Ilja Mezencev im Interview für die Deutsche Allgemeine Zeitung. Ein gebürtiger Kasachstaner spricht darüber, warum der Boxsport in Deutschland schwierige Zeiten durchmacht.
Die Welt des Boxens ist gefährlich und attraktiv – das weiß Ilja Mezencev aus erster Hand. Er ist ein junger, aber energischer, taktisch und technisch starker Profiboxer, geboren in Almaty. In seinem ersten Kampf in Deutschland gewann Ilja durch KO. Er verfügt über hervorragende Boxfähigkeiten, einen kraftvollen Schlag und bewegt sich gut im Ring. Mezencevs Familie unterstützt ihn in allem, denn die Liebe und das Verständnis seiner Angehörigen spielen nicht nur im Boxen, sondern überall eine wichtige Rolle. Ilya Mezencev hatte übrigens 28 Kämpfe, und sein geschworener und wiederholter Rivale war Tom Schwartz, ein ziemlich berühmter deutscher Boxer. In diesem Interview haben wir mit Ilya über die Philosophie des Boxens und seine aktuellen Probleme gesprochen, auch ein wenig über Gennady Golowkin und Tom Schwarz…
Ilja, machen Narben einen Mann schön? Darüber gibt es ein russisches Sprichwort.
Vielleicht. Ich weiß, dass Frauen maskuline Männer mögen.
Man sagt, dass das Boxen in Deutschland eine schwere Zeit durchmacht. Was ist Ihrer Meinung das Hauptproblem?
Ja, das Boxen in Deutschland ist am Boden. Ich denke, das haben sich die Funktionäre zuzuschreiben – sei es wegen schwierigen Veranstaltungen, bei denen mal die Technik nicht funktioniert, mal neunzig Minuten Pause zwischen den Kämpfen ist. Dann kamen Kämpfe hinzu, bei denen der eine Boxer den Kampf dominierte – bei der Urteilsverkündung aber dem anderen die Hand gehoben wurde. Das zerstört die Attraktivität des Boxens und die Zuschauer verlieren ihre Sympathie. Außerdem fehlen sogenannte „public heroes“- wie es Golowkin für Kasachstan ist. Wir alle warten auf seine Kämpfe und können es kaum erwarten, Neuigkeiten über die Vorbereitung und den Kampf zu erhalten.
Haben Sie in Kasachstan mit dem Boxen angefangen? Warum sind Sie nach Europa gezogen?
Ich bin noch sehr jung gewesen, als wir nach Deutschland gezogen sind. Irgendwo habe ich die Wurzeln meines sportlichen Werdegangs in Kasachstan, denn mein Vater hat in Almaty angefangen zu trainieren und zu kämpfen. Als wir nach Deutschland kamen, prägte mich die Zeit, die ich mit ihm in der Sporthalle verbracht habe, und ich fing selber an, sportliche Schritte zu gehen.
Verfolgen Sie das kasachische Boxen? Wie gefällt Ihnen der Erfolg der kasachischen Boxer?
Mir gefällt das kasachische Boxen sehr. Es sind immer gute Kämpfe zu erwarten, in denen sich die Kasachstaner nichts schenken. Ich mag es sehr, Kossobutzky, Alimkhanuly und Golowkin anzuschauen. Und es ist sehr schade, dass die letzten Kämpfe für die so verlaufen sind, aber ich kann noch einiges von allen dreien lernen. Mal schauen – vielleicht treffen sich unsere Wege. Auf den kommenden Kampf von Alimkhanuly bin ich sehr gespannt. Er tritt gegen einen in Deutschland lebenden Boxer an, und ich denke, Zhanibek wird diesen Kampf gewinnen.
Ist es schwierig, in Deutschland den Meistertitel zu erringen?
Den deutschen Meistertitel zu bekommen, ist nicht schwer. Da müssen sich die Veranstalter nur zusammensetzen und den Kampf anvisieren. Aber alles, was über Deutschland hinausgeht – sei es Interconi oder die Europameisterschaft – da wird es schon schwierig. Sportlich ist Deutschland nicht auf dem Niveau von beispielsweise England. Die Trainingsbereitschaft ist einfach eine andere. Ich war Anfang des Jahres dort und habe einige Vorbereitungen gesehen. Und was die Jungs dort leisten, erreicht Deutschland in den kommenden Jahren nicht.
Kann man in Europa mit den Einnahmen aus Boxkämpfen überleben? Oder gehen Sie einem zweiten Job nach?
Das ist ein großes Problem. Es gibt keine finanzielle Unterstützung und wir müssen schauen, dass wir eine Arbeit finden. Ich habe da noch Glück gehabt in meinem Werdegang und habe ein gutes Umfeld, das ich sehr zu schätzen weiß. Aber viele andere talentierte Boxer verbringen den Tag im Lager oder auf der Baustelle und sind am Arbeiten, um die Miete zahlen zu können und Essen einzukaufen. Ich habe das große Glück gehabt, in einem Unternehmen arbeiten zu können, das die Bewachung von gehobener Hotellerie und Gastronomie übernommen hat.
Waren Sie verärgert, dass Gennady Golowkin sein Weltmeistertitel aberkannt wurde?
Ja das habe ich nicht erwartet. Natürlich war ich verärgert. Dass Erislandy Lara kampflos zum Superchamp gekürt wurde, ist komisch, und den Kampf gegen Canelo habe ich anders gewertet. Aber so ist das Business – wir können daran wenig ändern.
Ihr schwierigster Kampf?
Ich hatte einige schwierige Kämpfe, aber der unangenehmste war 2015 gegen Schwarz. Der physische Unterschied war zu groß und meine Ambition hat nicht gereicht. Ich habe viel „punishment“ aus diesem Kampf genommen, der mich vorsichtiger boxen gelassen hat. Jetzt stehe ich wieder auf beiden Beinen, boxe anders und komme mit unangenehmen Boxern besser zurecht.
Was können Sie über Tom Schwarz sagen?
Er hat viele verschiedene Facetten in seinem Charakter. Ich weiß, wie kalt er sein kann durch die beiden Kämpfe, die wir hatten. Ich habe in unseren Kämpfen diese Kälte und diese Härte nicht abrufen können. Dann ist er jahrelang die Nr.1 im deutschen Profiboxen gewesen und musste auch seine Art finden, mit diesem Druck zurecht zu kommen. Vielen hat diese Art nicht gefallen, und seine sportliche Leistung wurde in den Schatten gestellt. Seit Corona habe ich ihn im Sparring und im Training kennengelernt. Da habe ich eine andere Seite von ihm gesehen. Er ist Sportler wie ich, und wir kommen jetzt menschlich anders zurecht, lachen miteinander und schenken uns im Sparring nichts. Wir haben ein Haufen harte Runden Sparring gemacht, und wer weiß, wie die Zukunft aussehen wird. Er hat seinen Weg, und ich habe meinen Weg. Ich habe ein neutrales Verhältnis zu ihm.
Wer ist Ihr Vorbild im Boxen?
Ich habe in verschiedenen Aspekten verschiedene Vorbilder. Mayweather hat ein großes Geschäft aus dem Boxen gemacht. Die Klitschkos haben ihren Namen für die Ewigkeit in die Geschichte des Schwergewichtes geschrieben. Hagler hat immer gekämpft. Jones Jr. hat immer eine Show abgezogen. Den einen Star habe ich nicht, aber ich kann mir von vielen Boxern etwas abschauen.
Warum riskieren Sie Ihre Gesundheit im Ring?
Ich habe nur eine kurze Antwort: Das ist mein Leben.
Glauben Sie an Schicksal?
Ich kann nicht sagen, dass ich nicht an Schicksal glaube. Das Leben hat mir einige Momente gezeigt, die nicht anders als durchs Schicksal zu erklären sind. Ich glaube an Schicksal. Aber ich glaube auch daran dass ich alles in der Hand habe. Ich kann mich nicht zurücklehnen und sagen, das Schicksal macht das schon. Ich muss trainieren, arbeiten und leisten. Und dann ergibt sich auch all das, was im Schicksal vorgeschrieben ist. Wir haben alle unseren Weg, den wir gehen, und Probleme, denen wir uns stellen müssen. Nur ein Problem verbindet uns: Wir wissen nicht, wie viel Zeit wir haben. Morgen kann alles vorbei sein, und unsere Ziele und Pläne sind nichts wert. Ich gehe auf die 30 zu. Viele Boxer sind in meinem Alter schon Weltmeister, und ich hänge hinterher. Ich muss sehen, dass ich große Kämpfe bestreite und die Besten dieser Welt besiege. Ich gebe mein Bestes, meinen Weg zu gehen, und alles andere steht schon im Schicksal vorgeschrieben.
Vermissen Sie Kasachstan? Haben Sie vor, wiederzukommen?
Ja, natürlich. Ich bin in Almaty geboren und vermisse die Berge. Ich bin als kleiner Junge nach Deutschland gezogen, aber wir sind alle zwei Jahre zu Besuch gewesen. Ich vermisse die Leute, die Geschäfte, die Straßen, die Laternen und Zäune. Das kann für einige Leute belanglos klingen, aber das sind die alltäglichen Sachen, die mir fehlen und die hier in Deutschland einfach anders sind. Ich plane in den nächsten Monaten, nach Almaty zu reisen und die Familie zu besuchen. Vielleicht treffe ich auf einige Boxer und kann den Kontakt pflegen.