Serikzhan B. kann mit seinen 38 Jahren schon auf eine bewegte Lebensgeschichte zurückblicken: Geboren in Kasachstan, aufgewachsen in Usbekistan und mit 19 Jahren alleine nach Deutschland ausgewandert, ist er 2022 in sein Geburtsland zurück gekehrt. Die DAZ traf Serikzhan im Park des Ersten Präsidenten in Almaty.
Serikzhan, du bist damals alleine nach Deutschland ausgewandert. Wie kam es dazu?
Ich ging in Taschkent zur Schule, da meine Eltern, noch als ich klein war, zurück nach Usbekistan gezogen sind. Nach der Schule mussten wir im Militär dienen. Ich war auf dem Land untergebracht, ganz ohne Mobilfunknetz. Allerdings hatte ich schon Kontakt zu einer Au-Pair-Familie in Hamburg. Nur mit der Hilfe meiner Mutter konnte ich diesen Kontakt halten.
In Deutschland angekommen, wie hat es dir dort gefallen? Gab es Kulturschocks?
Nein, ich hatte das Gefühl, sehr gut nach Deutschland zu passen, gerade von der Mentalität. Ich mag es, geradeaus zu sein und wenn alles seine Ordnung hat. Kulturschocks gab es daher keine.
Wie hat es dich nach NRW verschlagen?
Mit der ersten Gastfamilie gab es Schwierigkeiten. Es passte nicht so gut. Daher wechselte ich nach Siegen in der Nähe von Köln. Die Familie hatte drei Kinder, um die ich mich kümmerte. Noch während des Au-Pair-Jahres schrieb ich mich an der Uni Siegen für Wirtschaftsinformatik ein und beantragte das Studienvisum.
Es war nicht einfach, da anfangs mein Deutsch noch nicht perfekt war. Allerdings lernte ich viel von den Kindern. Ich denke, Kinder sind die besten Lehrer. Sie können gut erklären und nehmen sich mehr Zeit. Die Beamten in der Ausländerbehörde sind manchmal weniger freundlich, haben weniger Geduld. Visa, die mehr als ein Jahr galten, konnte man umwidmen. Daher konnte ich mein Au-Pair-Visum gegen ein Studienvisum tauschen.
Wie hast du deinen Lebensunterhalt finanziert?
Ich habe viel gearbeitet. Als Au-Pair gab es nur ein Taschengeld. Da ich die Kinder mit dem Auto brachte, bekam ich noch etwas extra. Später arbeitete ich auch als Küchenhilfe. In einem italienischen Restaurant, bei McDonalds und in einem Burgerladen. Diese Jobs waren die schlimmsten. In der Küche ist es einfach zu heiß und die Arbeitszeiten gingen teilweise bis zwei Uhr nachts. Auf Dauer ist das nicht gut.
Ich wohnte dann im Studentenwohnheim und fand eine Anstellung als Lagerarbeiter. Die Firma verschickte Tapeten in alle Welt. Im Sommer brauchte eine lokale Brauerei Saisonkräfte, also arbeitete ich auch dort. Die Gutscheine für kostenlose Bierkästen, die sie mir schenkten, konnte ich aber nicht einlösen, da ich damals kein Auto hatte.
Nach dem Lager arbeitete ich in Stahlfabriken als Maschinenreiniger. Das war ein ungesunder Job. Wir trugen immer Maske und durften nach einer Stunde Arbeit eine halbe Stunde Pause machen um frische Luft zu schnappen.
Unter Zuwanderern ist die Ansicht weit verbreitet, dass es schwierig ist, in Deutschland deutsche Freunde zu finden. Welche Erfahrung hast du damit gemacht?
Also, das war nie ein Problem für mich. Mir ist es leicht gefallen, auf der Arbeit oder in der Uni Freunde zu finden.
Wann bist du nach Köln gezogen und was ist aus deinem Studium geworden?
Das war 2012. Ich war dort erst ein, zwei Monate arbeitslos. Dann fand ich einen Job in einer Kartonagenfabrik, wo ich meinen Staplerschein machte. Für das Studium habe ich lange gebraucht (lacht). Das lag an der vielen Arbeit nebenher. 2012 habe ich einen Werkstudentenjob als Entwickler gefunden. 2014 habe ich dann das Diplom 2 bestanden.
Und dann lief das Studienvisum ab?
Ja, aber Deutschland gibt Absolventen die Möglichkeit, ein Visum für die Arbeitssuche für 16 Monate zu beantragen. Dafür bin ich sehr dankbar. Deutschland hat mehr für mich getan als mein Heimatland. Inzwischen sehe ich mich eigentlich als Deutschen an.
Hast du die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt?
Ja, ich habe seit 2019 den deutschen Pass. Eigentlich war es einfacher, die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen, als die usbekische abzulegen. Dafür habe ich ganze vier Jahre gebraucht. Für die Staatsbürgerschaft musste ich einen Test machen, aber nur über das politische System. Weil ich an einer deutschen Uni studiert habe, musste ich den Sprachtest nicht machen. Aber eine Bedingung war, dass ich 60 Monate in die Rentenversicherung eingezahlt habe. Und ein Arbeitsplatz. Ich habe als Entwickler bei einer großen Baufirma und einer Kölner Versicherung gearbeitet. Später noch beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben.
Wie hat dir Köln gefallen?
Ich war auf den ersten Blick in Köln verliebt, besonders in den Kölner Dom, Karneval, die fröhlichen Leute, Kneipen und das Nachtleben. Als Student war ich oft in Köln unterwegs. Mit dem Alter hatte ich weniger Spaß an Karneval, aber Köln hat mehr zu bieten, was Kultur angeht. Köln nimmt für immer einen besonderen Platz in meinem Herzen ein. Dort habe ich auch meine Frau kennen gelernt. Sie ist aus Almaty. Das war 2013, sie studierte Europawissenschaften in Flensburg. Zu dem Zeitpunkt hatte ich Russisch schon fast verlernt (lacht).
Wie ging es dann weiter?
Ich habe meiner damaligen Freundin in Köln den Heiratsantrag gemacht. Ein Freund hat an Orten, an denen wir schöne Erlebnisse hatten, Blumen verteilt. Wir kamen an diesen Orten vorbei, sodass sie am Ende einen Strauß Rosen hatte. So gingen wir zur Deutzer Brücke. Für 100 Euro hatte ich Straßenmusikanten engagiert, die dort spielten. Und an der Brücke, mit Blick auf den Rhein und den Dom, habe ich sie gefragt. Und sie hat ja gesagt.
Herzlichen Glückwunsch! Wo war die Hochzeit?
In Usbekistan. Hier in Almaty gab es die Uzatu-Feier, dort wird die Braut von ihrer Familie verabschiedet. Von meiner Seite waren nur wenige Verwandte dabei. Aber meine Mutter schenkte ihrer Mutter einen Ring und hängte meiner Verlobten Ohrringe an. Das ist Tradition.
Die Seite der Braut kam auch mit nach Usbekistan?
Auch nicht viele. Es war mehr wie zwei Feiern, eine dort, eine hier.
In traditionellen Familien ist es verboten, dass unverheiratete Paare zusammen leben. Wie war es bei euch in Köln?
Offiziell durften wir das auch nicht (lacht). Wir hatten getrennte Wohnungen in Köln.
Welche Staatsbürgerschaft hat deine Frau?
Sie ist auch Deutsche. Auch unsere kleine Tochter hat daher den deutschen Pass. Sie heißt Liesel. Wie Diesel, nur mit L (lacht). Sie ist zwei Monate alt. Ihr Nachname ist Bekzhanov, wie meiner. Eigentlich sollte sie Bekzhanova heißen, aber das ging mit der deutschen Bürokratie nicht. Für ihre Zukunft hier ist das nicht gut.
Wie war es, nach Kasachstan auszuwandern? Bist du ein Kandas? (ethnische Kasachen, die keine Staatsbürgerschaft der Republik Kasachstan besitzen, Anm. der Red.)
Ja, da ich ethnischer Kasache bin, bin ich ein Kandas. Trotzdem war es nicht einfach. Für die Erlaubnis, hier wohnen zu dürfen, muss man zwar nicht wie für ethnische Deutsche zum Beispiel einen gewissen Betrag auf dem Konto nachweisen. Dennoch gab es ein Interview, in dem ich gefragt wurde, warum ich zurückkehre. Obwohl meine Frau und ich den Antrag zusammen einreichten, wurde nur ich eingeladen.
Was war der Grund, warum ihr von Deutschland nach Kasachstan wolltet?
Meine Frau mochte Deutschland zwar, aber ihr fehlte die Familie. Deshalb kamen wir hierher. Für mich ist es auch interessant, diese neue Erfahrung zu machen, da ich hier noch nie richtig gelebt habe.
Wie hast du dich hier eingelebt?
Ehrlich gesagt noch immer nicht so gut. Ich hoffe, dass das noch besser wird. Zum Beispiel wenn ich Gruppen für gemeinsame Aktivitäten finde, zum Wandern vielleicht. Irgendwie vermisse ich Deutschland. Irgendwann möchte ich zurück nach Europa. Ich brauche Abwechslung. Vielleicht als nächstes nach Spanien oder Portugal. Wenn die Kleine etwas größer ist.
Deutschlands Bürokratie gilt als kompliziert und unverständlich. Was ist dein Eindruck?
Ja, ab und an war es kompliziert. Die kasachische Bürokratie kann aber auch verwirrend sein. Manchmal widersprechen sich Informationen. Eigentlich wurde mir gesagt, dass ich als Resident ein normales Nummernschild bekomme. Aber ich habe noch immer das gelbe für Ausländer. Was hier besser funktioniert, sind Unternehmensgründungen und Zahlungsmittel.
Wie bist du jetzt beschäftigt?
Ich arbeite als selbstständiger Softwareentwickler. Meistens für deutsche Klienten. Wegen der Zeitverschiebung beginnt mein Arbeitstag daher erst nachmittags.