Ende 2022 hat das Berliner Museum für den Kalten Krieg sein Haus Unter den Linden 14 bezogen. Im Mittelpunkt steht die wissenschaftliche Sicht auf die Epoche nach Ende des Zweiten Weltkrieges bis zur Wiedervereinigung Deutschlands. Stationen sind die Blockbildung nach 1945, die nukleare Bedrohung, die Kuba-Krise sowie die internationale Spionage, das Wettrüsten und Stellvertreterkriege. Auch der Wettbewerb in Sport, Wirtschaft, Wissenschaft, Forschung und Technik wird thematisiert.

Ein zerlöcherter Eiserner Vorhang direkt an der Fensterfront ist der erste architektonische Bezug zum Kalten Krieg – darauf acht Politikergesichter, die in dem Kontext eine Rolle gespielt haben. Vor ihnen hängt eine sowjetische Flugabwehrrakete von dem Typ, mit dem 1961 das US-amerikanische Spionageflugzeug U2 abgeschossen wurde. Dessen Pilot wurde später gegen einen sowjetischen Spion ausgetauscht, und zwar auf der Glienicker Brücke zwischen Westberlin und Potsdam.

Wie Schachfiguren hinund hergeschoben

Weitere besondere Ausstellungsstücke sind u. a. ein Original-Steuerknüppel eines Apollo-Raumschiffes (Leihgabe des Technik-Museums Speyer), ein Fernschreiber für den direkten Draht zwischen Moskau und Washington während der Kubakrise (1963 in Karl-Marx-Stadt – jetzt wieder Chemnitz – gebaut, mit kyrillischer und arabischer Schrift), ein Nachbau des sowjetischen Satelliten Sputnik 1, die Original-Fackel der Olympischen Spiele 1972 in München. Die über sie erzählten Geschichten verbinden die verschiedenen Ausstellungsstücke miteinander.

Ein weiterer architektonischer Bezug auf den Kalten Krieg ist ein schwarz-weiß-karierter Boden. Er soll daran erinnern, dass nur allzu oft Menschen und Staaten wie Schachfiguren hin- und hergeschoben werden und Schach spätestens mit dem legendären Endkampf um die Weltmeisterschaft zwischen Boris Spasski und Bobby Fischer 1972 in den Kalten Krieg hereingezogen wurde.

Vorwissen ist nicht erforderlich

Besonders Jugendliche, Schulklassen und Menschen, die den Kalten Krieg nicht miterlebt haben, können und sollen hier erste Einblicke in die Zeit zwischen 1945 und 1991 bekommen; Vorwissen ist nicht erforderlich. Nicht zuletzt deshalb wird vieles auch über Smartphones zugänglich, mit deren Hilfe man sich direkt mit den Mediastationen verbinden kann, zum Beispiel um Zeitzeugengespräche anzuhören.

Außerdem soll mehr und mehr an „erweiterter Wirklichkeit“ (augmented reality – AR) und „scheinbarer Wirklichkeit“ (virtual reality – VR) angeboten werden. So können Besucherinnen mithilfe einer VR-Brille den berühmten Sprung eines DDR-Grenzsoldaten über den Stacheldraht in den Westen nacherleben, dessen Foto um die Welt ging. Der Sprung wurde mit Schauspielern nachgespielt und ist aus verschiedenen Perspektiven erlebbar, auch aus der des fliehenden Soldaten.

Zur Straße blickt das Museum mit schreiend blauen und roten Wänden und mehrfachem QR-Code nebst der Aufforderung „Nicht scannen!“ – was man aber natürlich doch tun soll. Drinnen dagegen sind die Räumlichkeiten großzügig, fast herrscht Klubatmosphäre.

Autorität zwischen Museum und Besucher

Als gestaltender Architekt wirkte Sergej Tschoban. Der gebürtige Sankt-Petersburger ist weltweit gefragt und besitzt selbst ein Museum für Architekturzeichnung in Berlin. Wie ich hat er etwa die Hälfte seines Lebens im Kalten Krieg verbracht. Im Gespräch betonte er, dass ein neuer Kalter Krieg schon lange wieder im Gange ist. Der Geschäftsführer Carsten Kollmeier betreibt auch das Spionage-Museum am nahe gelegenen Leipziger Platz.

Das Museum wirbt zu Recht als „High-Tech-Museum“. In Anlehnung an den Begriff „Industrie 4.0“ bedeutet Museum 4.0 die weitere Digitalisierung der Ausstellungen und der Wechselwirkung zwischen Objekten und Besuchern, gleichwohl der Schritt von 3.0 zu 4.0 hier geringer ist als dort. „Museum 3.0“ beinhaltet bereits die Möglichkeit der digitalen Wechselwirkung zwischen Besucher und Ausstellungsstück, wie z. B. im deutschen und im kasachischen Pavillon auf der EXPO 2017 in Astana, wobei auch das rein mechanische Mitmachen zum Thema „Strom kommt nicht aus der Steckdose“ im österreichischen und zeitweise vor dem deutschen Pavillon höchst wirkungsvoll gestaltet wurde: „Analog und digital zusammendenken!“ lautet die Devise.

Technisch beruht dieses Konzept auf dem Web 2.0, dem „Mitmach-Web“. Die Internetnutzer sind nicht mehr reine Konsumenten von Information, sondern können sich in mannigfacher Form selbst und gemeinsam mit anderen einbringen; die virtuellen Museumsbesucher sehen sich und die anderen dabei. Sie können ihre Führung nach ihren eigenen Ansprüchen an Vorkenntnisse und Abfolge vornehmen, sie werden „vom Betrachter zum Gestalter“. Die Autorität wird zwischen Museum und Besucher geteilt. Das verändert auch die Rolle der Museumspädagogik und erhöht das Risiko dafür, was wie verstanden wird. Als Gewinn gibt es mehr Inhalt, persönlichere Erfahrung, ein Museum nicht „über etwas“, sondern „für jemanden“.

Peter Enders

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