Das Leben in der Trudarmee begann für die Frauen mit der Ankunft in ihrem Lager. In der Geschichte von Valentine Bolz lesen Sie, wie es ihrer Tante Mathilde und den anderen dort erging. Teil 3 der Erzählung. Fortsetzung aus der vorherigen Ausgabe.

Hinter dem Zaun waren fünf lange Baracken. Man hörte lautes Hämmern und Sägegeräusche. Die Zimmermänner waren mit dem Einbau der Pritschen noch nicht fertig. Irgendwelche Männer liefen schimpfend hin und her. Die zwei Lastwagen mit den Säcken und den Bündeln der Frauen waren schon eingetroffen. Die Soldaten luden das Gepäck ab und stellten es entlang des Zaunes auf. Endlich trat ein kräftiger Mann in Uniform vor die Kolonne und erklärte, dass die Frauen jetzt auf die Baracken verteilt würden. Er las laut die Namen vor. Die Frauen mussten vortreten und wurden dann zur jeweiligen Baracke geführt.

Mit den deutschen Namen hatte der Vorsteher seine Schwierigkeiten – nicht immer erkannten die Frauen ihren eigenen Namen. Der Mann ärgerte sich und fluchte. Der Name „Trupp“ weckte seinen Humor: „Первый раз вижу живой труп! (Eine lebendige Leiche (труп = Leiche) sehe ich zum ersten Mal!)“ Die Soldaten kicherten. Allgemeine Heiterkeit riefen die Namen Job und Jibben in der Aufführung des Natschalniks hervor. Er selber lachte Tränen: „И кто же вас такими фамилиями наградил?! (Wer hat euch denn solche Familiennamen beschert?!)“ Kaum hatten sich alle beruhigt, kam der nächste Zungenbrecher: Herbersdorf. „Хер-бр-двор… Хер-без-дров. Тьфу, язык сломаешь! Так где же эта Хербездров? (Cher-br-dwor, Cher-bes-drof. Fuj, da bricht man sich ja die Zunge! Wo ist denn diese Cherbesdrof!)“ Die Soldaten kugelten sich vor Lachen.

Sogar beim Duschen verhöhnt

Als alle auf die Baracken verteilt waren, durften die Frauen ihre Sachen in ihren Baracken in eine Ecke stellen und wurden in die Banja gebracht. Sie freuten sich, sich mal wieder waschen zu dürfen. Wegen fehlender Hygiene während des Transports hatten sich auch schon Läuse verbreitet. In einem großen Vorraum mussten sie sich entkleiden. Die Jacken, Mäntel und Tücher wurden auf großen Ringen aufgehängt und in die Desinfektionskammer geschickt. Mathilde erschrak – was würde jetzt mit ihrem Geld passieren?! Aber tun konnte sie ja sowieso nichts. Eine ältere Frau in einem dreckigen Kittel und Gummistiefeln teilte Seife und Handtücher aus. Dann stellte sie einen großen Eimer mit stinkendem Zeug in die Mitte des Raumes und erklärte etwas. Gertrude übersetzte: Das sei gegen Läuse, alle sollten es ins Haar reiben, 15-20 Minuten warten, dann das Haar gut waschen. Alle machten es.

Nach einer halben Stunde durften sie in die Banja. Es war ein riesiger Raum, durchzogen von Wasserrohren, in denen Löcher waren, durch die Wasser floss. In der Banja war es nicht heiß, wie es eigentlich in einer Banja sein sollte. Die Frauen froren, schrubbten sich aber gründlich den Dreck von der langen Reise ab. Sie merkten gar nicht, dass sie von oben von Soldaten beobachtet wurden. Erst als eiskaltes, dann wiederum heißes Wasser aus den Löchern kam, schauten sie nach oben. Die Soldaten machten sich einen Jux, indem sie das Wasser mal heiß, mal kalt stellten. Die Frauen kreischten, die Soldaten lachten.

Scharfe Warnung vor Fluchtgedanken

Eine ganze Stunde hielt man sie in dieser Banja. Dann bekamen sie weißgraue Steppjacken ausgeteilt und durften sich in den Baracken einquartieren. Jeder von ihnen wurde eine Pritsche zugewiesen. Alle waren so entsetzlich müde, dass sie keine Kraft mehr hatten, miteinander zu sprechen. Die Baracke versank in einen traumlosen, tiefen Schlaf.

Am nächsten Morgen wurde ihre Kleidung aus der Desinfektionskammer gebracht. Als erstes tastete Mathilde den Saum ihres Mantels ab. Gott sei Dank! Das Geld war noch da. Danach wurden sie wieder in einer Kolonne aufgestellt – am Kopf und am Schluss der Kolonne bewaffnete Soldaten mit Schäferhunden. Der vordere Soldat drehte sich um und erklärte laut und deutlich: „Шаг влево, шаг вправо – считается побег! Стреляем без предупреждения! (Ein Schritt nach links, ein Schritt nach rechts – wird als Flucht gesehen. Es wird ohne Vorwarnung geschossen!) Diesen Spruch brachte man jedes Mal, wenn man sie auf die Arbeit und von der Arbeit führte. Mathilde kannte diesen Spruch auswendig wie das „Vaterunser“ – bis zu ihrem Tod.

Das Faschisten-Stigma verfolgte sie auf Schritt und Tritt

Im Werk hielt der Direktor eine Rede. Unter anderem sagte er, dass auf keinen Fall darüber geredet werden dürfe, was produziert werde, auch nicht untereinander. Würde man es tun, würde es als Verrat betrachtet, und die Person käme vors Kriegsgericht. Drei Tage lernte man die Frauen an. Mathilde arbeitete in der Halle Nr.6 an einer Maschine mit dem Namen „Konas“. Sie hatten einen 12-stündigen Arbeitstag. Eine Woche Nachtschicht, eine Tagschicht. In den Hallen war es sehr laut. Die Arbeit war schwer, verlangte große Konzentration. Nach der Schicht waren die Frauen hundemüde.

Aber auch der Weg zur Arbeit und von der Arbeit war für sie eine Qual. Sie wurden als Faschisten beschimpft. Kinder und Halbwüchsige bewarfen sie mit Steinen, belegten sie mit schlimmen Flüchen. Und die Frauen durften sich nicht einmal wehren. Einmal aber hielt es Regine nicht aus. Sie war eine große, kräftige Frau. Blitzschnell schnappte sie sich einen besonders frech gewordenen Halbwüchsigen und versohlte ihm den Hintern. Die Frauen jubelten. Die Soldaten konnten gar nicht so schnell reagieren. Dafür kam Regine in den Karzer, aber die Frauen hatten einen Augenblick der Genugtuung erlebt.

Den ersten Monat sanken die Frauen nach der Schicht entkräftet auf die Pritschen und wollten nur noch eins: schlafen. Dann nahm sich die Jugend das Ihre – sie hatten sich an die Arbeit angepasst, und nahmen sich nun Zeit, um miteinander zu reden, Briefe zu schreiben, Wäsche zu waschen. Manchmal wurden sogar Witze erzählt – das Lachen tat gut. Auch die Erinnerungen an zu Hause wärmten das Herz, aber ließen auch Tränen fließen. Das Heimweh war so riesig und schmerzhaft, dass die Frauen alles gegeben hätten, um wieder ihre Lieben zu sehen, um wieder zu Hause zu sein.

Viele mussten ihre Kinder zurücklassen

Besonders schwer hatten es die, die ihre Kinder zurücklassen mussten. Mathildes einziger Sohn war vor einem Jahr an Scharlach gestorben. Es war eine Wunde, die nicht heilen wollte, aber sie wusste wenigstens, wo er war. Viele Frauen hatten ihre Kinder bei Verwandten oder gar Fremden unterbringen müssen. Aber viele hatten auch diese Möglichkeit nicht – die Kinder blieben ganz alleine zurück und die Mütter konnten nur hoffen, dass die älteren Kinder es irgendwie schafften, sich und die Geschwister durchzubringen, dass sich eine gute Seele gefunden hatte, die ihnen beisteht.

So musste Rosa, die am Anfang des Krieges aus der Wolgarepublik nach Sibirien deportiert worden war, ihre zwölfjährige Tochter mit zwei jüngeren Kindern, acht und fünf Jahre alt, in einem fremden Dorf lassen. Der Vorsitzende hatte zwar versprochen, sich um die Kinder zu kümmern, aber bis jetzt hatte sie noch keine Nachricht von ihnen bekommen, obwohl sie an die Kinder und auch an den Vorsitzenden geschrieben hatte. Anna, die ihren vierjährigen Sohn in der Familie ihres Onkels lassen musste, blutete auch das Herz, da sie wusste, was für eine falsche Schlange die Frau des Onkels war. Diese Frauen bauten als erste ab. Bei ihnen waren es nicht nur die schwere Arbeit, das schlechte Essen und die Erniedrigungen, sondern auch die ständigen Sorgen, der Kummer und das Bangen um die zurückgebliebenen Kinder.

Mathilde machte sich mit ein paar Frauen bekannt, deren Männer auch in Tula in der Arbeitsarmee waren. Gemeinsam beschlossen sie, zu fliehen, und sich nach Tula durchzuschlagen. Es würde doch wohl egal sein, wo sie ihren Arbeitsdienst ableisteten, dachten sie. Und so wären sie wenigstens mit ihren Geliebten zusammen. Sie berieten sich und beschlossen, sich erst gut darauf vorzubereiten – vor allem müsste man herausfinden, auf welchem Wege man es machen würde, und zweitens müsste man einen Lebensmittelvorrat für mindestens eine Woche haben. Da man aber keine Möglichkeit hatte, an Lebensmittel heranzukommen, beschlossen die Frauen, immer ein bisschen von der Brotration abzuzwacken, es zu trocknen und für die Reise zurückzulegen.

Prekäre Versorgungssituation

Das Essen war so schlecht und so wenig, dass es bei der schweren Arbeit nicht lange anhielt. Sie bekamen nur einmal am Tag Essen. Das Mittagessen bestand aus einer Suppe – ein-zwei Kartoffelstückchen mit Wasser und Sawarucha (oder Satirucha) – im Wasser gekochtes Mehl (eine Art Mehlsuppe). Frühstück und Abendessen gab es nicht. Nur 500 g Brot. Das Brot war für das Frühstück und Abendessen gedacht. Aber es wurde meistens schon auf dem Weg vom Schalter zu den Tischen aufgegessen. Das Geschirr nach dem Mittagessen hätte man nicht waschen müssen, so sauber wurde es ausgekratzt, sogar ausgeleckt. Solange die Vorräte von zu Hause reichten, kochte man sich immer noch ein bisschen was in den Blechbechern auf dem Eisenofen in der Baracke.

Als die Vorräte all waren, gab Mathilde ihr Geld nach und nach für Lebensmittel aus. Ein Glas Mehl kostete auf dem Markt 25 Rubel. Einmal hatte sie sich zwei Kartoffeln und eine Zwiebel gekauft und sie abends in ihrem Blechbecher gekocht. Da sie abends nicht mehr aus der Baracke durften, warf sie die Zwiebelschalen in den Eimer, der für die kleine Notdurft in der Baracke stand. Am Morgen wurde sie von Marie Ruf, der Barackenältesten, beschuldigt, die große Notdurft in dem Eimer verrichtet zu haben. Mathilde bestritt das und wies darauf hin, dass es doch nur Zwiebelschalen seien! Und dass man das auch deutlich sehen könne. Aber die Ruf hörte nicht mal zu und bestrafte sie mit drei Nächten Karzer.

Beten, weinen – und frieren

Tagsüber musste sie arbeiten. Das Essen wurde gestrichen. Nachts musste sie in den kalten Karzer. Das war im Winter, der Karzer wurde nicht beheizt. Es war ein kleines Häuschen mit einem winzigen Raum für den Karzer und einem größeren Vorraum. Im Vorraum wurden die Toten gestapelt. Wenn er voll war, wurden sie in einem Massengrab verscharrt. Im Karzer war eine Pritsche aus zwei ungehobelten Rundstämmen. Keine Decke, kein Kissen, keine Matratze. Mathilde ging die ganze Nacht hin und her, betete und weinte. Hätte sie sich hingelegt, wäre sie erfroren.

Zwei Nächte verbrachte sie im Karzer. Auf der Arbeit bemerkte der Einrichter der Werkbänke Hanulin (наладчик Ханулин), dass Mathilde sich kaum noch auf den Beinen halten konnte und ununterbrochen weinte. Er fragte sie, was los sei, aber sie schüttelte nur den Kopf und weinte. Dann fragte er die anderen, und sie erzählten ihm, was geschehen war. Sichtlich verärgert, ging er zum Abteilungsleiter.

Ob Mathilde dank des hilfsbereiten Abteilungsleiters Gerechtigkeit widerfuhr, erfahren Sie im nächsten Teil in der kommenden Ausgabe.

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