Kann Sicherheitspolitik nachhaltig sein? Können die Begriffe Sicherheitspolitik und Nachhaltigkeit überhaupt miteinander verbunden werden? Jörg Nackmayr setzte sich in seinem Vortrag auf der IX. Internationalen Wissenschaftlichen Konferenz mit der Nachhaltigkeitsdebatte und dem Konzept der Vernetzten Sicherheit auseinander.

„Rio + 20: Nachhaltige Entwicklung durch Innovation“ – die Konferenz der Deutsch-Kasachischen Universität (DKU) am 30. März stand ganz unter dem Motto der Nachhaltigkeit. Jörg Nackmayr, Experte für Sicherheitspolitik aus Astana/Berlin, beleuchtete in seinem Beitrag den Einfluss der Nachhaltigkeit auf die Sicherheitspolitik.

Die Begrifflichkeiten sind in der Tat mit Vorsicht zu genießen. Politik und Medien in Deutschland haben das Wort Nachhaltigkeit fast schon zur Staatsdoktrin auserkoren. So hielt es Jörg Nackmayr zunächst für notwendig, in seinem Vortrag eine definitorische Abgrenzung des Begriffes vorzunehmen.

Eigentlich stamme der Begriff „Nachhaltigkeit“ aus der Forstwirtschaft: Er meint, dass regenerierbare lebende Ressourcen nur in dem Masse genutzt werden dürfen, wie Bestände natürlich nachwachsen. Bei Nachhaltigkeit geht es stets um die Erhaltung und Wiederherstellung eines Systems sowie um das Bewahren eines Gleichgewichts, welches zerstört wurde. In Bezug auf Waldbestände und auf die Umweltpolitik ist dies auch gut nachvollziehbar. Wirtschaftlich betrachtet, führt Nackmayr aus, gebe es hier keinen Gewinn oder Mehrwert: Es ist eher ein Nullsummenspiel. Später wurde Nachhaltigkeit auch auf andere Bereiche übertragen, wo etwas auf lange Sicht andauern, bleiben und nachwirken soll.
Damit hat Nachhaltigkeit immer dort einen Einfluss, wo ein bestehendes Gleichgewicht zerstört wurde: Das zeigt sich beispielsweise in der Demographieentwicklung, im weltweiten Ressourcenverbrauch oder in der Staatsverschuldung.

Die Nachhaltigkeitsdebatte selbst habe darüber hinaus in Deutschland für einigen Wirbel gesorgt: Jörg Nackmayr skizzierte kurzerhand die Herkunft des umstrittenen Begriffs und den Umgang damit: Die Auseinandersetzung mit der Nachhaltigkeit begann Anfang der 90er Jahre in Deutschland ihre Kreise zu ziehen. Nachdem der Begriff der Nachhaltigkeit 1992 bei den Vereinten Nationen im Rahmen der Agenda 21 zu Umwelt und Entwicklung gebraucht wurde, hielt er zeitgleich als „nachhaltige Entwicklung“ Einzug in die Umweltpolitik Deutschlands. Das Bündnis 90/die Grünen besetzten den Begriff der Nachhaltigkeit 1998 sofort für ihre Rhetorik. Die politische Nachhaltigkeitsdebatte gewann an Fahrt: In Auseinandersetzungen zwischen den sogenannten „Gleichgewichtsbewahrern“, „Wachstumslenkern“ und „Umverteilungstheoretikern“ nutzte ein jeder den Begriff für seine Zwecke, so dass Nachhaltigkeit zu einem „Gummi- und Modewort“ wurde. Nackmayr betont jedoch, dass mithilfe dieser Unschärfe im Begriff die Nachhaltigkeitsfrage in allen gesellschaftlichen Bereichen kommunizierbar gemacht werden konnte.

Ob nun der Aufruf einiger Politiker zum Verzicht auf den materiellen und gar nicht nachhaltigen Lebensstil das Nonplusultra ist oder Wachstumsverfechter die Debatte als „Nachhaltigkeitslüge“ bezeichnen und für mehr Wachstum ohne Verzicht plädieren – eines ist klar: es muss eine Lösung für das entstandene Ungleichgewicht in der Umwelt geben. Jörg Nackmayr zitiert in diesem Zusammenhang den Sozialdemokraten Christian Söder, der den Begriff Nachhaltigkeit wieder in den Wald zu den Förstern verbannen möchte und für eine Ressourcenumverteilung plädiert.

Im Sinne der Nachhaltigkeit gehe es letztendlich um eine gerechte Verteilung der Ressourcen auf der Welt, resümiert Nackmayr. Wie das aussehen soll, müsse stetig neu definiert werden in einer freien und offenen Gesellschaft.

Allerdings sei die Welt kein Nullsummenspiel, sondern entwickle sich ständig weiter, gibt Jörg Nackmayr zu bedenken. Dies gelte insbesondere für den Bereich der Sicherheitspolitik.
Sicherheit, erklärt Jörg Nackmayr, ist nämlich immer da gefährdet, wo es zu Ungleichgewichten kommt, wo sich Kräfte zu rasch verschieben und ein Machtvakuum entsteht. Schlussendlich können Ungleichgewichte in der Sicherheitspolitik zu Spannungen und Kriegen führen.

Rein definitorisch müsse man den Begriff der Sicherheit jedoch in den historischen Kontext einordnen, so Nackmayr. Zunächst ist Sicherheit vereinfacht gesagt die Fähigkeit, sich zu schützen sowie Angriffe von außen abzuwehren. Der Sicherheitsbegriff wird zum einen klassisch im Denkmuster des Kalten Krieges verstanden, als sich die zwei Supermächte USA und Sowjetunion und damit zwei Machtblöcke gegenüberstanden. Damals wurde vor allem in militärischen Kategorien wie Waffen, Personal und Wirkung eigener und Feindkräfte gedacht. Anfang der 80er Jahre wurde der „erweiterte Sicherheitsbegriff“ als Ergänzung zum klassischen geprägt. Nach dem Zusammenbruch der Ostblockstaaten und der Verschiebung der Machtblöcke auf der Welt Anfang der 90er Jahre veränderte sich mit den neuen asymmetrischen Kriegen, mit Prozessen wie Globalisierung, Multipolarität, Klimawandel und Migration auch die Bedrohungslage in der Welt. Ende der 90er Jahre erfuhr der erweiterte Sicherheitsbegriff wiederum eine Weiterentwicklung zum umfassenden Sicherheitsbegriff, der eng mit dem „Konzept der vernetzten Sicherheit“ zusammenhängt.

Nach diesem neuen Verständnis der vernetzten Sicherheit werden militärische Mittel nun nicht mehr getrennt von der Nutzung ziviler Mittel betrachtet, so Nackmayr, sondern gleichrangig bewertet.

Auch das sicherheitspolitische Umfeld hat sich mit den Hauptbedrohungen Terrorismus, Proliferation von Massenvernichtungswaffen, Regionalkonflikte, organisierter Kriminalität, der Bedrohung durch Failed States sowie der Bedrohung der Sicherheit im Internet und der Energieversorgung drastisch verändert.

Die komplexe Lage der Sicherheit wird nun durch die Analyse gesellschaftlicher, wirtschaftlicher technologischer, ökologischer und religiös-kultureller Aspekte ergänzt, die in ihrer Gesamtheit nur im multinationalen Zusammenwirken beeinflusst werden können.
Dennoch wirke sich Nachhaltigkeit auf den Bereich der Sicherheitspolitik aus, meint Nackmayr.
Nachhaltigkeitsdenken passe zwar seiner Meinung nach nicht in Sicherheitskategorien und auch sei Sicherheitspolitik eher nicht durch Nachhaltigkeits-Denken zu verstehen. Trotzdem muss man sich die Frage stellen: Wie können wir langfristig und damit nachhaltig Sicherheit gewährleisten und erreichen? Hier greife nach Nackmayrs Ansicht nur das Modell der „vernetzten Sicherheit“. Als Beispiel führt er die Europäische Sicherheitsstrategie an, welche seit 2003 ständig fortgeschrieben wird. Die EU wählte mit der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) einen Ansatz, der die globale Sicherheit stärken soll.

Eine Ursache für ständige Unsicherheiten sieht Jörg Nackmayr jedoch im Faktor Mensch selbst. Er kommt zum Schluss, dass der Mensch schon seit Anbeginn der Zeit für Ungleichgewichte und damit Spannungen und Kriege verantwortlich ist. Die einzige Konstante in der Weltgeschichte sei der Raum, die geographische Größe. Die geographische Lage könne eine Macht entweder hemmen oder vergrößern, was wiederum die Machtverteilung beeinflusse. In diesem Raum treffen aber Kräfte und damit Menschen aufeinander, welche ihrerseits die Sicherheit gefährden.

Die Bewahrung von Sicherheit ist in der Bewertung Nackmayrs nur in Form der zivil-militärischen Zusammenarbeit möglich, wie sie in den EU-Krisenstäben bereits zum Tragen kommt. Die Europäische Union, führt Nackmayr aus, entwickelte für diese Aufgabe drei strategische Ziele, die von militärischen und zivilen Kräften gemeinsam bewältigt werden sollen.

Das sind zum einen die Vorbeugung gegen eventuelle Bedrohungen Europas, die Sicherstellung von Stabilität und Sicherheit in der EU-Nachbarschaft sowie die Stärkung des Völkerrechts und der Vereinten Nationen. Nackmayr entscheidet sich schließlich für die Verwendung des Begriffs „Vernetzte Sicherheitspolitik“, da diese Vorgehensweise zur besseren Beherrschung von Krisen beitrage und die globale Sicherheit fördere.

Das Fazit des Experten für Sicherheitspolitik lautet daher, dass Nachhaltigkeit nur bedingt mit Sicherheitspolitik zu vereinen ist. Obwohl der Einfluss der Nachhaltigkeit auch auf den Bereich der Sicherheit gar nicht abzustreiten sei, tauge der Begriff trotzdem eher für die Agrarökonomie.

Zumindest, und das betont Nackmayr, ist das Nachhaltigkeitsdenken ein Teil der Lösung von Konflikten.

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Vernetzte Sicherheit

Der Begriff „Vernetzte Sicherheit“ wurde erstmals 2006 im Weißbuch des Bundesministeriums für Verteidigung gebraucht und meint die Aktivitäten einer umfassenden und globalen Sicherheitspolitik in Krisenregionen. Die künftige sicherheitspolitische Entwicklung wird nicht nur von militärischen, sondern von gesellschaftlichen, ökonomischen, ökologischen und kulturellen Bedingungen bestimmt, die nur im multinationalen Zusammenwirken beeinflusst werden können.

Die Vernetzung zielt auf die Kohärenz der nationalen deutschen Aktivitäten untereinander sowie auf das Zusammenspiel von internationalen und lokalen Akteuren auf der multilateralen Ebene und in den Konfliktregionen.

Quelle: zif.org; vernetzte-sicherheit.net

Von Malina Weindl

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