Ob die gepuderte Perücke des Preußenkönigs Friedrich des Großen oder das Doppelkinn des Reformators Martin Luther, die Buchcover der beiden letzten Romane des Schriftellers Thorsten Becker (51) zieren historische Persönlichkeiten. Doch der Wahlberliner schreibt keine Biographien, sondern verwebt kunstvoll verschiedene historische Ebenen zu einer neuen Geschichtsschreibung. Im Rahmen der Feier des 20-jahrigen Jubiläums des DAAD-Lektorats an der Kasachischen Abylaj Khan Universität für Internationale Beziehungen und Weltsprachen las Thorsten Becker aus seinem Luther-Roman „Das ewige Haus“ über Kasachstan, dem Zufluchts- und Verbannungsort vieler Deutscher in den Tagen des Zweiten Weltkriegs.

/Bild: Christine Karmann. ‚Thorsten Becker liest aus seinem neusten Roman „Das ewige Haus“’/

In Thüringen hat Thorsten Becker über den deutschen Reformator Martin Luther recherchiert, in Kasachstan, wo die zweite Erzählebene seines neusten historischen Romans „Das ewige Haus“ spielt, ist der Schriftsteller das erste Mal. Die Schilderungen des Landes, in dem seine Romanfigur, die Biographie der Ehefrau Martin Luthers Katharina von Bora vollenden soll, welche sein Freund Gisbert Gutsche nach seinem Freitod hinterlassen hat, sind fiktiv. Historisch verbrieft ist dagegen das Schicksal des Schriftstellers Jochen Klepper, der 1942 mit seiner jüdischen Ehefrau Johanna und deren Tochter Renate den Freitod wählte, und den Thorsten Becker im Roman Gisbert Gutsche nennt.

Jochen Klepper schrieb bis zuletzt an einem Luther-Roman, in dessen Mittelpunkt Luthers Ehefrau stehen sollte, die ehemalige Nonne Katharina von Bora. „Das ewige Haus“ sollte dieses Buch über das erste deutsche Pfarrhaus symbolhaft heißen. In Erinnerung hat Thorsten Becker den Titel für sein Porträt Luthers übernommen, in dem vor der Atmosphäre der Sowjetunion am Ende des Zweiten Weltkriegs auch die Geschichte Jochen Kleppers entzaubert wird, sozusagen ein historischer Roman über die Entstehung eines historischen Romans.

Spiel mit Dichtung und Wirklichkeit

„JUBEL“ – mit diesem Ausruf beginnt Thorsten Becker seine Lesung aus seinem Luther-Roman „Das ewige Haus“ im Rahmen der Feier des 20-jahrigen Jubiläums des DAAD-Lektorats an der Kasachischen Abylaj Khan Universität für Internationale Beziehungen und Weltsprachen. „Das musste so laut sein, denn das Wort Jubel ist im Text großgeschrieben“, sagt Thorsten Becker. Der Schriftsteller hat Erfahrungen als Schauspieler, deswegen macht es Spaß, dem komplizierten Spiel mit Dichtung und Wirklichkeit zuzuhören.

Thorsten Becker ist nicht ins sowjetische Alma Ata gereist, auch nicht in die quirlige Perle Südkasachstans Almaty, sondern ins beschauliche Ala-Muti, wie es auf seiner chinesischen Fahrkarte heißt. Standesgemäß trägt der Autor ein mit goldenen Drachen besticktes Hemd. „So laufen die auch in China nicht mehr rum“, sagt Thorsten Becker. Drei Monate hat der Autor mit dem Grenzgänger-Stipendium der Robert Bosch Stiftung für sein nächstes Werk recherchiert und ist noch ganz überwältigt von der ungeheuren Kraft und dem technologischen Aufstieg des östlichen Nachbarn Kasachstans.

Privat ist der Schriftsteller mit dem Fahrrad schneller als dem Porsche. Seine dickbändigen Werke entstehen, man glaubt es kaum, aus der Feder des Autors. „Ich drehe den Füller um und schreibe mit der Spitze“, sagt Thorsten Becker. „Eine DIN-A-4 Seite, geschrieben mit der Füllerspitze, ergibt später 14 gedruckte Buchseiten.“ Ein Verfahren, das ihn nach eigenen Angaben zu einem der produktivsten deutschen Autoren macht.

Neukonstruktion der Geschichte

Bekannt ist Thorsten Becker, der sowohl Gedichte, essayistische und autobiographische Texte als auch dramatische Szenen schreibt und aus dem Französischen übersetzt, für seine acht Romane. 1985 debütierte er mit der Erzählung „Die Bürgschaft“. Die Geschichte über einen Westberliner Schriftsteller, der für einen Ostberliner Kollegen bürgt, indem er an seiner Stelle zurückbleibt, wurde von Marcel Reich-Ranicki enthusiastisch rezensiert. Das Grenzthema spiegelt sich auch in den folgenden Romanen wieder, bis der Autor beschloss, weiter in der Geschichte zurückzugehen, um die gesellschaftlichen Entwicklungen zu untersuchen. „Der Versuch einer Neukonstruktion deutscher Geschichte“ ist Thorsten Becker ein Anliegen.

Seine Sprache beschreibt er als ein Deutsch, das sich auch im Laufe der Zeit entwickelt. „Es ist anregend, im Ausland zu leben und die Muttersprache nicht im Alltag zu verschleißen“, sagt Thorsten Becker. In die französische, italienische, russische, spanische und arabische Sprachwelt ist der Schriftsteller schon eingetaucht. Sein neuer Leistungssport sind die chinesischen Schriftzeichen. „Eine Delikatesse“, sagt Thorsten Becker.

Von Christine Karmann

04/06/10

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