Ein analytischer Blick auf zwei Nachbarländer, ihre Sportpolitik und den Zustand des Fußballs

Ende vergangener Woche sorgte eine Nachricht für Aufsehen in der Sportwelt Zentralasiens, besonders aber in Kasachstan: Die Fußballnationalmannschaft Usbekistans hat sich zum ersten Mal in ihrer Geschichte für eine FIFA-Weltmeisterschaft qualifiziert. Ein historischer Moment für das Nachbarland, der in Kasachstan neben Glückwünschen auch Neid, Selbstzweifel und kritische Fragen hervorrief. Warum sie und nicht wir?

Kasachstan verfügt über Rohstoffe, moderne Stadien und eine Fußball-Infrastruktur, in die Milliarden geflossen sind. Trotzdem ist das Land weit von einer WM-Teilnahme entfernt. Usbekistan hingegen, das in fußballerischer Hinsicht lange als gleichauf galt, hat sich in den vergangenen Jahren zielstrebig weiterentwickelt. Wie ist dieser Unterschied zu erklären?

Zwei Wege, zwei Realitäten

Noch vor 20 Jahren galt Kasachstan als Vorreiter im zentralasiatischen Fußball. Mit dem Beitritt zur UEFA im Jahr 2002 schien ein wichtiger Meilenstein erreicht zu sein. Die Investitionen flossen, es wurden Stadien gebaut und teure Trainer verpflichtet. Die kasachische Premier Liga war plötzlich ein Schauplatz internationaler Namen. Es herrschte eine allgemeine Aufbruchsstimmung.

Usbekistan dagegen ging leise vor. Statt auf große Namen zu setzen, baute man an der Basis. In den Regionen entstanden Nachwuchsakademien, in denen nach einheitlichen Standards gearbeitet wurde. Die Föderation definierte klare Kriterien für die Ausbildung der Spieler, für die Infrastruktur der Spielstätten und für die Trainerausbildung. Schon früh wurde erkannt, dass sportlicher Erfolg nicht importiert, sondern entwickelt werden muss.

In Kasachstan konzentrierte man sich hingegen zu sehr auf Repräsentation. Viele Vereine lebten von Subventionen der Gebietshauptstädte oder staatlicher Holdinggesellschaften. Die Nachwuchsarbeit blieb lückenhaft. Der Schulfußball war und blieb marginalisiert. Talente blieben oft unentdeckt oder gingen früh verloren.

Allein in den letzten 15 Jahren sind mehrere Milliarden Tenge in den kasachischen Fußball geflossen. Vor allem die Clubs der Premier Liga wurden großzügig unterstützt. Die Ergebnisse blieben jedoch hinter den Erwartungen zurück. In der Nationalmannschaft gab es kaum Fortschritte. Spiele gegen nur durchschnittlich starke Gegner wie Moldawien oder Aserbaidschan endeten oft mit Punktverlusten. Eine nachhaltige Entwicklung war nicht erkennbar.

Usbekistan dagegen nutzte seine vergleichsweise begrenzten Mittel viel effektiver. Die Förderpolitik konzentrierte sich auf die Jugend, deren Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit. Vereine wie Nasaf oder Pakhtakor entwickelten sich zu Ausbildungsstätten für nationale Talente. Diese erhielten bereits mit 17 oder 18 Jahren Einsätze im Profibereich. Und dann ist für sie ein Wechsel ins Ausland keine Sensation, sondern nur eine logische Folge ihrer Entwicklung.

Kasachstan verfügt ebenfalls über Talentzentren, doch viele bleiben in den Mühlen der Verwaltung stecken. Die Einrichtungen existieren, aber ihnen fehlt oft der Inhalt. Trainer werden nach Kontakten statt nach Qualifikation ausgewählt, Jugendteams spielen zu selten auf internationalem Niveau, Scoutingprozesse sind wenig systematisch. Der Unterschied liegt nicht im Geld, sondern in der Struktur.

Zwischen Hoffnung und Realität: Einzelfälle als Trostpflaster?

Die Nachricht, dass Dastan Satpajew einen Vertrag bei Chelsea unterzeichnet hat, elektrisierte die kasachstanische Sportöffentlichkeit. Endlich ein Talent, das es „geschafft“ hat – ein Hoffnungsträger für einen ganzen Fußballjahrgang.

Doch so sehr der Erfolg Satpajews auch gefeiert wird: Er ist derzeit eher eine Ausnahme als der Beginn eines Trends. Ein einzelner Transfer ersetzt kein System. Ohne leistungsorientierte Förderung, ohne internationale Spielpraxis und ohne professionelle Betreuung werden Talente wie Satpajew die Ausnahme bleiben.

Zum Vergleich: In Usbekistan ist ein Wechsel nach Südkorea, Japan oder mittlerweile auch nach Europa nichts Ungewöhnliches. Diese Transfers sind Teil einer gewachsenen Transferkultur, die früh auf Internationalität und Durchlässigkeit setzt. Junge Spieler werden gezielt aufgebaut, nicht bloß verwaltet.

Was auffällt: In der kasachstanischen Nationalmannschaft dominieren weiterhin eingebürgerte Spieler, vor allem aus Russland und dem Balkan. Sie bringen kurzfristige Stabilität, verhindern aber, dass eigene Spieler Spielpraxis auf hohem Niveau sammeln. Die einheimische Jugend sitzt auf der Bank oder kommt gar nicht erst in die Kader.

Dabei gäbe es Potenzial. In den Regionen gibt es fußballbegeisterte Kinder und Jugendliche. Doch zwischen einem Sportplatz in Kysylorda und einem Vertrag bei einem Erstligisten klaffen Welten. Es fehlt an strukturierten Ligen im Jugendbereich, an Sichtungsturnieren, an der Anbindung an Leistungssportzentren.

Das Problem ist nicht, dass Kasachstan keine Talente hat. Das Problem ist, dass es keinen verlässlichen Weg gibt, sie zu fördern.

Blick nach Deutschland: Vorbild mit Verbindung

Deutschland hat nach dem EM-Debakel 2000 radikal umgedacht. Der DFB verpflichtete alle Bundesligisten zur Einrichtung von Nachwuchsleistungszentren. Eine Trainerlizenz wurde Pflicht. Förderung wurde institutionalisiert. Der Lohn war ein WM-Titel 2014 und eine Vielzahl an Topspielern.

Kasachstan hat traditionell enge Verbindungen nach Deutschland. Kasachstandeutsche leben heute in beiden Ländern. Fachkräfteaustausch, Schulprojekte und Städtepartnerschaften bieten eine gute Basis. Doch in der Fußballentwicklung blieb der Know-how-Transfer bislang aus. Dabei könnte Kasachstan gerade von der deutschen Kombination aus System, Transparenz und Langfristigkeit profitieren.

Der Aufstieg Usbekistans zur Fußball-WM ist kein Wunder, sondern das Ergebnis systematischer Planung und harter Arbeit. Kasachstan hat ähnliche Voraussetzungen, nutzt sie aber nicht konsequent. Der Unterschied liegt nicht in den Genen, sondern in der Governance.

Der kasachische Fußball leidet unter mangelnder Autonomie, fehlender Kontrolle und zu viel Symbolpolitik. Großveranstaltungen, neue Logos und PR-Kampagnen können keine funktionierenden Ligen, keine gute Ausbildung und keine glaubwürdige Vision ersetzen.

Fünf notwendige Schritte für eine Wende

1. Finanzielle Unabhängigkeit fördern – Klubs müssen lernen, wirtschaftlich zu denken. Ohne private Sponsoren, transparente Budgets und wirtschaftliche Eigenverantwortung ist Entwicklung kaum möglich.
2. Akademien mit Substanz aufbauen – Es braucht nicht nur Gebäude, sondern auch Programme. Standards für Trainer, Scouting, Ausbildung und Übergänge in den Profibereich sind essenziell.
3. Lizenzierung und Kontrolle verbessern – Trainer und Funktionäre brauchen verpflichtende Weiterbildungen. Leistungsorientierung statt Freundesnetzwerke muss zur Regel werden.
4. Breitensport als Grundlage sehen – Fußball beginnt im Park, auf dem Schulhof, im Hinterhof. Ohne Masse keine Klasse. Infrastruktur und Zugang müssen verbessert werden.
5. Transparenz und Selbstkritik etablieren – Solange Probleme nicht benannt werden dürfen, können sie auch nicht gelöst werden. Berichtswesen, Medienarbeit und Fanbeteiligung sollten Teil eines neuen Selbstverständnisses werden.

Der kasachische Fußball steht am Scheideweg. Usbekistan hat vorgemacht, wie man mit Beharrlichkeit, Systemdenken und Förderung zur Weltspitze aufschließen kann. Kasachstan besitzt die Voraussetzungen, aber noch keine funktionierende Vision.

Die WM-Qualifikation unserer Nachbarn ist kein Grund zur Frustration. Sie ist eine Einladung zur Selbstreflexion. Wenn Kasachstan endlich beginnt, langfristig zu denken, ehrlich zu analysieren und nachhaltig zu investieren, ist der Weg zur WM möglich.

Doch solange der Fokus auf PR-Kampagnen statt auf echten Reformen liegt, bleibt die große Bühne eine ferne Illusion. Die entscheidende Frage lautet deshalb:

Will Kasachstan Teil der Fußballwelt sein oder bleibt es Zuschauer, wenn die Nachbarn Geschichte schreiben?

Ruslan Mussirep

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