Eindruck, dass er Projekte anbahnt, die in Jahren Realität werden. Hierzu passen die jüngsten Dokumente, die er in Deutschland unterzeichnete, die Wiederaufnahme von Verhandlungen mit Unternehmen wie BP und Shell sowie seine Treffen mit der arabischen Welt. Stabile Lieferungen von Energie sichern einen Zustrom von Geld ins Land, selbst dann, wenn früher oder später die Erdölpreise fallen. Schließlich kommt noch hinzu, dass die Menschen einen leichten wirtschaftlichen Aufschwung und die Montagelinien neuer Automobile „betasten“ können. Wenn berichtet wird, dass Russland unter Putin mit der Fertigung von „Fords“ und „Toyotas“ beginnt, ist das für ihn nicht schlecht. Sei es nun für die Geschichtsbücher oder einfach für die heutige Generation – aber auch das ist schon ein Verdienst. Man kann noch die große Politik hinzufügen: die Aktivierung der Beziehungen zu China oder die Zugeständnisse – auch wenn sie nicht immer sichtbar sind – gegenüber den USA.

(„RIA Nowosti“, 15. September, Moskau)

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