Der Brite Sacha Baron Cohen verkörpert als Borat Sagdijew einen kasachischen Journalisten und macht so das Land international bekannt. Doch seine Methoden stoßen in Kasachstan auf wenig Gegenliebe, zuletzt meldete sich sogar das kasachische Außenministerium zu Wort.
Borat Sagdijew ist einer von Kasachstans führenden Medienschaffenden. Im Auftrag des staatlichen Fernsehens bereist er so fremde Orte wie Großbritannien und die Vereinigten Staaten, um das dortige Leben für seine Landsleute zu dokumentieren. Der Journalist stellt Fragen, die ein Westler nicht einmal denken würde. So erklärt er beim Besuch in einem amerikanischenWaffenclub, in Kasachstan hätte man die Möglichkeit, „sehr, sehr böse” Verbrecher bei Waffenclubveranstaltungen zu erschießen. Sein waffennärrisches Gegenüber kommentiert dies mit „Ich finde das toll! Es ist etwas verrückt, aber macht wahrscheinlich viel Spaß.” Im Gegenzug erzählt er seinen Interviewpartnern gerne Episoden über sein Heimatland Kasachstan und sein Leben dort.
Wer jetzt denkt, das kann doch nicht wahr sein – der hat recht. Borat Sagdijew ist eine Erfindung des englischen Komikers Sacha Baron Cohen, der auch für die Charaktere „Ali G” und „Bruno” verantwortlich ist. Die Figur taucht regelmäßig im Musiksender MTV und anderen englischen Programmen auf, im November 2005 moderierte er sogar die MTV European Music Awards in Lissabon. Doch der wachsende Bekanntheitsgrad hat auch zu wachsender Kritik geführt. Die Erzählungen Borat Sagdijews über sein angebliches Heimatland stoßen den Kasachen bitter auf. Seine Schwester zum Beispiel sei Prostituierte, die in der Rangliste der Prostituierten Kasachstans bereits auf Platz zwei liege, erzählt er. Oder er berichtet von seiner ersten Frau, die leider von einem Jäger erschossen wurde, der sie für einen Bären hielt. Borat ist antisemitisch, behandelt Frauen als reine Sexobjekte, und er fasst gerne Männer an. Außerdem teilt er der verwunderten Welt mit, in Kasachstan würde man Wein aus gegorenem Pferde-Urin trinken.
Anklage wegen Verleumdung?
Solche Dinge hören Kasachen gar nicht gern über ihr Heimatland. Anscheinend ist Satire (noch) ein Fremdwort im sonst recht aufgeschlossenen Kasachstan – allerdings kommt auch Ironie nicht immer an. Die Moderation in Lissabon hat dem nach eigenen Angaben „sechst-berühmtesten” kasachischen Reporter zum vorläufigen Höhepunkt verholfen. Natürlich ist es für niemanden angenehm, öffentlich durch den Kakao gezogen zu werden. Doch viele Europäer dürften so das erste Mal zumindest von Kasachstan gehört haben. Das kasachische Außenministerium reagierte heftig: Auf einer Pressekonferenz im November in London verurteilte Sprecher Jerschan Aschikbajew Cohens politisch unkorrekte Possen scharf: „Wir schließen nicht aus, dass Herr Cohen einen politischen Befehl ausführt, indem er Kasachstan und seine Bewohner herabwürdigt”, und deutete damit an, dass es für irgendwelche Politiker von Interesse sein könnte, Kasachstan zu diffamieren.
Die Empörung in der kasachischen Bevölkerung ist groß – auf jeden Fall unter der im Ausland lebenden. Der Großteil der Kasachen hat allerdings noch nie von Borat Sagdijew gehört, MTV Europe ist ohne Satellitenanschluss in Kasachstan nicht zu empfangen.
Den Kasachen entging ein großer Auftritt: Sagdijew flog mit einer Propellermaschine der „Air Kazakh” auf die Bühne, aus dem Cockpit torkelte ein einäugiger Pilot mitsamt Wodkaflasche. Borat trug anstelle eines Koffers eine große, karierte Plastiktasche in der Hand.
Humor ist, wenn man trotzdem lacht
Und zumindest in diesem einen Punkt muss man die Authentizität des britischen Komikers anerkennen, denn genau diese Taschen werden an jedem Marktstand in Almaty und vermutlich in ganz Kasachstan verkauft. Damit hat es sich aber auch mit den Wahrheiten in den Auftritten des Komikers. Die angeblich kasachischen Sätze sind natürlich weder kasachisch, das übrigens zu den Turksprachen gehört und nichts mit den slawischen Sprachen zu tun hat, noch russisch; sondern polnische Versatzstücke.
Vor Borat hat der Großteil der westlichen Bevölkerung wahrscheinlich nicht mal gewusst, dass es Kasachstan gibt, obwohl es das neuntgrößte Land der Erde ist. Jetzt weiß er es. Und amüsiert sich köstlich darüber. Nicht, weil jemand glaubt, dass es in Kasachstan wirklich so aussieht, wie es Borat eindrucksvoll beschreibt, sondern man lacht eigentlich über sich selbst, über die Klischees, die in den Köpfen festsitzen. Sicher gibt es auch diejenigen, die Cohens Späße für bare Münze nehmen. Aber solche Leute glauben auch, dass Österreicher (sofern sie wissen, dass Österreich nicht Australien ist) immer jodelnd in Lederhosen rumlaufen, Engländer ständig Tee trinken und Deutsche am liebsten Soldat spielen. Sacha Baron Cohens andere Alter Egos sind auch nicht gerade politisch korrekt. „Ali G” ist eine Persiflage auf die schwarze Ghetto-Kultur, der „österreichische Modejournalist Bruno” macht sich vordergründig über die Schwulenszene lustig. Bei genauerem Hinsehen merkt man jedoch, dass nicht die betroffenen Gruppen der Lächerlichkeit preisgegeben werden, sondern der Teil der Gesellschaft, der diese Vorurteile hat. So ist letztendlich nicht die Figur des kasachischen Reporters zum Lachen oder gar sich Ärgern, sondern die Leute, die tatsächlich glauben, Kasachen würden gegorenen Pferde-Urin trinken.
02/12/05