An den Aralsee ist die Hoffnung zurückgekehrt – dank eines Staudamms in Kasachstan. Seit der Errichtung des von der Weltbank finanzierten Kok-Aral-Damms ist der Wasserspiegel des Aralsees um mehrere Meter angestiegen. Die Fischerei hat sich wieder zu einem lohnenden Geschäft entwickelt. Menschen, die ihre Heimat verlassen haben, kehren an den Aralsee zurück. Der Wermutstropfen: Das alles gilt nur für den nördlichen Kleinen Aral. Der größere Teil des Sees in Usbekistan ist endgültig verloren. / Foto: Edda Schlager /

Der Hafen von Aralsk. Staub hängt in der Luft. Eine Kuh trottet über salzverkrusteten Boden. Kinder spielen auf verrosteten Schiffswracks. Im Hafenbecken schwappt eine Pfütze dreckiger Brühe, mehr Öl als Wasser. Hier lag einst das Zentrum von Aralsk. Die Stadt selbst war eine florierende Hafenstadt, die vom Fischreichtum des Aralsees lebte. Das alles ist Jahrzehnte her. Seit den 60er Jahren ist die Fläche des Aralsees – einst das viertgrößte Binnenmeer der Erde – um zwei Drittel geschrumpft. Der einst von Wasser bedeckte Seeboden hat sich in eine Salzwüste verwandelt, verseucht mit Pestiziden aus dem Baumwollanbau. Heute weht der Wind den giftigen Staub hunderte Kilometer weit. Lungen- und Hautkrankheiten stehen rund um den Aralsee auf der Tagesordnung. Der ausgetrocknete Aralsee gilt als eine der größten von Menschen verursachten Umwelt-Katastrophen.

„Die Fischer sind fortgezogen“

„Wer soll denn hier noch fischen?“, fragt ein alter Kasache im Hafen von Aralsk. „Es gibt ja gar keine Fischer mehr. Früher haben die Leute von der Fischerei gelebt. Aber dann sind die Boote hier verrostet. Die Fischer sind fortgezogen.“ Dennoch. Etwas tut sich am Aralsee. Er habe gehört, der See käme zurück, sagt der Alte misstrauisch. Glauben könne er es noch nicht so richtig. Der Bürgermeister von Aralsk, Kulbai Danabai, dagegen ist sich sicher: „Ja, das Wasser kommt wieder“, sagt er. „Sehr bald sogar.“

An den Aralsee – das Aral-Meer, wie er hier genannt wird – ist die Hoffnung zurückgekehrt. Zumindest an den nördlichen, den Kleinen Aral, der in Kasachstan liegt. Mit Hilfe der Weltbank hatte Kasachstan vor zwei Jahren einen Staudamm gebaut, den Kok-Aral-Damm. Damit wird der Syrdaria, einer der beiden Zuflüsse des Aralsees, aufgestaut, und der Kleine Aral vom größeren Teil des Sees in Usbekistan getrennt.

65 Millionen Dollar kostete der Damm – ein insgesamt 13 Kilometer langes Bauwerk aus Stahl und Beton, das länger halten soll als seine beiden Vorgänger. Schon 1992 und 1996 hatte Kasachstan an derselben Stelle zwei Dämme gebaut. Beide brachen. Dank des neuen Kok-Aral-Damms ist der Wasserspiegel des nördlichen Aralsees nun schon um drei Meter angestiegen. An manchen Stellen hat sich die Uferlinie um 15 Kilometer landeinwärts verlagert.

„Mein ganzes Leben hat sich geändert, seit das Meer zurück ist“

Etwa 120 Kilometer südlich von Aralsk ist von der Tristesse der ausgestorbenen Hafenstadt nichts mehr zu spüren. Hier am Kok-Aral-Damm rauscht das Wasser über ein geöffnetes Wehr fünf Meter in die Tiefe und fließt durch einen etwa 40 Meter breiten Kanal in Richtung Usbekistan, in den Großen Aralsee.

Unterhalb der Staumauer, auf der Südseite, sind Dutzende Fischer mit ihren Booten unterwegs. Am Abend sammeln sich die Brigaden aus den Dörfern und bereiten ihre Netze für den nächtlichen Fischzug vor. Einen Tag zuvor sind die Männer aus Karateren angekommen, einem Dorf, etwa 20 Kilometer vom Damm entfernt. Zehn Tage werden sie bleiben. Danach geht es für ein paar Tage nach Hause zurück, dann wieder an den See.

Der 31-jährige Adiljan Nagashibajew ist ihr Brigadier. „Mein ganzes Leben hat sich geändert, seit das Meer zurück ist“, erzählt er. Schon sein Vater und sein Großvater seien Fischer gewesen. Doch er, Adiljan, hatte nach Schule und Armee zunächst auf dem Bau gearbeitet, in Kysylorda, 350 Kilometer von seinem Heimatdorf entfernt.

Als er vor drei Jahren hörte, das Wasser solle zurückkommen, habe er nicht lange nachgedacht und sei auch zurückgekehrt. Mittlerweile habe er für sich und seine Familie ein neues Haus gebaut, wie so viele in der Gegend hier. „Das Klima ist jetzt wesentlich besser,“ erzählt er, „es regnet häufiger, die Luft ist gesünder. Und die Leute haben neue Zuversicht.“

„Kein großer Fang“

Auf dem Wasser am Damm ist es mittlerweile dunkel, nur ab und an lugt der Mond hinter Wolken hervor. Doch jetzt, nach Sonnenuntergang, beginnt die Arbeit der Fischer. Timur ist einer der Männer aus Karateren. Mit einem kleinen Boot rudert er auf den Kanal unterhalb des Damms. „Bis sechs Uhr morgens arbeiten wir“, erzählt Timur, während die Ruder in gleichmäßigem Takt ins Wasser platschen. „Am Tag machen wir Pause, und abends um fünf fangen wir wieder an.“

Zusammen mit einem anderen Boot hat Timur ein Netz im Schlepp. Hier am Wehr schwappen die Fische zu Tausenden über den Damm – leichte Beute für die Fischer. Zu leicht, scheint es, doch auch ohne die Fischer, die auf der Südseite des Wehrs mit ihren Netzen warten, hätten die Fische hier keine Chance. „Im südlichen Teil ist das Wasser zu salzig, die Fische würden hier sowieso nicht überleben“, erklärt Timur.

Als Timur und das andere Boot nach 40 Minuten zum Ufer zurückkehren und die Mannschaft das Netz einholt, sind die Männer enttäuscht. „Kein großer Fang“, erklären sie, während sie die Fische aus dem Netz befreien und an Land werfen. Dort schlappen und platschen die Fische verzweifelt auf dem Trockenen, bevor sie einer der Männer greift und in große Kisten wirft. Noch zehn bis zwölf Mal werden Timur und die anderen diese Nacht hinausfahren. Etwa eine Tonne fängt die Brigade durchschnittlich pro Nacht.

„Andere Arbeit gibt es hier ja nicht“

Insgesamt rund 2.000 Tonnen Fisch wurden im vergangenen Jahr im kleinen Aralsee gefangen. Noch im Jahr zuvor war es nur ein Zehntel davon. Dreimal salziger als Ostsee-Wasser war der Kleine Aral noch vor drei Jahren – lediglich aus Dänemark importierte Flundern überlebten das. Jetzt leben wieder Karpfen, Hechte oder Zander im Aralsee und zeigen, dass sich die Wasserqualität verbessert hat. Um rund ein Drittel ist der Salzgehalt in den letzten drei Jahren gesunken, dank des Syrdaria, der das Wasser des Kleinen Arals stetig erneuert.

Auch Frauen wie Kulshei Tauekilowa profitieren vom neuen Fisch-Reichtum. Die 60-Jährige hat sich vor kurzem selbständig gemacht und bringt nun täglich den Fang vom See in die neue Fischfabrik nach Aralsk. Frühmorgens, die Dämmerung zieht gerade herauf, reiht sie sich mit ihrem Jeep in die wartenden Lkws am Staudamm ein. Tauekilowa ist eine der kleinen Händler. Mit den großen Kühltransportern, die den Fisch hunderte Kilometer weit zu den Basaren im Landesinnern von Kasachstan bringen, kann sie nicht mithalten. Doch leben könne sie von dem Erlös, erzählt sie, „andere Arbeit gibt es hier ja nicht.“

Nach kurzer Verhandlung wird sich Tauekilowa mit Brigadier Nagashibajew aus Karateren, einig. 40 Tenge bezahlt sie hier für das Kilo Fisch, das sind umgerechnet 25 Euro-Cent. In Aralsk wird sie ihn für 50 Tenge pro Kilo weiterverkaufen.

Die Fischer kippen ihren nächtlichen Fang in den Kofferraum des Jeeps – 650 Kilo. „Wenig“, meint auch die Fischhändlerin. Für die Fischer aus Karateren war diese Nacht nicht die erfolgreichste.

Schlüpfrig nass rutschen die Fische im hinteren Teil des Jeeps hin und her – die Rücksitze sind ausgebaut – und türmen sich schließlich zu einem Berg. Penetranter Fischgeruch erfüllt den Jeep. Jetzt heißt es schnell zurück nach Aralsk. Vier Stunden Fahrt über holprige Wüstenpisten liegen vor der Fischhändlerin.

„Allein in dieser Fabrik haben 40 Leute Arbeit gefunden“

Am Morgen trifft Tauekilowa in Aralsk ein und wird schon erwartet. In der neuen Fischfabrik „Kambala Balyk“ empfängt sie ein halbes Dutzend Frauen mit Gummistiefeln und Kittelschürzen. Sofort fangen sie an, den Jeep zu entladen, sortieren die Fische nach Größe und Sorte in verschiedene Kisten und bringen sie in große Kühlcontainer.

Gulmarjan Chimalowa, die Direktorin der Fischfabrik, ist glücklich über die Rückkehr des Aralsees. „Allein in dieser Fabrik haben 40 Leute Arbeit gefunden“, erzählt sie. Und sie ist voller Hoffnung, dass es bald mehr sein werden. Jedes Jahr werden in Zuchtbetrieben aufgezogene Jungfische im Kleinen Aral ausgesetzt. Bald hoffe man, pro Jahr wieder mehr als 10.000 Tonnen Fisch zu fangen. „Aber schon heute liefern wir Fisch vom Aralsee nach Russland, Georgien oder in die Ukraine“, erzählt sie. „Keiner hätte das vor ein paar Jahren geglaubt.“

Ein kleiner Teil des Fangs, den Fischhändlerin Tauekilowa vom Aralsee nach Aralsk gebracht hat, landet auf dem Basar der Stadt. In einer abgesonderten Fischhalle verkaufen Frauen mit braunen, wettergegerbten Gesichtern und bunten Kopftüchern den Fisch – im Ganzen oder bereits geputzt und ausgenommen. Der Fisch sei mittlerweile wieder billiger als Fleisch, erzählen sie, so müsse es schließlich auch sein am Aralsee.

Die Qualität der Fische ist fraglich

So erfreulich die Nachrichten vom Aral sind – sie sind nicht ganz ungetrübt. Die Qualität der Fische aus dem Aralsee ist fraglich. Laut dem Arte-Reporter Vincent Prado, der kürzlich auch am Aralsee recherchierte, seien kasachische Kinder mit Vergiftungen in Krankenhäuser eingeliefert worden, nachdem sie den Fisch aus dem Aralsee gegessen hatten. Die behandelnden Ärzte sähen einen direkten Zusammenhang zu den Pestiziden, die sich am Grund und im Wasser des Aralsees angesammelt haben. Ein Beamter des kasachischen Umweltministeriums habe Probleme eingeräumt.

Auch dass der Aralsee wieder wächst, gilt nur für den kleineren Teil des Sees. Der Große Aralsee in Usbekistan, mittlerweile in einen westlichen und einen östlichen See zerfallen, trocknet unaufhaltsam weiter aus. Kasachstans Nachbarn Turkmenistan und Usbekistan entnehmen dem Amudarja – neben dem Syrdarja der zweite Zufluss des Aralsees – jährlich mehrere Kubikkilometer Wasser für die Bewässerung von Baumwolle und Weizen.
Trotz des Erfolgs in Kasachstan sehen deshalb auch Experten keine Chance mehr, den gesamten Aral zurückzugewinnen. Serik Smailow, der kasachische Chefingenieur des Staudamm-Baus, ist sich über die Folgen des Projekts bewusst. „Den nördlichen Teil haben wir praktisch gerettet,“ sagt er. „Der Große Aral im Süden aber wird weitgehend austrocknen.“

Joop Stoutjesdijk, der für das Projekt zuständige Wasser-Experte der Weltbank, ist überzeugt, dass der Große Aralsee verloren ist. „Wir müssen realistisch bleiben und akzeptieren, dass der südliche Aralsee zu unseren Lebzeiten nicht mehr zurückkehren wird. Er ist so viel größer, würde so viel mehr Wasser benötigen – es ist einfach nicht möglich, den See wiederherzustellen.“ Dennoch ist der Dammbau für ihn ein Erfolg: „ Wir haben beim nördlichen Teil gezeigt, dass wir eine von Menschen verursachte Umweltkatastrophe rückgängig machen können, bei der niemand gedacht hätte, dass das möglich sei.“ (n-ost)

Von Edda Schlager

30/11/07

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