„Financial Times Deutschland“ zur Nominierung Kirchhofs:
„Angela Merkel ist nach Angaben der CDU-Spitze der Überzeugung, mit Kirchhof einen Coup gelandet zu haben. Der ehemalige Verfassungsrechtler vertrete „sowohl in der Steuer- als auch der Familienpolitik radikale Ansätze“, die das Reformimage der Union stärken würden. Hinzu komme, dass er es auch verstehe, Ideen – etwa die radikale Senkung der Einkommensteuer bei Streichung aller Ausnahmeregelungen – in der Öffentlichkeit zu verkaufen. In Teilen der CDU wird mit Wohlwollen gesehen, dass Kirchhofs Vorstellungen in der Steuerpolitik noch ambitionierter sind als die des ehemaligen Finanzexperten Friedrich Merz, der das ursprüngliche CDU-Steuerreformmodell entwickelt hatte. Da der CSU Merz Vorstellungen zu weit gingen, einigten sich die CDU und CSU auf ein Kompromiss, der nun im Wahlprogramm steht. Der Name Kirchhof weckt beim Reformflügel der CDU Hoffnungen, dass sich Angela Merkel, falls es zu einer Koalition mit der FDP kommen sollte, zu einer ehrgeizigen Steuerreform durchringen könnte. Versöhnlich stimmt die CSU die gesellschaftspolitisch konservative Haltung Kirchhofs. Fixpunkt seiner finanzpolitischen Entwürfe ist die in seinen Augen zu geringe Zahl von Kindern, die in Deutschland geboren werden. Im Kern will Kirchhof die Steuer- und Sozialsysteme kinderfreundlicher gestalten. In seinen Reden beschwört Kirchhof gern den wirtschaftlichen und kulturellen Niedergang des Landes, sollten sich die Deutschen nicht wieder stärker für Kinder und Familie entscheiden. Kirchhofs Vorstellungen könnten für Merkel allerdings auch zum Problem werden. Im Wahlkampf ist der Steuerexperte nicht nur wegen seiner radikalen Reformpläne, sondern auch wegen seines Konservativismus angreifbar. Bei gesellschaftspolitisch liberal eingestellten Schichten, die sich von Merkels Stil angesprochen fühlen, eckt er an. Die SPD reagierte prompt: Genüsslich suchte die Wahlkampfzentrale der SPD Zitate Kirchhofs heraus, in denen er sich erst kürzlich gegen eine Mehrwertsteuererhöhung ausgesprochen hatte, da „die Erhöhung der Mehrwertsteuer immer diejenigen trifft, die kleine Einkommen haben und diese verkonsumieren. Das sind vor allem die Familien, die ihre Kinder ernähren müssen“.Auch das konservative Weltbild Kirchhofs belegte die SPD akribisch, etwa seine Haltung gegenüber Alleinerziehenden. „Kinder wachsen am besten in der Geborgenheit von zwei Eltern auf. Das ist das Modell unseres Grundgesetzes, der Normalmaßstab“, sagte Kirchhof in einem Interview“.
(„Financial Times Deutschland“, Hamburg, 16. August 2005)