„Flattere wie ein Schmetterling und stich wie eine Biene. Die Hände arbeiten und die Augen sehen“, – diese geflügelten Worte klingen wie ein melodiöses Rezitativ. Aber nein, dies ist weder Jan Böhmermann noch etwa Paul Würdig. Dies ist der große Mohammed Ali. Es ist eine kultische, philosophische Replik. Praktisch ein Gebet mit heiliger Unterweisung. Im Prinzip ist dies alles, was man über Boxen wissen muss. Schwer, kurz und deutlich, wie ein entgegenkommender Blitzeinschlag. Und der Gegner ist offline…

Wie man einen Gegner im Ring mit einem Schlag niederstreckt, weiß auch Ilja Blinnikow aus erster Hand: er ist ein Boxer mit kolossalem Potential und Meister des Sports in Russland, hatte 203 Kämpfe, von denen er 185 gewann, und siegte in 14 von 17 internationalen Wettbewerben. Ilja ist davon überzeugt, dass Stärke in der Wahrheit und Glück nicht im Geld liegt.

Er ist aber auch mutig, höflich und bescheiden. Beharrlich wirbt er für „Jeb – Cross – Hook“, vertraut sich selbst, dem Glück in seinen Treffen, und ein wenig auch seinem Promoter. Er hält sich an einen gesunden Lebensstil und steht für traditionelle familiäre Werte. Er scheut die Schwierigkeiten des Lebens nicht und ist stolz auf seine Wurzeln. Aber alles der Reihe nach…

Ilja, wenn das Glück nicht im Geld und in den Quoten der Buchmacher liegt, worin Ihrer Meinung nach dann?

Sie werden wahrscheinlich überrascht sein, aber in Anstand, Gerechtigkeit, Freundschaft, Liebe, gegenseitigem Verständnis.

Nach heutigen Maßstäben sind das ziemlich seltene Qualitäten. Demnach kann man also ohne Geld wirklich glücklich werden?

Diese Qualitäten sind in der Tat selten, jedoch machen gerade sie das ganze Leben aus. Ganz ohne Geld wird es wohl kaum gehen. Ich glaube aber, dass es wichtig ist, nicht dem rollenden Rubel hinterherzujagen, sondern zu wissen, wann man aufhören muss.

Der berühmte amerikanische Profiboxer Roy Jones sagte einmal: „Wenn ich auf die Menschen um mich herum höre, dann höre ich auf, ich selbst zu sein.“ Wie wichtig ist es für Sie, Sie selbst zu sein?

Das ist mir sehr wichtig, deshalb unterstütze ich die Meinung von Jones voll und ganz. Man kann natürlich auf die Ratschläge seiner Familie und Freunde hören, aber Entscheidungen muss man selbst treffen. Es geht nicht um Ehrgeiz, sondern um Vernunft. Was Außenstehende betrifft, so ist es mir im Großen und Ganzen egal, was sie sagen, denn oft verbirgt sich hinter deren schönen Reden gewöhnlicher Neid, Eigennutz oder Hass.

Welche Emotionen empfinden Boxer, wenn sie sich gegenseitig schlagen? Vielen Menschen fällt es schwer, den Kämpfen überhaupt zuzusehen – sie nehmen den Schmerz beim Zuschauen beinahe physisch wahr…

Es sind mehrere Runden dumpfer Schmerz, aber keine besonderen Emotionen. Das Gehirn reagiert nicht mit Gefühlen oder Worten, sondern mit einer Handbewegung.

„Es waren freundschaftliche Blutungen“, – sagte einmal ein Satiriker.

Praktisch stimmt das. Das besondere Drama liegt darin, dass Boxen mein Beruf ist. Ich verdiene mit den Kämpfen meinen Lebensunterhalt und versorge meine Familie. Man sagt, die Sonne scheint, die Bäume wachsen, Sie schreiben Artikel, und ich schlage Menschen. Und das ist im Grunde alles. Zugegeben, manchmal findet im Ring eine Schlacht statt, die härter ist als die furchtbarsten Straßenkämpfe. Aber auch das hat sein Gutes, um den Kampfgeist, die Disziplin und den Charakter zu stärken.

Wie viel verdienen Sie beim Sparring? Es ist bekannt, dass sie der wichtigste Sparring-Partner des Weltmeisters Alexander Bachtin vor seinem Titel der IBO waren.

Zuallererst möchte ich sagen, dass Alexander mein Landsmann und ein großartiger Freund ist. Als er in Moskau lebte, fragte er mich, ob ich sein Sparring-Partner sein möchte. Ich habe ihm immer gerne geholfen. Im Sparring verdient man nur wenig, das ist nicht Amerika. Auf diese Weise können einige junge Boxer bei uns komplett kostenlos mit angesehenen Sportlern trainieren. Zum Beispiel wurde ich nach dem Studium eingeladen, mit dem russischen Boxer Ruslan Prowodnikow (Weltmeister der WBO – Anm.) vor seinem Kampf mit Luis Castillo als Sparringpartner zu trainieren. Für jeden Trainingskampf bekam ich dann 5.000 russische Rubel. Natürlich habe ich zugestimmt – denn es ist ja der Traum eines jeden jungen Kämpfers, mit einem Titelträger Schläge zu üben!

Etwas später bekam ich das Angebot, nach Amerika zum Boxen zu gehen, aber dort musste ich erst einmal einen guten Promoter finden und einen Vertrag mit ihm unterschreiben. In New York trainierte ich in verschiedenen Boxstudios, und das gar nicht mal so schlecht. Aber es stellte sich heraus, dass es nicht so einfach ist, in den USA einen Promoter zu finden, wenn man nicht viel vorzuweisen hat. Wenn man kein Weltmeister oder Olympiasieger ist, dann ist man für die lokale Öffentlichkeit nicht besonders interessant. Als Ergebnis kam ich sechs Monate später zurück. In Moskau habe ich dann die Werbung einer Boxhalle gesehen. Der Trainer schätzte meine professionellen Fähigkeiten und bot mir an, einen Kampf „mit den Profis“ zu veranstalten. Nach ein paar Monaten harten Trainings hatten wir dann unseren ersten Kampf. Das war im Jahr 2016.

Wie wichtig ist das Sparring überhaupt für einen Sportler?

Es ist eine Art Eintrittskarte zum Profiboxen; die Nachahmung eines Zweikampfs. Es ist ratsam, den richtigen Sparringpartner auszuwählen, unter anderem auch den Kampfstil.

Ihre Frau haben Sie in New York kennengelernt…

Ja, genau so war es. Später sind wir zusammen nach Moskau gegangen.

Wer ist der Chef in Ihrem Haus? Sie oder sie?

Wir sind gleichberechtigt. Meine Frau stimmt diesem Algorithmus zu. Und ich auch. Gegenseitiges Verständnis und Respekt ist die wichtigste Grundlage, auf der unsere Familie aufbaut.

„Wenn ich meine Hände bandagiere, dann tue ich das für meine Familie. Ich verdanke ihr meinen Mut und meinen Erfolg. Deshalb kämpfe ich“, das hat Gennadi Golowkin einmal zu Reportern gesagt. Und wem verdanken Sie ihre Leistungen?

Ich stimme Gennadi zu. Er kämpft nicht nur brillant und formalisiert oft einen frühen Sieg durch ein K.O., sondern er spricht auch die richtigen Worte. Nur meine Verwandten haben mich in der Weise immer unterstützt und inspiriert, damit ich die besten Ergebnisse erziele.

Sprechen die Mitglieder Ihrer Familie Deutsch?

Vermutlich nur ich. Im Jahr 2015 habe ich mich besonders für das Studium der deutschen Sprache interessiert. Ich habe die Kurse des Goethe-Instituts besucht und das Zertifikat des Sprachniveaus B1 erhalten. In meiner Freizeit schaue ich gerne Deutsche Welle. Als ich klein war, hat meine Mutter nur sehr ungern über unsere deutschen Wurzeln gesprochen. Offenbar wurde eine derartige Haltung bereits unter der Sowjetherrschaft eingenommen: man hatte Angst und schämte sich. Meine Urgroßmutter Frieda Kister (verheiratete Albert) war eine Wolgadeutsche. Sie wurde in dem Dorf Walter geboren. Auch mein Urgroßvater Theodor Albert stammt von dort. Im Jahr 1941wurden sie zusammen mit all ihren Verwandten nach Sibirien verbannt, wenig später geriet mein Urgroßvater in die Arbeitsarmee. Er kehrte als Kranker zurück und lebte nach seiner Entlassung nicht mehr sehr lange.

Meine Großmutter Elvira Albert, also deren Tochter, hat geheiratet und ist dann nach Kirgisistan gegangen. Sie ließ sich im Bezirk Manas des Gebiets Talas nieder. Dort wurde dann meine Mutter geboren. Meine Großmutter war ein sehr religiöser Mensch: Wir haben noch eine alte deutsche Bibel zuhause, die früher ihr gehörte. Anfang der 1990er Jahre wanderte der größte Teil meiner Verwandtschaft aus Kasachstan und Kirgisistan nach Deutschland aus. Wir halten mit ihnen Kontakt, rufen sie an, und im Jahr 2012 war ich bei ihnen zu Besuch.

Wie erinnern Sie sich an den Kampf mit Theo Desjardin?

Es ist Tatsache, dass der Kampf in Amerika stattfand, dem Mekka des Boxens. Die Einwohner der Vereinigten Staaten lieben diesen Sport und nehmen sehr aktiv selbst an kleineren Veranstaltungen teil, die mit dem Boxen in Verbindung stehen. Für sie ist das wie ein Feiertag. Mir hat die Atmosphäre und die Einstellung der Fans sehr gut gefallen.

Wie hart ist der Schlag von Sujunbek Kyrgysbajew?

Es war mein Debütkampf. Wie sich herausstellte, unterscheidet sich das olympische Boxen grundlegend vom Profiboxen – selbst leichte Schläge spürt man sehr viel stärker. Daher besteht die Aufgabe im Profiboxen darin, so wenig Schläge wie möglich abzubekommen. Was die Kraft von Kyrgysbajew betrifft, ja, seine Schläge sind gut zu spüren; aber ich würde nicht sagen, dass sie übermäßig stark sind. Sagen wir mal, sie sind nicht gerade schwach. Er ist ein guter Boxer, der sicher trifft.

Man sagt, dass Eusebio Osejo speziell in seiner Schlagtechnik hinterherhinkt? Wie ist Ihre Meinung dazu?

Das war der schwierigste Kampf meiner Karriere. Beim Profiboxen spielt eine gute Technik nicht die entscheidende Rolle. Vieles hängt von der Rundenzahl und von dem Druck des Gegners ab. Selbst wenn die Technik eines Boxers nicht besonders gut ist, kann er nur durch seinen Druck und durch sein Pressing aktiv angreifen und attackieren. Die mexikanische Boxschule hatte schon immer die Fähigkeit, Druck auszuüben. Es gibt viele Präzedenzfälle, in denen Kämpfer mit schlechter Technik spektakuläre Kämpfe gegen viel erfahrenere Sportler gewonnen haben. Mit Eusebio Osejo zu boxen, war nicht gerade einfach. Insbesondere die ersten Runden. Aber dann begann die Müdigkeit, ihren Tribut zu fordern.

Der deutsche Dramatiker Gerhart Hauptmann glaubte: „Alles, was nicht von Liebe gefärbt ist, bleibt farblos“. Ist das Ihrer Meinung nach so?

Ja, solange es Liebe gibt, gibt es Leben. Ohne Liebe zu leben, hat keinen Sinn.

Vielen Dank für das Interview. Ihnen viel Erfolg!

Marina Angaldt

Übersetzung: Philipp Dippl

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