Klaus Hurrelmann war Redakteur der DDR-Illustrierten „FREIE WELT”, die von der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft herausgegeben wurde. Er publizierte 2001 das Buch “Meine irreparablen Kindheitsschäden oder: Der erste darf kein Schwein sein”, in dem er auch über seine Erinnerungen an Kasachstanaufenthalte schreibt. Es gab seinerzeit einen Reporteraustausch zwischen den Redaktionen in Ostberlin und Zelinograd. Heute ist er Rentner und lebt in Berlin. Auf Initiative von Nelly Frank, der Frau eines Freundes des Autors, und der Erlaubnis von Klaus Hurrelmann lesen Sie im Folgenden die Fortsetzung des Buchauszugs, der die Zeit in der „Freundschaft“ betrifft.

[…] Die Steppe ist eine herbe, nichtsdestoweniger reizvolle Landschaft, nach der ich ehrlich Fernweh empfinde. Oder ist es eine Art Heimweh? Sie erschließt sich nicht auf den ersten Blick. So schilderte ich meine Wahrnehmungen: „Sie scheint mir wie ein riesiger Teppich. Ein Teppich, dessen Flausch abgewetzt, niedergetreten ist. Grün und Gelb in wohl tausend Abstufungen mache ich aus, doch alles ist fahl, nirgendwo leuchtet ein satter Farbton. Braunes Gras raschelt im steifen Wind. Golden steht vertrocknetes Schilf. Tiefschwarze Brandstellen zerstören hier und dort diese Palette von Pastelltönen. Dann wieder nackte Stellen mit kläglich bleichem Sand. Eine einzige kräftige Farbe zeigt mir die Steppe – Matten aus tief weinrotem Moos. Flammend wie Herbstlaub. In der Hitze tanzende Luftmoleküle gaukeln einen fernen See vor – Fata Morgana. Als sich das Auge an der Weite erschöpft hat und nach Einzelheiten zu spähen beginnt, fallen mir vereinzelte Blumen auf. Nicht langstielig, nur eine Handspanne hoch. Weiß und Gelb. Eng zusammengedrängt. Das sieht aus wie diese buschigen Kunstblumenpfeile, die Zauberkünstler bisweilen trickreich aus dem Bühnenboden wachsen lassen…“

Es war Liebe auf den ersten Blick. Noch verlor sie nichts von ihrer sanften Glut. Wiewohl mich vieles davon abhält, wieder dorthin zu reisen. Ich traf in Kasachstan eine relativ freundlich miteinander auskommende Menschenmelange. Genügsam, stolz, fleißig, gastfreundlich und zugänglich. Asiaten und Europäer. Gläubige und Atheisten. Muselmanen und Christen. Ob von ihrer toleranten Lebensart noch etwas zu spüren ist? Was richteten islamische Fundamentalisten, obskure Nationalisten und kapitalistische Entwicklungshelfer bereits aus… oder an? Besser nicht Augenzeuge sein? Hatten unversöhnliche Gegensätze, wie sie in Tschetschenien, Bergkarabach oder Tatarstan aufbrachen, dort bereits zu meiner Zeit geschwelt? Versteckt unter einer mit Leninschen Sprüchen bestickten dünnen Decke, drübergebreitet von beflissenen Natschalniks, denen dabei Schergen des KGB ebenso hilfreich wie gefährlich im Nacken saßen?

Meine Wege im Sowjetland führten mich fast ausschließlich zu einfachen Menschen. Ich habe mit ihnen gesprochen, fand bei ihnen in der Bauernstube Unterkunft, ohne wachsame Begleiter. Als massenhafte Erscheinung konnte ich Völkerhass unter Nachbarn und Kollegen nicht ausmachen. Im Gegenteil, wie vielen „gemischtnationalen“ Liebespärchen begegnete ich. Wie viele multinationale Brigaden besuchte ich. Wie viele Leute lernte ich kennen, die glücklich in einer „Mischehe“ lebten und Eltern süßer Kinder waren. In Schulklassen, Kindergärten und Pionierzirkeln wuselten blonde und schwarze, bleichgesichtige und dunkelhäutige, kuller– und schlitzäugige Knirpse arglos durcheinander. Das konnte nicht vorgespielt sein, das war Alltag. Was da jetzt in der ehemaligen UdSSR an nationalistischem Hader losgetreten wurde, hat gewiß nicht nur die Fehler des Sowjetsystems zur Ursache. Die wären anders zu bereinigen als mit der Kalaschnikow. Da ist eine Portion Globalstrategie mit im blutigen Spiel.

1984 platzte in mir eine lyrische Ader, als ich mit Helmut Heidebrecht von unserer abenteuerlichen „Reise zu den Tschabanen“ zurückgekehrt war: „Bisweilen ist mir so, als sollte ich widerrufen. Meinen Glauben an die Kugelgestalt der Erde nämlich. Wenn ich da so inmitten der unüberschaubaren Steppe Kasachstans oder auf einem endlosen Feld stehe, scheint es mir einfach unwahrscheinlich, daß unsere gute alte Erde ein Riesenball sei… […]

>> Die Fortsetzung dieses Buchauszugs lesen Sie in den nachfolgenden Ausgaben

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