Missverständnisse faszinieren mich seit jeher. Nur zu leicht verursacht man sie selbst, meist bekommt man sie gar nicht mit, und selten gelingt es, sie wieder auszuräumen. Und wenn viele Menschen auf engem Raum den ganzen Tag miteinander verbringen, ergibt das ein herrliches Potpourri an Missverständnissen. Wie zuletzt auf einer Hochzeit, auf der ich acht Missverständnisse gezählt habe. Ich beschränke mich auf vier.

Missverständnis Nr. 1: Mit einem alten Bekannten hatte ich viel zu erzählen und viel anzustoßen: aufs Wiedersehen, auf ihn, auf mich, auf die guten alten Zeiten. Als angemessenes Getränk wählten wir Whisky. Ich weiß nicht mehr, was ich sagte, aber er verstand: „ein Shot“ – und kippte seinen Whisky in einem Zug runter. Ich dachte: Nanu, der weiß aber nicht, wie man kultiviert Whisky trinkt, das liegt vielleicht daran, dass er Iraker ist und Whisky im Irak nicht zu den gängigen Getränken gehört. Er hatte sich seinerseits gewundert, dass ich solch eine Unsitte vorschlage, und hatte sich mir zuliebe darauf eingelassen. Zusätzlich wunderte er sich, dass ich ihn so unfreundschaftlich mit dem Kippen alleine ließ und entgegen unserer Abmachung an meinem Glas nippte. Wir konnten das Missverständnis zwar ausräumen, aber betrunken war er trotzdem.

Missverständnis Nr. 2: Während der Trauung, ausgerechnet kurz vor dem Ja-Wort klingelte ein Handy. Niemand fühlte sich zuständig, bis ich die Handtasche identifizierte, aus der es klingelte. Jetzt wurde die Handtaschenbesitzerin hektisch, schaffte es aber nicht, das Gerät auszuschalten. Das Handy war groß und rosa. Ich dachte: Typisch, so ein chices Gerät haben wollen, aber nicht damit umgehen können. Die Dame outete sich als Russin, und ich dachte: Na ja, vielleicht ist es auf russischen Hochzeiten nicht so schlimm, wenn Handys klingeln und sie weiß nicht, dass man auf deutschen Hochzeiten mucksmäuschenstill sein muss. Aber es war ganz anders. Wie sie mir erzählte, hatte sie dieses Handy gefunden, und nun rief die Besitzerin an, der sie allerdings deutlich gemacht hatte, dass sie während der Zeremonie auf gar keinen Fall gestört werden dürfe. Bei den anderen Gästen blieb das Missverständnis ungeklärt, und bei ihnen ging die Dame als „die, die kurz vorm Ja-Wort das Handy hat klingeln lassen“ in die Erinnerung ein, wie mir die Braut kürzlich erzählte.

Missverständnis Nr. 3: Ein Gast meinte ganz sicher festzustellen, dass sich die Braut einer Brustveränderung unterzogen habe. Ich kann nur hoffen, dass er keine Tratschtante ist und mir glaubt, dass das ganz sicher nicht der Fall ist, da solch eine Nachricht extrem anfällig für das Stille-Post-Syndrom ist. Und wenn Missverständnis, Tratschtante und Stille-Post-Syndrom bei einem so heiklen Thema aufeinandertreffen, dann will ich mir die Folgen lieber nicht ausmalen.

Missverständnis Nr. 4: Ein Gästepaar ist Hals über Kopf vor der abendlichen Party abgereist und hat das dem Brautpaar per SMS mitgeteilt. In der Kurznachricht kamen Grund und Dringlichkeit der plötzlichen Abreise nicht deutlich zum Ausdruck, was das Brautpaar verstimmte. Das abgereiste Paar denkt wahrscheinlich, mit der SMS sei alles geklärt, das Brautpaar hingegen wartet immer noch auf den klärenden Anruf. Ein wahrscheinliches Missverständnis hat zu deutlichem Missmut geführt. Je länger es ungeklärt bleibt, desto sicherer bleibt ein bitterer Nachgeschmack daran haften.

Und ich will gar nicht wissen, was sich sonst noch so zugetragen hat.

Julia Siebert

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