„Schlußchor“ ist das erste neuinszenierte Schauspiel des Deutschen Theaters, das auf der neuen Bühne in Almaty aufgeführt wird. Es ist ein Stück über den Neuanfang, das Sehen und Gesehenwerden und das Erleben von Momenten aus unterschiedlichen Blickwinkeln.

Das Deutsche Theater Kasachstan hat in Almaty ein neues Zuhause gefunden. Im Gebäude des Schriftstellerverbandes der Republik Kasachstan in der Abylai-Khan-Straße wird es von nun an regelmäßig Aufführungen geben. Lange musste das Theater nach einem festen Spielort suchen. Aufführungen und Proben fanden über Jahre hinweg immer an verschiedenen Orten statt.

Umso erfreuter zeigt sich nun Leiterin Natascha Dubs, dass ihre neueste Inszenierung „Schlußchor“ bereits am 3. März auf der neuen Bühne Premiere feiern konnte. „Schlußchor“ ist ein Stück des deutschen Dramaturgen Botho Strauß. Es thematisiert den Mauerfall 1989 und somit einen Neuanfang. „Das Thema Neuanfang passt eigentlich immer und jetzt für uns ganz besonders“, sagt Dubs.

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Einheit statt Vielfalt?

Der Chor posiert für das Foto.
Der Chor posiert für das Foto. | Foto: DTK

„Schlußchor“ ist in drei Akte gegliedert, die eigentlich wenig miteinander zu tun haben. Zu Beginn des Stücks stehen 15 Frauen und Männer für ein Gruppenfoto parat. Der Chor ärgert sich über das Verhalten des Fotografen. Dieser steht vor der schwierigen Aufgabe, die Gruppe als Gruppe ablichten zu wollen. Doch die einzelnen Mitglieder des Chores machen – trotz der Anweisungen des Fotografen – bei den Aufnahmen, was sie wollen. Zwischendurch singen sie.

Aus einzelnen Gesprächsfetzen lassen sich die verschiedenen Beziehungen der Chormitglieder untereinander erahnen, die vor allem von verschiedenen Liebesaffären geprägt zu sein scheinen. Diese Beziehungen tauchen im späteren Verlauf des Stückes wieder auf. Der erste Akt mit dem Titel „Sehen und Gesehenwerden“ endet unvermittelt: Der Fotograf wird zerfetzt und am Ende liegen nur noch einzelne Kleidungsstücke auf der Bühne.

Der Fotograf hat zwar den richtigen Moment der Aufnahme verpasst, doch wirft die Szene die Frage auf: Gibt es eigentlich so etwas wie Einheit und kann eine Gruppe von Menschen eine Einheit bilden? Eine nicht unwichtige Frage, bedenkt man, dass „Schlußchor“ zwar von der deutschen Wiedervereinigung handeln soll, doch schon im Februar 1991 in München uraufgeführt wurde. Und auch 27 Jahre später wird in Deutschland noch immer darüber diskutiert, ob mittlerweile „zusammengewachsen ist, was zusammengehört“.

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Spiegelbild der Geschichte

Der zweite Akt „Lorenz vor dem Spiegel“ ist um einiges dramatischer. Ein Architekt verliebt sich in seine Auftraggeberin, die seine Liebe jedoch nicht erwidert. Etwas verworren und undurchsichtig entwickelt sich der Akt weiter. Plötzlich gibt es einen für die Zuschauer unsichtbaren Spiegel, dessen Rolle jedoch unklar bleibt. Vielleicht geht es um Sein und Schein.
Nach und nach kommen die Schauspieler auf die Bühne, blicken in den Spiegel und gehen wieder. Die einzelnen Szenen werden immer wieder von einem „Rufer“ durchbrochen. Er rennt in regelmäßigen Abständen über die Bühne und schreit dabei „Deutschland“. Zum Ende des zweiten Aktes erschießt sich der Architekt aus lauter Verzweiflung.

Der Übergang zum dritten Akt „Von nun an“ erfolgt ebenso plötzlich. Er spielt in einem Westberliner Restaurant kurz nach dem Mauerfall am 9. November. Es werden Gesprächsfäden zwischen einzelnen Anwesenden gesponnen, die jedoch nicht in einem Zusammenhang zu stehen scheinen. Eine Betrunkene weint ihrer verflossenen Liebe nach, mit der sie um die Welt segelte – bis nach Feuerland. Eine der Anwesenden, Anita von Schastorf, die mit ihrer Mutter ebenfalls in dem Restaurant ist, heroisiert ihren Vater, der seit über 50 Jahren tot ist und ein Widerstandskämpfer gegen die Nationalsozialisten gewesen sein soll.

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Mit der Mauer fallen Konventionen

Der „Rufer“ ruft nun nicht mehr „Deutschland“. Er überbringt Nachrichten: „Sechshundert – siebenhundert – achthunderttausend! Die Stadt platzt aus allen Nähten! Sie klettern über die Mauer, sie rennen durch die Kontrollen! Kommen Sie, kommen Sie schnell! Wildfremde Menschen liegen sich in den Armen, die Vopos tanzen in den Wachtürmen, die Stadt ist ein einziges Fest!“

Das Stück endet abrupt und ohne noch einmal auf die vorherigen Szenen einzugehen. Eben noch befand sich Anita von Schastorf in einem Streitgespräch mit einem ebenfalls im Restaurant anwesenden Historiker über die Rolle ihres Vaters, plötzlich steht sie ohne offensichtlichen Grund nachts allein im Zoo. Sie fängt an sich auszuziehen und beginnt singend einen langen Monolog, der leider kaum zu verstehen war. Die Abschlussszene steht wohl für die Befreiung aus den Ketten der Gesellschaft, die in Kasachstan wie Deutschland vorhanden sind.

Strauß’ „Schlusschor“ ist kein in sich geschlossenes und ein eher schwer zugängliches Theaterstück. Dubs sei es vor allem darum gegangen, zu zeigen, wie unterschiedlich Menschen ein und denselben Moment wahrnehmen und erleben können, sagt sie.
Das eigentlich Beeindruckende an dem Stück ist die Sprache: Obwohl für die wenigsten Schauspieler des Theaters Deutsch die Muttersprache ist, tragen sie die Texte fließend auf Deutsch vor. Dabei ist aufgrund der verschiedenen Akzente nicht immer alles verständlich, aber doch der Großteil. Für nicht deutschsprachige Zuschauer gibt es eine Übersetzung ins Russische. Wer sich selbst ein Bild machen möchte, kann die Inszenierung noch am 17. und 30. März sehen.

Othmara Glas

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