Das westkasachische Atyrau war am 1. April Ziel einer Botschaftsreise. Angeführt vom deutschen Generalkonsul Hans-Jürgen Keilholz traf eine kleine Delegation von Wirtschafts- und Medienvertretern in der Öl- und Gasmetropole Lokalpolitiker, Unternehmer, Dozenten, Studenten und Repräsentanten der deutschen Minderheit. Neben anderem sollte das Terrain für die Einrichtung eines Honorarkonsulats am Ort sondiert werden.

/Bild: Ulrich Steffen Eck. ‚Links Asien, rechts Europa, getrennt durch den Oral – Manche Berufspendler in Atyrau wechseln täglich zwischen den Kontinenten.’/

Atyrau, die Hauptstadt des gleichnamigen Gebietes am nördlichen Kaspischen Meer in Westkasachstan, ist mit reichlich 132.000 Einwohnern keine große Stadt. Mit ihren Erdölraffinerien, dem Hafen am Fluss Oral (kasachisch; russisch: Ural), chemischer Industrie, Maschinenbau und einem Erdölterminal mit Pipeline nach Noworossijsk gehört die teils in Europa, teils in Asien gelegene Stadt allerdings zu den Wachstumslokomotiven Kasachstans.
Dem einen oder anderen mag die Stadt auch für ihren schwarzen Kaviar bekannt sein, der – im Unterschied zu Edelrogen aus anderen postsowjetischen Produktionsstätten – auch ins westliche Ausland exportiert werden darf. Grund hierfür sei die vergleichsweise Stör-freundliche Gewinnung der Delikatesse in der Fabrik am Oral, heißt es vor Ort.

„Die Menschen hier beklagen sich nicht“

Von den höheren Etagen des Gebietsakimats Atyrau auf dem europäischen Ufer des Oral aus lässt sich trefflich hinüber nach Asien schauen. Hier oben erwarten der stellvertretende Akim des Gebietes Atyrau, Serik Amangalijew sowie leitende Mitarbeiter der Gebietsabteilung Wirtschaft und Unternehmen die über Nacht aus Almaty angereiste Delegation.

Nachdem Amangalijew in seinen Grußworten die wirtschaftliche Situation des Gebietes Atyrau geschildert hat, legt Hans-Jürgen Keilholz die deutsche Sicht auf die Dinge im neuntgrößten Land der Erde dar und antwortet auf Fragen der kasachischen Seite.

„Ich bin begeistert, nach viereinhalb Jahren in der Berliner Zentrale wieder hier in der Region zu sein und zu sehen, wie sich Kasachstan entwickelt hat“, sagt der auf 13 Jahre Zentralasien-Erfahrung zurückblickende Generalkonsul und verweist auf einen trotz der Krise im Vergleich mit der Situation vor zehn Jahren guten Zustand der kasachischen Ökonomie.
Kasachstanreisende aus Deutschland würden laut Keilholz einhellig feststellen: „Die Menschen hier beklagen sich nicht, trotz aller Schwierigkeiten, die es gibt“. Die Wirtschaftszahlen seien beeindruckend und Kasachstan der wichtigste zentralasiatische Partner Deutschlands.

Mehr als 90 Prozent der deutschen Investitionen in Zentralasien würden hier getätigt.
Deutschland sei der einzige Staat, der Visastellen in Astana und Almaty unterhält. Nun bestehe die Absicht, auch in Atyrau mittels eines Honorarkonsulats die Ausstellung von Visa zu ermöglichen.

Deutsche – zu Dank verpflichtet

„Wir sind nicht glücklich, dass so viele Kasachstan verlassen haben und von etwa einer Million Deutscher noch etwa 200.000 übrig geblieben sind“, antwortet Keilholz auf eine entsprechende Frage von Frau Baktybai, die in Atyrau die Versammlung der Völker Kasachstans vertritt. Die Tür sei offen gehalten worden, weil die Minderheit leiden musste, nachdem Hitler die Sowjetunion angegriffen hatte. Deutschland sei dem kasachischen Volk zu großem Dank verpflichtet. Von älteren Russlanddeutschen höre man immer wieder, dass die Kasachen damals ihr letztes Stück Brot mit den in die Steppe deportierten Deutschen geteilt hätten.

Der Generalkonsul geht davon aus, dass die Abwanderung in den 1990er Jahren hauptsächlich wirtschaftlich motiviert gewesen sei. Die Deutschen aus Kasachstan seien laut Keilholz die am besten integrierte Einwanderergruppe in der Bundesrepublik. Großer Dank gebühre der Republik Kasachstan für ihre vorbildhafte Nationalitätenpolitik.

Andreas Schorle von der Visaabteilung des Generalkonsulats Almaty beantwortet die Frage, warum in Atyrau ein Honorarkonsulat geplant sei: Zunächst sei da der Service-Gedanke. In einem Flächenstaat wie Kasachstan müssten Deutschlandreisende in Visaangelegenheiten oft erhebliche Strecken zurücklegen. Außerdem würde auch Frankreich bereits ein Honorarkonsulat in Atyrau betreiben. Daneben könne eine solche Einrichtung durchaus auch Instrument bei der Stärkung des Bleibewillens von Deutschstämmigen in der Region sein.

Für den Verband der Unternehmer und Beschäftigten des Gebiets Atyrau erkundigt sich Frau Bekchoschijewa nach dem Investitionswillen deutscher Firmen vor Ort: Insbesondere der verarbeitende Sektor der Region solle gestärkt und damit die örtliche Wirtschaft weiter diversifiziert werden. Hans-Jürgen Keilholz verweist auf den mit reichlich 15 Millionen Einwohnern relativ kleinen Markt Kasachstans. Auch die Disparitäten zwischen ländlichem und urbanem Raum wären ein Investitionshindernis für größere Unternehmen. Deutsche Firmen würden den noch sowjetisch anmutenden Hang nach großen Unternehmensansiedlungen kritisieren, die unter den hiesigen Bedingungen aus ökonomischer Sicht unsinnig wären. Die in Kasachstan vorhandene Kaufkraft zöge eher kleinere und mittlere Unternehmen an. Bereits funktionierende Beispiele dafür seien KNAUF in Kapschagai und in Astana der Kunststoffrohrhersteller Amiantit.

Deutsche Muttersprachler erwünscht

Nächste Station der Botschaftsreise ist die Staatliche Dosmuchamedow-Universität. 50 Prozent der Sprachlerner – das sind an dieser Universität mehr als 500 Studentinnen und Studenten – wählen hier Deutsch, das bisher nach Englisch als zweite Fremdsprache angeboten wird. Aufgrund der hohen Nachfrage soll aber bald ein Studium mit Deutsch an erster Stelle möglich sein. Der Anteil ausländischer Studenten liegt gegenwärtig exakt bei Null.
Eine Studentin verweist auf ihren russlanddeutschen Hintergrund und fragt, ob sie nicht die Möglichkeit bekommen könne, kostenlos nach Deutschland zu reisen und dort ebenfalls kostenlos weiter zu studieren. Schließlich wolle sie sich mit dem Land auseinandersetzen, dessen Sprache sie lerne. Hans-Jürgen Keilholz verweist auf die Möglichkeit, sich um ein DAAD-Vollstipendium zu bewerben, fügt allerdings hinzu: „Dafür müssten Sie aber noch ein wenig besser Deutsch lernen“.

Eine andere Studentin kritisiert, dass die Benachrichtigungen zu Deutsch-Sommerkursen grundsätzlich zu spät in Atyrau eingehen würden und fragt, ob nicht die Möglichkeit bestünde, hier eine Zweigstelle des Goethe-Instituts zu eröffnen.

Besonders jetzt, angesichts der Wirtschaftskrise seien die Mittel auch in Deutschland knapp. Daher sei mit einer Goethe-Filiale in Atyrau zunächst nicht zu rechnen, meint der Generalkonsul. Mittlerweile sei doch aber das Internet ein Medium, in dem man sich entsprechend informieren könne.

Eigeninitiative regt Keilholz auch an, als die Frage nach Praktikumsplätzen bei deutschen Firmen in Atyrau aufkommt. Der Generalkonsul erklärt sich bereit, zur Orientierung eine Liste in der Region agierender deutscher Firmen zur Verfügung zu stellen und empfiehlt, mit der Delegation der Deutschen Wirtschaft für Zentralasien Kontakt aufzunehmen.

Kritik geäußert wird von einigen Studenten und Lehrkräften daran, dass deutsche Organisationen wie der DAAD, das Goethe-Institut und andere so wenig Präsenz in Atyrau zeigen würden. Bisher sei erst eine DAAD-Lektorin persönlich vor Ort gewesen, und das liege Jahre zurück. Man wünsche sich wenigstens einen deutschen Muttersprachler an der Universität, sei es im Rahmen eines Volontariats oder eines Studentenaustauschs. „Das Deutsch in Deutschland ist ein anderes als das, welches wir hier lernen“, beklagt eine Studentin. Hans-Jürgen Keilholz verspricht abschließend, das Problem mit den entsprechenden Entscheidern zu erörtern und ermutigt die Anwesenden, sich weiter mit Esprit für die deutsche Sprache zu engagieren. Englisch spräche jeder Taxifahrer; Deutsch mache den Unterschied, fügt der Generalkonsul augenzwinkernd hinzu.

Konkrete Projekte bitte!

Nach einem kurzen Besuch der Erdölraffinerie Atyrau ist der Sitz der russlanddeutschen Gebietsorganisation „Wiedergeburt“ das Ziel der Delegation. Leiter der Einrichtung ist Alexander Dumler. Offiziell leben im Gebiet Atyrau derzeit noch etwa 550 Russlanddeutsche.
Josef Schmal, Russlanddeutscher und Eigentümer einer Ölquelle beklagt, dass es schwierig sei, ein Geschäftsvisum mit mehrfacher Ein- und Ausreise zu bekommen. Ein solches wäre aber seiner geschäftlichen Tätigkeit, in deren Rahmen er des Öfteren nach Deutschland reisen müsse, sehr förderlich.

Auf die Frage nach der Zukunft sozialer Projekte verweist Hans-Jürgen Keilholz auf die Förderungsmöglichkeit so genannter Mikroprojekte durch den Europäischen Sozialfonds. Mit dem Programm „Lokales Kapital für soziale Zwecke“ (LOS) des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) werden kleine Projekte im sozialen Bereich gefördert.

Ungeplanter, aber passender Akzent am Ende des Tages ist eine spontane Einladung des Akims von Atyrau, Salimschan Nakpajew. Der Akim bringt ebenfalls seinen Wunsch nach mehr Kooperation und Interesse an deutschen Investitionen zum Ausdruck. Hans-Jürgen Keilholz weist darauf hin, dass hierbei auch infrastrukturelle Faktoren mit im Spiel seien, wie konkret im Beispiel der Firma KNAUF. Der vor allem für seine Gipskartonprodukte bekannte Baustoffproduzent warte auf die Fertigstellung einer weiteren Brücke über den Oral.
Weitere Botschaftsreisen in den Westen Kasachstans sind für den kommenden Sommer geplant.

10/04/09

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