Es erschließen sich einem doch immer wieder neue Kulturkreise. Um manche Kulturen kennen zu lernen, muss man in ferne Länder reisen. Andere kommen direkt zu einem ins Haus. Nachdem ich es nun schon mit Amerikanern, Osteuropäern und Asiaten, mit Kommunisten und Kapitalisten, Christen, Islamisten und Atheisten, mit Jägern, Kapitänen und Aussteigern zu tun hatte, durfte ich zuletzt mit einer ganz neuen Mentalität in Kontakt kommen – Einbrechern!

Na, so fremd ist uns die Einbrecherei als solche nicht. Wie ein Mensch zum Verbrecher wird und wie Halunken denken und fühlen, fasziniert uns seit jeher und wird ohne Müdigkeitserscheinungen immer wieder neu in den zahllosen Krimis aufgezeigt. Letztlich könnte es jedem von uns passieren, wir alle tragen in kleinerem oder größerem Maß kriminelle Energien in uns, die wir früher oder später rauslassen. Wer es bis ins hohe Alter schafft, diese gänzlich in Schach zu halten, der stiehlt spätestens im Altenheim den anderen Senioren ihren Nachtisch. In den Filmen sind die Spitzbuben gar unverschämt gut aussehende Sympathieträger, in die wir uns verlieben. Oder es sind unbeholfene trottelige Schmalspurganoven, mit denen wir Mitleid haben. Oder aber es handelt sich um Schurken, die abgrundtief böse und von Hass zerfressen sind, dass man ihnen nichts anderes wünscht als Strafe und Rache.

Wie es sich meist mit den Filmen und dem wirklichen Leben verhält – in der Realität sieht es ganz anders aus. Da ist der Einbrecher kein eleganter Meisterdieb oder cooler Gangster, sondern ein blöder oder verzweifelter Grobian, der nicht um die Ecke denken kann, sondern blindwütig draufhaut. Zumindest mein Einbrecher zählt zu dieser Sorte. Er hat zwar keine für die Spurensicherung relevanten Spuren hinterlassen, doch das war gewiss keine Taktik. Denn aus dem Chaos, das er hinterlassen hat, lässt sich rückschließen, dass es sich um einen ausgemachten Dummbatzen handelt. Was ich recht enttäuschend finde. Denn wenn man schon beklaut wird, dann doch bitteschön mit Stil und Würde! Aber nein! Ausgerechnet mein Einbrecher muss ein doofer Amateur oder wahnsinnig verzweifelt sein. Wahrscheinlich beides.
Meine Wohnungstür ist nämlich gar keine richtige Tür, sondern eine Zimmertür, die man auch nicht abschließen kann. Vielmehr eine Attrappe. Die hätte er mit einem Finger aufdrücken können. Stattdessen hat er sich wie ein Berserker mit viel Gewalt und Lärm am falschen Ende der Tür verausgabt, dass die Späne nur so flogen! Dann hätte er nach zwei Schritten in die Wohnung und den ersten Griffen in die Kisten unweigerlich erkennen müssen, dass es in meinem Plunder nicht viel zu holen gibt. Wäre er geschäftstüchtig und effektiv, hätte er sich schleunigst einen lukrativeren Ort gesucht. Aber nein, aus lauter Verzweiflung hat er ÜBERALL (sogar im Nähkästchen und in der Dose mit den Pfefferminzbonbons!) rumgewühlt und die Tasse mit den Cent-Stücken geleert (die Tasse, die er stehen gelassen hat, ist mehr Wert). In seinem Wahn hat er außer dem Laptop und 150 Euro wahllos Dinge eingesteckt, die eigentlich nichts taugen, alt aber nicht antik sind, für mich aber ideellen Wert hatten. „Du Schuft! Gib es wieder her!“ würde ich gern ausrufen.

Dass sich der Dieb unter der treuen Leserschaft dieser Zeitung befindet, ist zwar wenig wahrscheinlich, aber trotzdem möchte ich jede Gelegenheit nutzen, ihm nachzuspüren. Was eine Verzweiflungstat meinerseits darstellt. Denn dies haben die attraktiven Leinwandbanditen und mein 08/15-Alltags-Einbrecher gemeinsam: Sie werden nicht gefasst. Jedenfalls sind die Chancen äußerst gering, wie mir der nette Mann von der Spurensicherung sagte. Leider fehlt mir nun auch von ihm jedwede Spur (was wohl an seinem Beruf liegt), denn in meiner Realität hat er keine Nebenrolle, sondern ist der attraktive Held. Eine weitere Begegnung mit ihm wäre das einzig Gute an einer weiteren Begegnung mit einem Einbrecher. Aber ansonsten stellt der Kulturkreis der Einbrecher wahrlich keine Bereicherung dar, da einem im Gegenzug zu den materiellen Verlusten nicht mal Einblicke in interessante Denkwelten oder bravouröse Techniken gewährt werden. Einbrecher können mir in Zukunft am liebsten gestohlen bleiben.

10/10/08

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