Die Dichterin Marina Chen lebt seit 1982 in St. Petersburg. Sie wurde 1970 in Almaty geboren. Seit ihrer Jugend nimmt sie an Gedichtwettbewerben, kreativen Zirkeln und schöpferischen Abenden teil, ihre Gedichte wurden in vielen Zeitschriften publiziert. Ihr Gedicht „In dieser Laternenstadt“ kennen alle Fans der Rockgruppe „Notschnyje snaipery“. DAZ-Mitarbeiterin Aljona Judina sprach mit der Autorin.

Frau Chen erzählen Sie bitte über Ihren Schaffensweg. Was hat sie animiert, ihr erstes Gedicht zu schreiben, und wie sind Ihre anderen Gedichte entstanden?

Mein erstes Gedicht habe ich mit fünf Jahren geschrieben. Ich, wie viele kleine Kinder, warf sehr gern meine Spielsachen in meinem Zimmer umher. Das ärgerte meine Mutter. Zuerst hat sie mich in vorwurfsvollem Ton gebeten, Ordnung zu schaffen. Ich habe das nicht gemacht. Dann hat sie mir gesagt, dass ich mich wie ein Ferkel benehme. Aber ich war zu faul, Ordnung zu schaffen, und ich wollte das auch meiner Mutter sagen. So ist mein erstes Gedicht entstanden: Es ging so: Die Mütter sagen oft zu ihren Kindern „Ferkel“ / Aber dabei vergessen sie, dass Ferkel die Kinder von Schweinen sind. /Als ich meiner Mutter das vorgelesen habe, dachte ich, dass sie mit mir schimpfen wird. Aber es kam ganz anders. Meine Mutter war gerührt und hat selbst Ordnung gemacht. Einmal, als ich sieben Jahre alt war, kam meine Mutter sehr traurig nach Hause und weinte. Ich wollte ihr helfen. Und plötzlich entstand im meinem Kopf ein Gedicht darüber, dass das Unglück verschwindet und ein Wunder geschieht. Dieses Gedicht habe ich meiner Mutter einfach vorgelesen. Sie hat zugehört und mich gebeten, es ihr noch einmal vorzulesen. Plötzlich begann sie zu lächeln. Wahrscheinlich konnte ich schon damals die Kraft, die Gedichte haben können, fühlen. Und was meine Gedichte anbetrifft, wie sie entstehen, weiß ich selbst nicht. Verschiedene Emotionen, besonders die Liebe, führen dazu, dass die Seele und die Gedanken sich vereinigen und Gedichte zustande kommen. Echte Gedichte denke ich mir nicht aus, sie erscheinen selbst.

Jeder Mensch hat in seinem Leben schon Gedichte geschrieben, aber nur wenige machen daraus einen Beruf. Wie haben Sie sich die Lust am Schreiben erhalten?

Ich denke, nicht jeder hat schon einmal geschrieben, aber viele… Viele versuchen es zuerst mit dem Gedichteschreiben. Aber nicht alle machen das professionell. Sehr wenige Menschen sind wirklich talentiert. Einige dichten, weil sie es brauchen. Andere dichten, weil es ihnen Spaß macht. Einige können dichten, haben aber keine Lust dazu, andere würden sehr gern, aber sie sind nicht in der Lage oder können nicht schreiben, weil sie das ABC des Dichtens nicht kennen. Einige schreiben nur für sich, andere für die Menschen. Und es gibt sogar Leute, die Poesie ganz und gar nicht mögen. Jeder Mensch hat seinen Weg, seine Bestimmung. Alles hängt davon ab, wozu man die Gedichte braucht.

Für einige ist „Dichter“ Beruf, für andere Lebensart. Wie sehen Sie das?

Jeder Dichter hat ein ganz persönliches Verhältnis zu seinem Schaffen. Meiner Meinung nach ist literarisches Schreiben kein Beruf. Das ist Gesinnung, Ausdruck seiner Weltanschauung, oder, wie Sie richtig bemerkt haben, Lebensart.

Wann fallen Ihnen die besten Gedichte ein – abends, morgens, im Winter, im Frühling?

Alles hängt vom Zustand der Seele ab. Aber oft dichte ich abends vor dem Schlafen. Manchmal morgens, sofort nach dem Erwachen. Und sehr selten am Tag. Und was die Jahreszeit betrifft: Als ich jünger war, habe ich im Frühling zusammen mit den ersten warmen Sonnenstrahlen Gedichte geschrieben. Später nutzte ich den Altweibersommer und den Herbst. Aber besonders erfolgreiche Schaffensperioden kommen, wenn ich verliebt bin. Und die Verliebtheit unterwirft sich weder der Jahreszeit noch einer Tageszeit.

Sie sind in Almaty geboren. Erinnern Sie sich an Ihr Leben in dieser Stadt?

Aus dieser wunderbaren Stadt sind wir weggezogen, als ich zwei Jahre alt war. Ich erinnere mich an das Eisstadion Medeo und den Springbrunnen neben dem Auesow-Theater.

Kennen Sie das Sprichwort „Seien bitte vorsichtig mit ihren Träumen, weil sie in Erfüllung gehen können”? Stimmt das und glauben Sie, dass Träume den Menschen helfen können?

Ja, das sehe ich auf jeden Fall auch so! Deshalb denke ich, dass ein Mensch, der einen Traum hat, die Besonderheiten und Nuancen nicht vergessen sollte. Und wenn man etwas Großes im Leben erreichen will, muss man nicht nur davon träumen, sondern man muss auch Ziele haben und diese zu erreichen suchen. Und wenn man einfach nur träumt, kann man das ganze Leben mit diesen unerfüllten Träumen leben und nichts bekommen.

Was ist für Sie das Glück?

Jeder versteht Glück verschieden. Meiner Meinung nach kann man in allen Lebenssituationen positive Momente finden und diese Momente genießen. Man muss in der Lage sein, sich glücklich zu fühlen.

Was ist Ihnen an den Menschen besonders wichtig?

Ich mag keine dummen und geizigen Leute und habe Angst vor hinterlistigen, bösen und unanständigen Menschen. Besonders schätze ich Anständigkeit, Zuverlässigkeit, Verstand und Güte.

Frau Chen, Ihre neue CD haben sie „Beichte einer Frauenrechtlerin“ genannt. Sind Sie eine Frauenrechtlerin?

Nein, ich bin keine Frauenrechtlerin. Und dass Männer stärker als Frauen sein sollen, das glaube ich nicht. Psychologisch sind die Frauen viel stärker als die Männer. Deshalb leben dumme Frauen sehr gut, weil die Männer sich mit ihnen als Helden fühlen.

Frau Chen, vielen Dank für das Gespräch!

17/11/06

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