Ein französischer Wahlberliner, eine Kasachin, die in Deutschland lebt und ein Kasachstandeutscher. Eine zeitgemäß erfrischende Mischung aus Leuten, die dank des Goethe-Instituts Almaty das erste kasachische Magazin zu zeitgenössischer Kunst publizieren und damit ganz nebenbei Geschichte in Kasachstan schreiben.

Nach der Vorschau im Oktober (DAZ berichtete im Beitrag „ALUAN – Diversität in Zeiten der Umbrüche“) erfolgt nun die finale Präsentation des ersten kasachstanischen Printmagazins zur Kunst, was einen interessanten deutsch-kasachischen Produktionshintergrund in sich birgt.

Morgen ab 16 Uhr ist es soweit – im Kastejew-Museum Almaty kann man das Printexemplar der Zeitschrift „ALUAN“ begutachten und auch in die Hand nehmen. Haptik scheint ein Leitmotiv bei der Grundidee gewesen zu sein. Ging es doch Gaisha Madanova um ein einzigartiges Konzept von einer „Ausstellung auf Papier“. Wie sie immer wieder gern und voller Ehrfurcht erzählt, umgaben sie seit ihrer Kindheit die Bücher der umfangreichen Bibliothek mit Kunst-, Kultur und historischen Publikationen ihrer Eltern, durch die sie auch den Weg in die Kunst einschlug. Mit ALUAN begibt sie sich nun selbst in die Reihen der Herausgeber und produziert mit Kurator Thibaut de Ruyter und Designer Peter Hübert gleich ein Unikat – das erste unabhängige Magazin für zeitgenössische Kunst in Kasachstan.

Anregung zur Beschäftigung mit Kunst

Sein Unterscheidungsmerkmal ist die Ablehnung der klassischen Struktur einer Aufbauhistorie aus verschiedenen Rubriken, Interviews, Reportagen, Neuigkeiten und Kritiken. Einer solchen Entscheidung liegt ein außergewöhnliches Konzept des Magazins zugrunde, was einen Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst und kuratorisches Experiment bietet – eben das Format einer Ausstellung auf Papier. Durch seine vorrangig visuelle Herangehensweise an die kunsthistorischen Prozesse nicht nur in Kasachstan, sondern auch in der ganzen Welt, zielt das Magazin darauf ab, diese Informationen nicht nur einem professionellen oder interessierten, sondern auch einem breiten Publikum als Anregung zur Beschäftigung mit Kunst näherzubringen.

Da das Visuelle so entscheidend ist, ist es umso spannender, wie nach den ersten Etappen der Projektinitiierung, –planung und der kuratorischen Auswahl der Endprozess des Magazindesigns erfolgte. Naheliegend – dazu den Designer ALUANs, Peter Hübert zu interviewen und gleichzeitig seine Person ein wenig näher kennenzulernen.

Peter Hübert – diplomierter Designer, Fotograf und Künstler – geboren in Kasachstan, siedelte 1989 mit zehn Jahren mit seinen Eltern nach Deutschland aus. Er arbeitete als Grafiker und Fotograf für das kasachstanische Magazin „Esquire“, verantwortete das Design der Ausstellung „Gletschermusik“ (2013) des Goethe Instituts Kasachstan, die in Bischkek, Almaty, Duschanbe und Taschkent vorgestellt wurde. Zudem beteiligte er sich an dem internationalen Projekt „AGORA 2010“ und nahm an Gruppenausstellungen wie „that, what it is not“ (Künstlerhaus Dortmund, 2011), „Melancholy Man“ (Heimatdesign Gallery 2011), „Almaty, which I haven‘t noticed“ (Deutsches Theater Almaty 2010) am Videofilmfestival Loft ZECH in Bischkek (2011) teil.

Peter, wie kommt es zu eurem beherrschten, tiefen Grünton auf Plakat und Flyer?

Peter im Web: www.peterhuebert.com | Bild: Christian Kuhn

Die Wohnung von Gaishas Eltern ist einfach voller Bücher, alles ist komplett vollgestapelt. Auch das Atelier ist eigentlich nur ein Tisch in der Mitte, und der Rest ist zugepackt. Es ist eigentlich eine kleine Bibliothek, wo Leute sich einfach Sachen ausleihen und vielleicht auch nie wieder zurückbringen (lacht) – es ist ein wenig unübersichtlich. In der Vorbereitungszeit zum Projekt hatten wir uns eines Nachmittags nach erneuten Treffen mit Künstlern getroffen und einfach in Büchern gewühlt, um zu sehen, wie wir unsere Themen gestalten können und wo wir eigentlich hinwollen. Dort haben wir auch diesen dicken Wälzer wiedergefunden, eine Enzyklopädie, die einem die schöne Idee des Almaty der 80er Jahre erklärt. Es ist grün, es ist dick, und es hat eine goldene „Alma-Ata“ Inschrift auf die Vorderseite.

Darauf haben wir auch Bezug genommen mit einem Grün aus der Pantone-Palette und dem Aluan-Schriftzug. Ich muss wahrscheinlich so an die 200 Fotos von den Seiten dieses Buchs gemacht haben, das floss dann auch in den Gestaltungsprozess nach und nach ein, ohne diese Ästhetik jedoch nostalgisch zu kopieren.

Hast Du dich mit Absicht für eine geheimnisvoll anmutende Ästhetik entschieden?

Der Magazinumschlag sollte unifarben sein, lediglich kleine Details andeuten. Neben dem Titel „ALUAN“ auf der ersten, sind auf der kommenden die Auflagenummer „1“
und auf der letzten Seite der fiktive Name der „Papier-Ausstellung“ vermerkt „ART UPSIDE DOWN“.

Bist Du glücklich mit dem Endprodukt, denn es ist ja jetzt endlich geschafft?
Es ist gerade im Druck, und ich bin ziemlich aufgeregt, weil man nie weiß, was man am Ende bekommt. Es ist eigentlich nie 100%ig das, was man wollte. Es gibt immer etwas im Prozess, was sich am Ende von der eigenen Vorstellung unterscheidet. Aber ich vermute, es wird ganz gut, es ist eine gute Druckerei, und wir sind glücklich über die bisherige Zusammenarbeit. Es sind dann auch tatsächlich deutsche Heidelberger Druckmaschinen, deutsche Technik… (lacht)
Alles, was notwendig ist für ein gutes visuelles Produkt, wurde bereits entschieden, über Auswahl der Farben, über das Papier bis zur Bildbearbeitung.

Es ist nicht Dein erstes Projekt in Kasachstan oder Zentralasien. Was ist der Unterschied zwischen deutschen oder westeuropäischen Projekten und einem Projekt hier? Bist du vielleicht auch deshalb aufgeregt?

Gute Frage. Aufregend ist es immer, ein Magazin zu gestalten, etwas das im öffentlichen Raum ist. Die Erwartungshaltung der Menschen ist bei so einem Produkt immer hoch und natürlich bleibe ich davon nicht komplett frei. Auch die Auflage von 1000 ist nicht gerade klein, die Aufregung ist dann von solchen Umständen geprägt. Bei anderen Projekten in kleiner Auflage habe ich jeden Prozess nahezu eigenhändig durchführen können. Ich bin aber vor allem aufgeregt, weil es eine Publikation ist, die eine gewisse Bedeutung haben wird, weil es das erste Kunstmagazin auf dem kasachischen Territorium ist. Es ist aber auch immer wieder aufregend, für das Goethe-Institut zu arbeiten, es ist eine ganz andere Aufmerksamkeit, die diesen Projekten zuteilwird.

Bist Du eigentlich stolz darauf, dass die erste Zeitschrift für zeitgenössische Kunst in Kasachstan eine deutsch-kasachische Co-Produktion ist? Über welche Seite freust du dich persönlich mehr?

Bild: Ansicht Aluan

Stolz klingt natürlich sehr groß, aber ich denke man kann es so benennen. Wenn ich auf die deutsche Seite stolz sein müsste, wäre das ja die Produktionsseite, dann müsste ich ja auf mich stolz sein!

Da sind aber auch noch ein Franzose und eine Kasachin! Ich bin stolz und vor allem froh, dass ich dabei bin, was ich eigentlich einer Kette von Zufällen verdanke, angefangen damit, dass ich vor ein paar Jahren aus Neugier an meinem Herkunftsland und für mein Diplomprojekt kurzerhand nach Almaty gekommen bin.

Ist es wirklich ein Zufall? Meinst Du nicht, es ist ein Trend, diese Rückkehr in unserer Generation zu beobachten?

Es ist tatsächlich so, dass ich während meines Studiums an der FH Dortmund bemerkt habe, dass Aussiedler und andere Migranten an einem Punkt ihres Studiums auf die Idee kommen ihre Herkunft in irgendeiner Form zu thematisieren. Es sind vielleicht Fundstücke, die man in Kisten seiner Eltern gefunden hat oder etwas, was man in Glasvitrinen bei Verwandten stehen sieht, Fotoalben oder auch der erste Trip in das jeweilige Land. Das sind die klassischen Momente. Für manche ist das eine kurze Befriedigung, für andere ist das ein Thema längerer Beschäftigung. Bei mir kam das erst sehr spät mit einem ersten erwachten Interesse für Heimat. Ich habe mich in Europa immer sehr gut gefühlt, in Spanien studiert, aber im Hinterkopf immer die Idee gehabt, einmal an den Ort der Kindheit zurückzukehren.

Du hast die Frage eigentlich vorweggenommen, die jeden Spätaussiedler unseres Alters grübeln lässt – wo ist Deine Heimat?

Ich habe mich in der Teenagerzeit irgendwann beruhigt, um inneren Konflikten einfach aus dem Weg zu gehen und aufgehört, mich nach einem Zu Hause, nach einer Heimat zu fragen. Wo ist meine Identität? – Ich denke beide Kulturen spielen eine Rolle für mich. Wenn man genau zuhört, habe ich den Akzent und auch etwas von der Mentalität eines Russland– bzw. Kasachstandeutschen. Gleichzeitig habe ich eine sehr wichtige Zeit in Deutschland verbracht. Ich bin aber auch gut in Deutschland angekommen und fühle mich da sehr wohl. Nach den vielen Kasachstanreisen in den letzten zwei Jahren fühle ich umso mehr, dass beide kulturelle Hintergründe eine gleichwichtige Rolle spielen.

Meinst Du nicht, dass Leute wie Du Botschafter eines aktuellen heterogenen Deutschlandbildes sind?

Besonders, was die Zusammenstellung eures Goethe-Teams angeht mit einer kasachischen Studentin aus München, einem französischen Wahlberliner und eines Kasachstandeutschen könnte so ein Gedanke kommen?

Ja, wir sind in einer Mittlerrolle und das ist super. Dafür muss man vor allem auch dem Goethe-Institut danken, weil ich diese Offenheit bereits in einigen ihrer Projekte der letzten Jahre erleben durfte.

Auch, dass meine Herkunft Teil der Arbeit, wie damals in Bischkek werden konnte, hat mich bewegt. Ich bin auch einfach persönlich sehr glücklich darüber, durch diese Projekte die Zeit gehabt zu haben, Kasachstan so intensiv erleben zu können. Als ich zurückgekommen bin, bin ich sofort nach Berlin gezogen, weil ich auf diese ethnische Durchmischung, die man aus europäischen Großstädten kennt, aber auch hier in Kasachstan und speziell in Almaty vorfindet, nicht verzichten wollte. Mittlerweile reisen die Kasachen auch so viel, dass ich fast jede Woche Freunde aus Kasachstan zu Besuch habe. So muss ich sie nicht missen.

Bist Du bei der nächsten ALUAN-Ausgabe mit dabei?

Das Konzept sieht ja einen Wechsel des Kurators vor, um einen neuen Blick, neue Künstler und eine neue Ausgabe zu gewährleisten. Ich kann mir aber nach dieser intensiven Gründungszeit nicht vorstellen, dass Thibaut, nach dem er ALUAN mitbegründet hat, nicht mehr dabei ist. Was mich angeht – es ist noch lange hin, aber es wäre natürlich fantastisch, nächstes Jahr noch eine Ausgabe herauszubringen. Es wäre auch durchaus interessant, komplett neue Teams pro Ausgabe zu formieren.

Vielleicht habt ihr auch Trittbrettfahrer.

Ja, im besten Fall. Das fände ich ganz gut. Ich mag diesen Zeitschriftenladen in Berlin, das „Motto“, wo man in einem Wust von Publikationen, darunter viele Indie-Magazine, nahezu verloren geht. Ich wünsche mir für Kasachstan mehr Mut zu kleineren, unabhängigen Projekten, wie zum Beispiel Fanzines. Sich ein bisschen fallen zu lassen und mit einfachen Mitteln, vielleicht ganz ohne Geld kleine, schöne Projekte zu stemmen. Das müsste auch bei der kasachischen Mentalität und Spontanität möglich sein!

Das sehe ich sehr ähnlich, Peter mehr Mut zu Unabhängigkeit und Direktheit schadet nie. Vielen Dank, und ich freue mich auf meine morgige ALUAN-Ausgabe, die bald viele kleine Heimbibliotheken bereichern wird!

Das Interview führte Julia Boxler.

Bild: Ansicht Aluan

Das von der Künstlerin und Kuratorin Gaisha Madanova initiierte Magazinprojekt erscheint in drei Sprachen (Kasachisch, Russisch, Englisch) in einer Auflage von 1000 Stück und soll eine Alternative zur Organisation und Durchführung von Kunstausstellungen bieten – die Ausstellung auf Papier. Die erste Ausgabe der ALUAN wird mit Unterstützung des Goethe-Instituts und im Rahmen seines Regionalprojekts für Osteuropa und Zentralasien BRAIN MAP durchgeführt.

Die Künstler der ersten Ausgabe sind: Kuanysch Basargalijew, Bachyt Bubikanowa, Jelena Vorobyova und Viktor Vorobyov, Saule Djusenbina, Abylchan Kastejew, Galim Madanow, Saken Narynow, Katja Nikanorowa, Raschid Nurekejew, Ajatgali Tuleubek, Alexander Ugai, Alexej Schindin, Ada Yu.

Neben Gaisha Madanova und Peter Hübert ist der Kurator der ersten Ausgabe der Franzose und Wahlberliner Thibaut de Ruyter (Architekt, Kurator, Kunstkritiker).

Präsentation am Samstag, 28. November 2015, 16 Uhr im Kastejew-Museum Almaty, Koktem-3, Haus 22/1. https://www.facebook.com/aluanmagazine/

Julia Boxler

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