Identität durch Sprache – weil viele Angehörige der deutschen Minderheit kein Deutsch sprechen können, hat die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in Kooperation mit der Wiedergeburt neue Sprachlernkonzepte entworfen. So lernen die Kleinen die deutsche Sprache beim Theaterspielen kennen.

/Bild: Vinzenz Greiner. ‚Probe für das Stück „Die Waldschule“ – einer der Hasenschüler passt nicht auf und wird fast von einem Fuchs gefressen.’/

Am frühen Nachmittag sind die Klassenzimmer und Flure des 118. Gymnasiums leer. Die Kinder nutzen ihre Freistunden, um nach Hause zu gehen. Hinter einer Tür ist jedoch Gemurmel zu hören. Es stammt von Viertklässlern, die zweimal pro Woche den Theater-Sprachzirkel von Nina Saugolnaja besuchen. Dort lernen sie spielerisch die deutsche Sprache und Traditionen kennen. Einen Lehrplan oder Hausaufgaben gibt es nicht. Der Sprachzirkel lebt genau davon, nicht im klassischen Sinne verschult zu sein. „Wenn wir ein Märchen aufführen möchten, lesen wir es gemeinsam und besprechen die Figuren. Zusammen entscheiden wir dann, welches Kind sich für welche Rolle eignet. Die Kinder basteln sogar teilweise ihre Kostüme selber“, sagt die 56-Jährige. Seit 2008 sind die Theatergruppen als Sprachzirkel institutionalisiert und erhalten von der Wiedergeburt finanzielle Unterstützung und Sachförderungen. In Kasachstan gibt es zehn solcher Sprachzirkel.

Die Kluft überwinden

Die zehnjährige Leila (links) liebt es zu basteln.

„Identität ist ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer nationalen Gruppe. Das geht über Herkunftsland, Geschichte, aber auch Sprache“, sagt Julia Haizewa, Koordinatorin der Spracharbeit im Dreiländerprogramm Kasachstan, Kirgisistan und Usbekistan. Das Programm, das Haizewa verwaltet, umfasst neben den eher thematisch ausgerichteten Sprachzirkeln auch Fortbildungen für Deutschlehrer und Angebote im Bereich der Erwachsenenbildung. Allen Teilbereichen des Projektes ist jedoch gemein, dass in deren Methodik Kommunikation die zentrale Rolle spielt; die Themen drehen sich insbesondere um Traditionen und Bräuche, die deutsche Küche, aber auch die Geschichte und das gemeinsame Schicksal der Russlanddeutschen. „Genau dies macht auch den Unterschied zu anderen Angeboten, wie zum Beispiel denen des Goethe Instituts aus. Wir begreifen Sprache als Identitätsmerkmal“, sagt Haizewa.

Die Sprachkurse, die für erwachsene Deutschlerner ausgelegt sind, arbeiten mit dem neuen Lehrwerk „Hallo Nachbarn“, das den Deutschen in Kasachstan helfen soll, die Kluft zu überwinden, die sie zwischen sich und dem Land ihrer Väter spüren. „In dem Lehrwerk werden zum Beispiel deutsche Dialekte und das „aktuelle“ Deutschland vorgestellt. So schlagen wir Brücken von den kasachstanischen Deutschen nach Deutschland“, erklärt Julia Haizewa. Diese landeskundlich angelegten Kurse belaufen sich auf 80 Unterrichtseinheiten pro Monat. Die Zahl der Teilnehmer geht allerdings leicht zurück. Weiter schlimm sei das nicht, denn gleichzeitig steige die Anzahl der Sprachzirkel, die von denselben Lehrkräften geführt würden, so Haizewa.

Die Deutschlehrer und –lehrerinnen können auch von der GTZ angebotene Fortbildung besuchen, auf denen sie neue Methodiken erlernen und sich zertifizieren lassen können. So soll gewährleistet werden, dass die Art der Lehre kommunikativer, der Inhalt kultur- und somit identitätsbezogener wird. Um die Lehre weiterzuentwickeln, arbeitet man aber auch mit den Nachbarn zusammen; so zum Beispiel in Sankt Petersburg mit dem Sprachdidaktischen Zentrum, welches unter anderem Sprachlager für Kinder organisiert. Von solchen Angeboten, die für die deutsche Minderheit gestaltet werden, sind Angehörige anderer Volksgruppen nicht ausgeschlossen. So gehören in den Kursen bis zu 60 Prozent der Teilnehmer einer anderen Minderheit an.

Deutsch lernen ohne Lehrbuch

Im Sprachzirkel von Nina Saugolnaja ist das nicht anders: „Von den gut 1.700 Schülern unseres Gymnasiums haben nur zehn einen deutschen Vater und sind somit nach kasachstanischem Recht Angehörige der deutschen Minderheit. Es wäre nicht nur unfair, ausschließlich für die zehn deutschen Schüler einen Zirkel anzubieten, wir würden uns ja auch ins eigene Fleisch schneiden. Denn unser Ziel ist es ja, mehr Kinder zum Deutschen zu bringen und wir brauchen diese Sprache ja auch“, sagt die Deutschlehrerin.

Nachdem die neun- bis zehnjährigen Kinder einen Tag zuvor ein Theaterstück aufgeführt haben, basteln sie heute. Natürlich nicht, ohne die dafür nötigen Vokabeln von Frau Saugolnaja zu lernen. „Basteln macht mir sehr viel Spaß“, sagt die zehnjährige Leila. Sie und ihre Nachbarin Jasmin lernen beide Deutsch, weil sie auch einmal nach Deutschland möchten und dafür ja die Sprache brauchen. Sie besuchen alle den Sprachzirkel freiwillig, um ihr Deutsch zu verbessern, das sie im normalen Unterricht am Gymnasium 118 erlernen.

Fast vom Fuchs gefressen

Für die 56-jährige Deutschlehrerin füllt der Sprachzirkel mittlerweile auch einen großen Teil ihrer Freizeit aus: Ist sie zuhause, näht sie Kostüme für die Theateraufführungen. „Wir machen auch im normalen Deutschunterricht bereits Sachen, die die Kinder am Jahresende oder am Tag der Fremdsprachen ihren Eltern präsentieren können“, sagt Nina Saugolnaja. Denn die anderen Kinder hätten auch gerne ein „Endprodukt“, wie die Theatergruppe. Etwa drei Mal im Jahr treten die Kleinen als Hasen, Igel, Waldfeen oder Prinzessinnen auf der Erbse auf. Nach der Bastelei proben sie heute gleich zwei Stücke: „Der Weihnachtsstern“ und „Die Waldschule“: Der kleine Hase, alias Wladimir Aljoschin, wäre beinahe von einem Fuchs gefressen worden, weil er nicht aufgepasst hat, als die Lehrerin in der Waldschule von den Gefahren des Waldes berichtete. Verschämt gibt er sich einsichtig: „Ich werde nie wieder in der Schule schlafen, sondern aufpassen.“

Von Vinzenz Greiner

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