Maria Gliem aus Frauenwaldau, dem heutigen Bukowice in Polen, hat einen Teil ihrer Kindheit als Vertriebene verbracht. Ihre Flucht führte sie nach Hessen, wo vor 70 Jahren die ersten Heimatvertriebenen ankamen. In ihrer heutigen Heimat trägt Gliem dazu bei, dass ihre Erinnerungen an die Zeit in Polen und die Flucht nicht in Vergessenheit geraten. Aus diesem Grund hat sie ihre Geschichte aufgeschrieben. Die DAZ veröffentlicht mit ihrer Erlaubnis Auszüge aus ihrer Niederschrift.

In Kreibau (Krzywa) ging es uns nicht gut, der Bürgermeister wollte uns nicht haben. Die Leute aus Neumarkt fuhren nach zehn Tagen wieder nach Osten, wurden aber wieder zurückgejagt. Wir wollten eigentlich auch mit, aber wir waren alle krank und schafften es nicht, und so blieben wir dort. Die nächste Kirche war zehn Kilometer entfernt in Haynau (Chojnów). Das war schade, denn in ihr fanden wir immer wieder Trost.

Unserem Hansel ging es immer schlechter, er hat nur noch gewimmert. Mutter half dem Gastwirt auf dem Feld, Tante Agnes im Haus. Am 23. Juli 1945 verstarb Hansel. Tante Agnes hat um 3.30 Uhr nach ihm gesehen, aber da war er schon für immer eingeschlafen. Mutter ist fast zusammengebrochen, und wir waren alle entsetzt und sehr traurig. Nach vielen Bitten bekamen wir eine Kiste für ihn. Am 24. Juli haben wir ihn beerdigt. Das Grab hat Opa ausgehoben. Tante Agnes und Frau Frenzel trugen ihn, sich abwechselnd, zum Friedhof. Opa sagte, er wird wohl auch bald hinterhergehen. Wir waren alle sehr erschüttert, es war der erste Todesfall in unserer Familie.

Den Sommer über blieben wir in Kreibau. Hier gab es eine Kochkäsefabrik, die total verwüstet war, aber aus einem Haufen Stroh konnten wir ein paar Pfund Käsepulver ausbuddeln. Das Pulver konnte man mit Milch aufkochen, sofern man welche hatte, und das gab Kochkäse. Doch meistens fehlte uns die Milch. Die Russen im Dorf hatten eine große Herde Kühe, die waren hellgrau und hatten riesige Hörner, etwa 2,50 Meter Ausladung. So was hatten wir noch nie gesehen. Die Frauen aus dem Dorf und auch unsere Mutter gingen jeden Tag zum Melken. Wir hatten immer Angst um sie, aber es gab einen Liter Milch dafür. Im nahe gelegenen Wald gab es auch viele und sehr große Heidelbeeren. Die Sträucher waren etwa
80 Zentimeter hoch und die Beeren so groß wie Sauerkirschen. Wir haben Unmengen geholt, und was wir nicht aufessen konnten, haben wir getrocknet. Einkochen war nicht möglich, wir wollten ja weiter und wie sollten wir die Gläser transportieren?

In dem Wald gab es auch Unmengen von Steinpilzen. Wir Kinder sind jeden Tag mit einem Handwagen in den Wald und haben Körbe voll Pilze geholt. Opa saß wochenlang im Hof, putzte und schnitt die Pilze, die dann in der Sonne getrocknet wurden. Das war unser Fleischersatz für die nächsten Jahre. Wir haben auch viel Ähren auf den Feldern gelesen, die Körner herausgerebelt, getrocknet und in der Kaffeemühle gemahlen. So haben wir uns einen Vorrat an Schrot angelegt. Da wir schon wochenlang kein Salz hatten, nahmen wir Viehsalz zum Kochen. Die Folge davon war, wir hatten alle einen entzündeten Mund. Die Mahlzeiten wurden so zur Quälerei.

Maria Gliem

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