Ich bin vollkommen ungetauft und auch sonst unreligiös aufgewachsen. Einzig lernte ich schon im frühen Alter, gotische von romanischen Kirchen zu unterscheiden. Was mich weder damals noch heute wirklich weitergeführt hat. Im Rückblick betrachtet, wäre es hilfreicher gewesen, zu erfahren, was alles in so einer Kirche passiert. In der Schule wollte es auch nicht besser werden. Als Heidenkind hatte ich das Privileg, nicht am Religionsunterricht teilnehmen zu müssen.
Da ich aber damals noch gar nicht wusste, was ein Privileg ist und es eher als Bestrafung empfand, ganz allein auf dem gottverlassenen Schulhof zu stehen, bat ich darum, am Religionsunterricht teilnehmen zu dürfen. Meine Mutter war nicht ganz so begeistert, meine Lehrerin umso mehr. Und ich war ganz schön aufgeregt. Um mich nicht total zu blamieren, weil ich bei Null anfing und noch so gar nichts über Gott und Glauben wusste, wandte ich mich an meine Großmutter.
Als erstes wollte ich wissen, wie man betet und wie ein Gottesdienst abläuft. Meine Großmutter, die sonst immer alles wusste, auch wie das Wetter wird und wie man die weltbesten Frikadellen und Kuchen macht, hatte das erste Mal in meinem Leben keine Antwort parat. Bei dem Versuch, sich fach- und sachgerecht zu bekreuzigen, verhaspelte sie sich schon beim Text und als sie auch noch passend zum Text die Hand hier- oder dahin führen sollte, geriet sie völlig durcheinander. Auch beim Gute-Nacht-Gebet setzte sie mehrmals an und lenkte dann mit einem tschechischen Kinderlied ab, das ihr viel flüssiger über die Lippen kam und das auch, ehrlich gesagt, viel lustiger klang. Und tja, der Gottesdienst… So was müsse man selbst erleben, stahl sie sich aus der Affäre. Also besuchten wir einen. Meine Großmutter schlief sofort ein, und ich musste selber sehen, was ich davon habe. Ein Satz des Priesters leuchtete mir ein: „Ein Reicher, der nicht gibt, ist schlimmer als einer Armer, der nimmt“. Ja, schon, aber solche Weisheiten kann man auch einfacher bekommen als dafür ewig in einer Kirche zu sitzen, befand ich. Und damit endete meine kirchliche Sozialisation, was meine Entwicklung sicherlich nicht wesentlich beeinträchtigt hat. Aber immer wieder gerate ich in die Bredouille, weil ich mich im kirchlichen Geschehen so gar nicht auskenne. Ein kleines Handbuch „Kirchliche Regeln für Dummies“ wäre nicht schlecht. Das hätte ich zum Beispiel dringend gebraucht, als ich mich als Pflegehelferin inmitten vieler Nonnen wiederfand, doch davon ein andermal.
Heute stehe ich wieder doof da. Ich will nämlich Kirchenorgel lernen, und weil ich zum Üben folgerichtig eine Kirchenorgel brauche, brauche ich auch eine dazugehörige Kirche. Und da ich zwar gotische von romanischen Kirchen unterscheiden kann, aber damit niemanden und erst recht kein Gemeindemitglied beeindrucken kann, ist das gar nicht so einfach. Bei einer Kirche wurde ich aufgefordert, einen Antrag zu stellen, bald sei „Prospertärium“ (oder so). Um mir nicht noch vor Eintritt die Kirchentür vor der Nase zuschlagen zu lassen, tat ich fachkundig und sagte „Ah ja!“. Gleich nach dem Telefonat schaue ich bei Google nach. Da Google wie ich auch den Begriff „Prospertärium“ nicht kennt, sich aber wirklich immer Mühe gibt, führt mich das Programm durch die Begriffe ´Prosektorium` (was es in osteuropäischen Sprachen gibt, aber nicht in Deutsch), ´Prosektor` (jemand, der Bodenschätze erkundet), ´Raspartorium` (ein chirurgisches Instrument). Nix passendes dabei. Jetzt weiß auch Google nicht weiter, und ich mache es, wie man es früher gemacht hat, als es noch kein Internet gab: Ich frage einen kirchenkundigen Bekannten. Es handelt sich um das „Presbyterium“, und das heißt Kirchenvorstand. Das hätten wir! Aber am Ziel bin ich damit noch lange nicht. Denn erstens werde ich dieses Wort wahrscheinlich nie anwenden können, zweitens werden mir noch mindestens 33 solcher unbekannten Begriffe begegnen und drittens werde ich nicht immer sofort auf Google oder meinen Bekannten zugreifen können, wenn ich nur Bahnhof verstehe. Und sowieso fürchte ich, das war die kleinste Hürde, die mir die Kirche auf dem Weg zur Orgel in den Weg stellt. Denn wenn ich als Gegenleistung dafür, dass ich die Orgel malträtiere und abnutze, irgendwas tun soll, weiß ich nicht mal, wie man den Kirchhof kirchengerecht fegt. Herr, steh mir bei! Oder so.
Julia Siebert
28/03/08