Veganismus liegt schwer im Trend. Die strengste Form pflanzlicher Ernährung, die völligen Verzicht auf die Ausbeutung von Tieren bei Ernährung, Kleidung und jeglichem Konsum einschließt, stößt von Jahr zu Jahr weltweit auf größeres Interesse. Auch Kasachstan ist da keine Ausnahme.
Wir haben mit zwei Bloggerinnen über das Thema gesprochen. Eine von ihnen ist Madina Katter. Sie wohnt seit zwei Jahren in Berlin und ist erst in ihrer neuen Umgebung Veganerin geworden. Ihr Instagram-Blog @foodist.studio hat die aussagekräftige Beschreibung: „Wie man in Kasachstan ohne Fleisch und Zucker lebt, ohne zu sterben“. Anel Aitzhanova ist unsere zweite Gesprächspartnerin. Sie wohnt in Almaty, ist seit drei Jahren Veganerin, und führt einen Instagram-Guide zu Veganismus in Kasachstan namens @veganstan. Madina und Anel können uns erzählen, wie es mit Veganismus in Kasachstan aussieht und ob es überhaupt möglich ist, in einem Land mit vorherrschendem Fleischkult vegan zu leben.
Wie sind Sie zum Veganismus gekommen?
Madina: Mein ganzes Leben aß ich Fleisch und genoss jeden Tag Quark. Als ich 18-19 Jahre alt war, hatte ich kein Verständnis für Menschen, die kein Fleisch essen. Ich habe
einmal einer Freundin gesagt, dass ich nie mit einem Veganer ausgehen würde. Im Endeffekt bin ich mit einem Mann verheiratet, der nicht nur Veganer ist – sein Geschäft ist sogar mit einem veganen Produkt verbunden, nämlich mit Milch aus Erbsenprotein.
Veganerin bin ich in Berlin geworden. Lange dachte ich, Berlin ist die vegane Hauptstadt Europas, denn nahezu jedes Lokal bietet vegetarische oder vegane Gerichte an. Von meinem neuen Freundeskreis erhielt ich viele wissenschaftlich begründete Informationen zur pflanzlichen Ernährung, und diese neuen Kenntnisse brachten mich zu der Überzeugung, dass meine Ernährung nicht gut für meinen Organismus war. In der Familie galt ich als schwächliches Kind. Als Teenagerin trieb ich Sport und aß gesund, aber jeden Monat hatte ich Vergiftungen, und meine Blutanalyse entsprach nicht der Norm. Einen Monat nach meiner Ernährungsumstellung war mein Blutbild perfekt, mein Allgemeinbefinden und meine Haut hatten sich ebenfalls verbessert. Das war für mich ein anschaulicher Beweis dafür, dass ich mich auch weiterhin vegan ernähren sollte.
Anel: Ich bin durch den Wunsch nach gesunder Ernährung zum Veganismus gekommen. Mein Sohn und ich hatten kleinere gesundheitliche Probleme, und ich bin deshalb zur pflanzlichen Ernährung übergegangen. Danach habe ich von veganem Abolitionismus erfahren, und dieses Thema rief in mir ein Echo hervor. Oft wissen die Leute nicht, dass es beim Veganismus um Verzicht auf Ausbeutung geht. Wir erzählen Kindern, dass Kühe uns Fleisch und Milch geben und Bienen Honig. Aber tatsächlich gibt niemand uns etwas. Wir nehmen empfindsame Lebewesen, tun ihnen Gewalt an und gewinnen ihre Ausscheidungsprodukte. Veganismus ist ein moralisches Minimum, das wir alle erfüllen sollten, denn alle Tiere wollen leben ohne Leiden und haben ein Recht darauf. Darum geht es beim veganen Abolitionismus.
Wie ist Ihr Blog entstanden?
Madina: Die Geschichte von @foodist.studio ist ziemlich kompliziert. Meine beiden Großmütter haben Krebs durchgemacht. Als ich sie fragte, warum Krebs bei ihnen entstehen konnte, war ich schockiert, dass meine Nächsten nicht nachvollziehen konnten, dass die Anfälligkeit für Krebs sich jahrelang entwickelt und mit dem Lebensstil verbunden ist. Ich habe mit meiner Tante vereinbart, dass ich ihr Rezepte schicke. Sie kochte für die ganze Woche und schickte das Essen jeden Tag meinen Großmüttern, damit sie sich gesund ernähren konnten, ohne selbst zu kochen.
Ich wollte auch anderen Menschen helfen, deren Verwandte in dieselbe Situation geraten sind, und habe @foodist.studio gegründet. Sein Ziel war es, eine Gemeinschaft von Menschen zu bilden, denen ihre eigene Gesundheit und die ihrer Nächsten nicht egal sind. An „Foodist“ arbeiteten ich und noch vier weitere junge Frauen aus Kasachstan. Ich aus Deutschland brachte Ideen und Rezepte ein und die Mädchen passten alles an die kasachischen Bedingungen an. Zurzeit befindet sich „Foodist“ leider im Stillstand, denn ich habe einen neuen Job gefunden. Aber ich möchte, dass es weiterlebt.
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Anel: Mir gefiel es immer, Informationen zu systematisieren, und als ich Veganerin geworden war, speicherte ich sehr viele Orte, Produkte und Informationen auf Instagram. Und ich kam darauf, dass es schön wäre, diese Infos mit anderen zu teilen. In den Weiten des Internets gibt es eine Menge von Vegan-Communities, die sich treffen, miteinander diskutieren, einander Rat geben; und es wäre toll, so eine Gemeinschaft in Kasachstan zu bilden. Ich habe @veganstan gegründet und angefangen, Beiträge zu posten, und die Community ist schnell gewachsen. Wenn ich zum Essen ausgehe, treffe ich Vegetarier und Veganer. In vielen Cafés gibt es vegetarische Gerichte, das Angebot von alternativen Produkten wie veganem Käse, Würstchen oder Maultaschen wird immer größer, und das freut mich.
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Ist es leicht, in Kasachstan Veganerin zu sein?
Madina: Wenn ich Veganerin in Kasachstan wäre, würde es mir Spaß machen. Wenn man Veganismus nicht so wahrnimmt, dass man jeden Tag Tofu essen und Hafermilch kaufen muss, wird es viel leichter. Ich bevorzuge es, selbst zu kochen und möglichst wenige industriell verarbeitete Nahrungsmittel zu konsumieren. Obwohl es in Kasachstan nicht so viel Fleisch- und Milchersatz wie in Deutschland gibt, sind Obst, Gemüse und Bohnen viel billiger. An jedem Festtag bestelle ich vegane Leckereien für meine Verwandten in Almaty und Astana, und ich finde jedes Mal mindestens zehn neue lokale Bäckereien, die vegane Kuchen backen. Zu Neujahr hat meine Mutter mir ein Foto vom Esstisch ganz ohne Fleisch geschickt, und ich war sehr erfreut.
Anel: Ich glaube nicht, dass Vegan-Sein in Kasachstan sehr schwierig ist. Um vegan zu werden, muss die Denkart sich ändern. Bei mir hat es irgendwann Klick gemacht, und ich habe für mich begriffen, dass es nicht normal ist, Tiere zu essen und sie auszubeuten. Wenn man das Gefühl hat, dass Veganismus die einzig richtige Entscheidung zum Wohl von Tieren ist, kann man überall vegan leben. Oft sagt man, Veganismus sei teuer und kompliziert, weil man sich Luxus-Diäten mit Mango, Chia und Avocado vorstellt. In der Tat besteht die Grundlage veganer Ernährung aus ganz gewöhnlichen Produkten, die man auf dem Basar kaufen kann. Dazu gehören Bohnen, Getreide, Obst und Gemüse.
Glauben Sie, dass mehr Kasachstaner sich vegan ernähren sollten?
Madina: Ich reiße dieses Thema so feinfühlig wie möglich an. Aber ehrlich gesagt will ich schreien. Denn wenn du tolle Veränderungen in deinem Leben beobachtest und dieselben Probleme, die du durchgemacht hast, bei deinen Nächsten bemerkst, willst du deine Erfahrungen teilen. Wenn es um Ernährung geht, werden Menschen oft sehr abwehrend. Ernährung ist ein akutes Thema, und man ist oft nicht bereit, seine Meinung sofort zu ändern. Ich glaube, die Umstellung auf vegane Ernährung ist unvermeidbar. Es ist weder ein Trend noch ein Einfluss des Westens. Investitionen in Food-Start-ups oder Food-Technologien, die sich auf pflanzliche Produkte spezialisieren, sind an der Spitze. Das Wichtigste in der Umstellung auf eine neue Ernährung ist, für neue Informationen empfänglich zu sein und sie zu analysieren, statt sie nur abzulehnen wegen deiner Gewohnheiten oder Stereotypen.
Anel: Ich bin davon überzeugt, dass man sich unbedingt auf Veganismus umstellen sollte. Wenn man aus einer traditionellen kasachischen Familie stammt und sich vegan ernähren möchte, wird man verurteilt. Man klärt mich aggressiv über kasachische Fleischfresser-Gene auf und urteilt, dass ich an Eisen- und Kalziummangel leiden müsse. In der Tat hat man nie den Gehalt an Vitaminen, Kalzium und Eisen in pflanzlichem und tierischem Essen verglichen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass der Konsum von rotem Fleisch Krebs, Diabetes und Herzkrankheiten verursacht und das Risiko von Frühsterblichkeit erhöht. Man muss nur auf seinen Gehalt an Vitaminen B12 und D3 achten.
Ich habe ein Kind, und dafür wurde ich doppelt verurteilt. Man sagt, das Kind müsse die Wahl haben, warum quälst du ihn? Erstens, er ist mein Kind, und bis er 18 Jahre alt ist, wähle ich für ihn. Zweitens, wenn man tierische Produkte konsumiert, gibt man Tieren keine Wahl. Ich verzichte auf Gewalt gegen Tiere und dasselbe bringe ich meinem Sohn bei, erziehe ihn zur Empathie und Liebe zu Tieren.
Hinweis der Redaktion: Es ist zu bemerken, dass die Positionen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung und der American Dietetic Association zu veganer Ernährung sich grundsätzlich unterscheiden. Die DGE empfiehlt, während der Schwangerschaft, der Stillzeit sowie im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter nicht auf tierische Produkte zu verzichten. Ihre amerikanischen Kollegen sind da anderer Meinung. Auf jeden Fall sollte man sich von qualifizierten Fachkräften beraten lassen, bevor man die Entscheidung trifft, sich rein pflanzlich zu ernähren.