Berlin ist für viele talentierte junge Menschen aus Zentralasien zu einem neuen Zuhause geworden. Mit dieser Interviewreihe möchte ich verschiedene Erfahrungen dieser jungen Menschen sammeln, deren Leben ohne Kunst unvorstellbar ist. Ich lade Sie zu dieser Reise ein, auf der wir mehr über die Geschichten erfahren, die sich hinter diesen talentierten Menschen verbergen.

Meine erste Gästin heißt Aisulu, oder Ais, sie ist eine junge Musikerin aus der Kleinstadt Kara-Balta in Kirgisistan, die seit drei Jahren in Berlin lebt und sich als Sängerin entwickelt. Wir haben viel über ihren Weg zur Musik, die kreative Gemeinschaft aus Zentralasien in Berlin, ihre ersten Auftritte und ihre Pläne für die Zukunft gesprochen.

Wie hat der kreative Pfad von Aisulu angefangen?

Die Musik begleitet Aisulu seit ihrer Kindheit: „Ich habe schon immer geübt – seit ich sechs Jahre alt war, bin ich zur Musikschule gegangen, und es hat mir immer sehr viel Spaß gemacht. Meine Eltern haben mich nie gezwungen, Klavier zu spielen oder Unterricht zu nehmen. Ich bin immer gerne zur Musikschule gegangen. Ich hatte wunderbare Lehrer, die mich verstanden und nicht zu viel verlangten, was meiner Meinung nach für Kinder sehr wichtig ist. In der Musikschule lernte Aisulu Klavier, Chor und Gehörbildung.

Musik wurde für sie zum Ausdrucksmittel und Experimentierfeld. Auf die Frage nach dem Genre ihrer Musik gibt Aisulu zu, dass es für sie schwierig ist, dieses zu definieren: „Es ist immer schwierig für mich, diese Frage zu beantworten…. Meine Freunde nennen es Indie, also ist es wohl Indie“, womit sie und ihre Freunde wohl auf das Indie-Kunstgenre anspielen, dessen Hauptmerkmal ist, dass diese Künstler ihre Kunst unabhängig von (independent of) kommerziellen Interessen betreiben.

„Manchmal willst du die Dinge spüren, die man vermisst, wenn man von zu Hause weit weg ist“

Aisulu sagte, dass sie in Berlin eine kreative Gemeinschaft aus Zentralasien gefunden habe, die ihr eine echte Unterstützung sei. „Es gibt wunderbare Projekte wie Novastan und KSAG, die Partys für junge Zentralasiaten organisieren. Dieses Jahr wurde ich eingeladen, dort aufzutreten. Früher bin ich nur gekommen, um Spaß zu haben, Freunde zu treffen und die Dinge zu spüren, die man vermisst, wenn man von zu Hause weg ist. Sie freut sich darauf, von ihren Freunden und Kollegen zu erzählen, mit denen sie die Bühne und die Inspiration teilt. In einer Großstadt wie Berlin, sagt sie, ist es besonders wichtig, Menschen um sich zu haben, die die eigene Kultur verstehen und einen in seinen kreativen Bemühungen unterstützen.

Aisulu ist bereits auf zwei großen Veranstaltungen in Berlin aufgetreten: dem kasachischen Fest und dem Zentralasiatischen Fest in Berlin. „Früher bin ich nur ausgegangen, um Spaß zu haben, aber dieses Jahr hat sich alles verändert: Ich konnte meine eigenen Songs spielen. Früher habe ich Coversongs gespielt, aber jetzt werden meine eigenen Kompositionen auf diesen Bühnen gespielt, und das ist unglaublich.“ Sie betont, wie wichtig es für sie war, Menschen zu treffen, die sie unterstützen und ihr die Möglichkeit geben, sich auf der Bühne zu verwirklichen. Jetzt geht es nicht mehr nur darum, aufzutreten – es ist eine Möglichkeit, ihre Gefühle auszudrücken und ihre Musik mit anderen zu teilen.

„Alles, was tiefst in der Seele von mir ist, spricht Kirgisisch“

Wir haben viel über die Sprache diskutiert und darüber, wie Aisulu ihre Lieder schreibt. „Wahrscheinlich klingt das witzig, aber ich wähle nicht aus, in welcher Sprache ich meine Lieder schreibe“, erzählt sie. Aisulu meint, dass sich die Gedanken abhängig vom Kontext und vom Thema wie von selbst in der jeweils passenden Sprache erfassen lassen. Es ist nicht immer einfach für sie, eigene Gefühle auf Kirgisisch oder Russisch zum Ausdruck zu bringen, aber auf Englisch gelingt es ihr schon: „Das kann damit verbunden sein, dass wir einfach weniger in unseren Sprachen darüber sprechen. Es ist irgendwie nicht anständig, zu emotional zu sein!“

Sie überlegt nie, worum es im nächsten Lied gehen wird: Die Musikerin meint, dass man nicht darauf kommt, indem man sich vorab bewusst ein Thema auswählt, sondern nur dann, wenn man sich von allem Anderen abstrahiert und den Gedanken freien Lauf lässt. Viele unserer Wünsche und Ideen gehen im Alltag verloren und verschwinden und sie werden nur dadurch überwunden, wenn man das eigene Gehirn davon befreit. Aisulu meint, dass es für sie eine therapeutische Bedeutung hat, wenn sie sich zu einer Art Meditieren mit einem Stift und einem Blatt Papier hinsetzt. Sehr oft, nachdem man wieder erwacht, sieht man vor sich einen Text, der aus einer Mischung aus mehreren Sprachen besteht und der doch all das reflektiert, was jeden Tag um einen herum im Ausland passiert.

„Ich möchte meine Erfahrungen weitergeben und sehen, wie meine Schüler ihre Stimme finden und sich selbst in der Musik entdecken“

Als Studentenjob gibt Aisulu Gesangsunterricht in einem Studio, das ihre Freunde Nikita und Isabell eröffnet haben. „Sie haben ihr Studio von Grund auf neu aufgebaut, viel Arbeit hineingesteckt und sich zum Tontechniker ausbilden lassen. Letztes Jahr schlug unser gemeinsamer Freund Vlad, der auch Künstler ist, vor, ein Live-Video von einem meiner Songs in diesem Studio zu drehen. Das war meine erste Erfahrung, aber schließlich wurden wir alle Freunde und verbringen seitdem viel Zeit miteinander“, so die Künstlerin.

Aisulu arbeitet aktiv an ihrem ersten Album, von dem sie hofft, dass sie es bis Ende des Jahres veröffentlichen kann. „Es gibt viele Pläne, die Ideen sind super vielfältig, aber im Moment ist es das Wichtigste, einen Song zu schreiben und ein Album herauszubringen.“ Neben der Musik studiert sie Film an der Freien Universität Berlin und arbeitet nebenbei. Trotz ihres vollen Terminkalenders bleibt die Musik der Mittelpunkt ihres Lebens.

Aisulus Geschichte ist ein Beispiel dafür, wie die Musik Menschen aus verschiedenen Ländern zusammenbringen, eine Brücke zwischen den Kulturen schlagen und ihnen helfen kann, ihren Platz im Leben zu finden, auch wenn sie weit weg von ihrem Zuhause sind.

Darya Koppel

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