In manchen Lebenslagen reden alle gern mit, und jeder weiß Bescheid. So auch, wenn es – wie in meinem Fall – um die Ermittlung von Krankheiten geht. Ich bin ein wenig angeschlagen, nichts wirklich Ernstes, aber diffus, so dass sich meine persönlichen Berater und Gesundheitsexperten herrlich austoben dürfen.

In knapper Zusammenfassung: Mir ist oft schlecht und schwindelig. Wahrscheinlich eine profane Magenschleimhautentzündung und ein Halswirbelsäulensyndrom – was immerhin eindrucksvoll klingt, ein Syndrom, das ist schon was! Ist aber in Wahrheit auch nicht so spektakulär. 0815–Kränkeleien, die jeder schon mal hatte. Aber das wäre natürlich viel zu langweilig, Nein, meine Freunde gönnen mir exklusivere Krankheiten, die mehr hermachen. Mein Nachbar schlägt eine Histaminvergiftung vor. Wie er denn darauf komme, frage ich. Er hat darüber in der Zeitung gelesen. Aha! Alternativ bietet er noch eine Bleivergiftung an. Er scheint ein Vergiftungsexperte zu sein. Was diese Erkrankung attraktiv macht, ist der Umstand, dass sie seinerzeit Herr Beethoven hatte. Da er aber daran gestorben ist, leide ich doch lieber an etwas anderem. Polyobakter (oder so), befindet meine Mutter. Weil sie es selbst schon mal hatte. Meine Freundin steuert aus ihrem Erfahrungsschatz eine Gallenentzündung bei. Inzwischen habe ich 111 verschiedene Diagnosen, darunter auch unterschiedliche Vorschläge vom Heilpraktiker, Homöopathen, der Hausärztin und Orthopädin, dem Radiologen und Hals-Nasen-Ohren-Arzt.  Woran sich alle gern festhalten, ist mein Sturz vom Akrobatiktuch, den ich jetzt nicht mehr verheimlichen kann. „Aha! Siehste! Habe ich doch immer schon gewusst, dass das gefährlich ist“, stimmt fast jeder ein. Meine Versuche zu erklären, warum das trotz Sturz eigentlich und an sich doch gar nicht so gefährlich ist, werden nur mit strengem Blick und Kopfschütteln beantwortet. Dass ich damals nicht sofort zum Arzt ging, hat mir schon allerlei Schimpftiraden eingehandelt. Aber man schimpft nicht nur mit mir, sondern kümmert sich auch fürsorglich um mich. Alles gut gemeint, vieles mehr oder weniger hilfreich. Wenn man krank ist, braucht man Vitamin C, weiß meine Mutter, und bringt mir viele Tütchen Zitronenpulver zum Aufgießen. Kann ich nicht trinken, zu sauer für meinen Magen. Nein, das ist nicht sauer, meint Mutter. Doch, Zitrone ist sauer. Nein, ist es nicht, ist ja auch Magnesium drin. Ich mag es nicht glauben und probiere es einfach. Beim ersten kleinen Schluck ziehen sich mir Zunge, Gaumen und Magen zusammen. Dingdong! Meine Freundin kommt kurzerhand, keine Widerrede, und kocht mir, vehement entschlossener, meiner Erschöpfung den Garaus zu machen, ein Krankenmahl. Sie brutzelt Gemüse an, sehr gut, genau das soll ich essen. Doch wie sich herausstellt, war das eher Nebensache, schließlich kommt die eigentliche Zutat, das Gemüse wird unter einem großen Berg Hackfleisch begraben. Tja, eigentlich ist derzeit auch Fleisch von der Liste gestrichen, überhaupt alles Fette. Aber weil ich mich so über ihre freundschaftliche Unterstützung freue, lasse ich es mir trotzdem schmecken. Seele und Gaumen müssen ja auch bedient werden. Am hilfreichsten ist der Physiotherapeut, der mich gezielt handgreiflich wieder zurechtrückt. Und ich muss gar nicht viel machen. Ich hatte schon befürchtet, ich müsse bei der Krankengymnastik selbst aktiv werden, aber bis auf ein paar Übungen, die er mir als Hausaufgaben mitgibt, erhalte ich Massagen. Sehr angenehm. Alles in allem fühle ich mich mit diesen Malessen, Arztbesuchen, den Gesprächen über die Krankheiten und der Schondiät wie eine Seniorin! Und tatsächlich, ich altere, wurde bei der Gelegenheit festgestellt. Nicht nur der Aufprall hat Spuren hinterlassen, sondern es ist auch Arthrose erkennbar, Verschleiß! Jetzt bin ich nicht nur krank, sondern werde auch noch unaufhaltsam älter, Unverschämtheit! Dass ich selbständig bin und keine Versicherung für einen längeren krankheitsbedingten Ausfall abgeschlossen habe, hilft auch nicht gerade. Aber dass jetzt nach der Winterpause alle wieder Akrobatik trainieren, nur ich nicht, dass alle Alkohol und Kaffee trinken dürfen, nur ich nicht, dass alle Schnitzel und Sahnetorte essen dürfen, nur ich nicht, empört mich zutiefst! Hauptsache, zum Karneval bin ich wieder fit!!! Na, bis dahin sind es ja noch drei Wochen. Herr Physiotherapeut, legen Sie mal einen Zahn zu!

Julia Siebert

30/01/09

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