Rudolf Weiss ist Vorsitzender des Deutschen Volksverbandes in der Wojwodina – Serbien, zugleich Vizevorsitzender der Synode der Evangelischen Kirche Augsburger Bekenntnisses in Serbien und Redakteur der deutschsprachigen Rundfunksendung bei Radio Subotica.
Rudolf Weiss ist Vorsitzender des Deutschen Volksverbandes in der Wojwodina – Serbien, zugleich Vizevorsitzender der Synode der Evangelischen Kirche Augsburger Bekenntnisses in Serbien und Redakteur der deutschsprachigen Rundfunksendung bei Radio Subotica.
DAZ: Herr Weiss, seit wann gibt es den Deutschen Volksverband in der Wojwodina?
Weiss: Der Deutsche Volksverband wurde im Jahre 1996 ins Leben gerufen. Seit dieser Zeit arbeiten wir als eingetragener Verein und sind somit bei den Behörden in Serbien offiziell registriert.
DAZ: Worin besteht der Schwerpunkt Ihrer Tätigkeit unter den hiesigen Deutschen in der Wojwodina?
Weiss: Unsere Hauptziele sind die Erhaltung der deutschen Identität, der deutschen Sprache, der deutschen Kultur, der Sitten und Bräuche der hiesigen Deutschen, oder wie wir es sagen, der Donauschwaben. Darüber hinaus konzentrieren wir uns auf die Jugend- und Medienarbeit.
DAZ: Wie sieht das konkret aus?
Weiss: Wir veranstalten kostenlose Sprachkurse für Erwachsene wie auch für Kinder, und zwar in drei Stufen. Wir haben seit acht Jahren eine deutschsprachige Rundfunksendung unter dem Titel „Unsere Stimme“ bei Radio Subotica. Dort haben wir eine Kinderredaktion und eine Jugendredaktion. Wir haben noch einen Damen-Chor namens „Loreley“. Dort singen Mädchen und Frauen deutsche Volks- und Kirchenlieder. Dann haben wir eine deutschsprachige Bibliothek, und wir haben noch eine Theatergruppe, dort können unsere Jugendlichen tanzend, singend und spielend die deutsche Sprache üben.
DAZ: In diesen Tagen wurde hier in Subotica die „Duschianze“, das Erntedankfest in Form einer Prozession durch die Stadt gefeiert. Es waren dort auch die Deutschen in ihrer Nationaltracht vertreten. Wie kommt so etwas zustande?
Weiss: Wir sind eigentlich seit der Gründung unsres Volksverbandes dabei. Zusammen mit anderen Volksgruppen und nationalen Minderheiten, wie beispielsweise mit Ungarn, Kroaten, Ukrainern, Ruthenen, Serben und Bosniaken marschieren wir in einem Festzug durch die Stadt. Leider ist das aber nur hier in Subotica der Fall, wo unsere Landsleute, die Schwaben, frei und ohne Angst und vor allem in ihrer Volkstracht durch die Straßen spazieren gehen können. Die Stadt ist bekannt durch ihre multiethnische Zusammensetzung, und durch die hiesige gegenseitige Toleranz. So versammeln sich gerade zu dieser Festveranstaltung alle unsere Verbandsmitglieder und Sympathisanten aus der ganzen Wojwodina. Dies ist eine Manifestation und eine Ermunterung zugleich für unsere Landsleute in den südlichen Teilen der Wojwodina, wo diese Toleranz leider noch nicht so ausgeprägt ist. Neulich formulierte eine ältere Frau dieses Zusammentreffen so: „Wir kommen hierher wie Menschen in der Kirche zum Altar.“ Die Teilnehmer bekommen hier eine vitale Energie zum Weiterbestehen, zum Weiterleben als Deutsche hier in der Wojwodina.
DAZ: Ihren Worten entnehme ich, dass die Situation in Subotica in Ordnung ist, in den anderen Gegenden der Wojwodina dürfte aber immer noch eine gewisse Intoleranz in Bezug auf das Deutschtum und Deutschsein herrschen. Sicherlich hat dies geschichtliche Gründe. Auf Ihrem Schreibtisch steht ein vierbändiges Werk, der den Titel trägt: „Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien.“ Was ist dort nachzulesen, und was können Sie als Historiker zu diesem Thema sagen?
Weiss: Leider gab es im kommunistischen Jugoslawien vom 1944 bis 1948 in der Wojwodina Todeslager, Vernichtungslager für Deutsche. Das ist etwas Unvorstellbares, Unerklärliches, denn Frauen, Kinder und Greise waren in diesen Lagern nach dem Prinzip der so genannten Kollektivschuld eingesperrt, gequält und größtenteils umgebracht. Wie konnte man Kinder und Frauen für das damalige nationalsozialistische Verbrechen beschuldigen? Wir alle wissen, dass der II. Weltkrieg am 9. Mai 1945 zu Ende war. Diese Todeslager im kommunistischen Jugoslawien waren hingegen bis März 1948 in Betrieb. Das ist etwas ganz Schreckliches. Wir haben hierfür Beweismaterial zum Teil auch aus kommunistischen Archiven. Am 25. April 1945 wurden beispielsweise 9.000 Kinder, von Säuglingen bis zu Vierzehnjährigen im Lager Rudolfnaht eingesperrt. Uns liegt eine Namensliste von 67.000 ermordeten Frauen und Kindern vor. Diese Vernichtungs- und Todeslager waren jahrzehntelang ein Tabuthema in Jugoslawien, man durfte darüber nichts sagen, geschweige denn fragen oder nachforschen. Unser Verband widmet sich nun aber auch der Vergangenheit, für uns ist es wichtig, die Erinnerung wach zu halten und die geschichtlichen Tatsachen an unsere Kinder weiterzugeben. Wir wollen Aufklärungsarbeit leisten, denn nur durch Aufklärung können wir eine Versöhnung herbeiführen. Zwischenzeitlich haben wir auch unter der serbischen Bevölkerung Gesprächspartner gefunden, die das Geschehene als Unrecht betrachten. Unrecht bleibt Unrecht, auch nach 50 Jahren, und diese Toten sollen in unserer Erinnerung bleiben!
DAZ: Ihr Verband leistet also eine Aufklärungs- wie auch eine Versöhnungsarbeit. Womit ist aber diese gewisse Intoleranz in den anderen Teilen der Wojwodina zu erklären?
Weiss: Seit fast 60 Jahren gibt es die Propaganda, alle Deutschen waren und sind Nationalsozialisten. Das ist natürlich Unsinn, und es tut einfach weh. Ich bin beispielsweise 1964 hier in Jugoslawien geboren, worin liegt denn meine Schuld für NS-Verbrechen? Nach dem Kollektivschuld-Prinzip genügt es aber, als Deutscher geboren worden zu sein, um in den Augen anderer schuldig zu sein. Nun aber, nach den jüngsten südslawischen Kriegen, nach Vukovar und Srebrenica, nach Aufdeckung von Massengräbern, verstehen auch die Serben, insbesondere die jüngere Generation, dass so eine Denkweise keinen Sinn macht. Sie sagen nun ebenfalls, dass sie mit diesen jüngsten Verbrechen nichts zu tun haben. Auch sie kommen zur Erkenntnis, dass es keine Kollektivschuld gibt. Nur das gegenseitige Verständnis und Verstehen-Wollen führt zu einer echten Versöhnung.
DAZ: Wir befinden uns jetzt in dem Deutschen Haus, in dem Deutschen Kulturzentrum, das zugleich der Hauptsitz des Deutschen Volksverbandes ist. Wie und wann kam dieses Kulturzentrum zustande, und was findet man hier vor?
Weiss: Dieses Haus wurde durch die Bundesrepublik Deutschland, also von der deutschen Bundesregierung gekauft und dank dem Mitwirken des Technischen Hilfswerks aus Deutschland instand gesetzt und renoviert. Das Mobiliar und die gesamte technische Ausstattung ist ebenfalls ein Geschenk der Bundesregierung. Somit wurden die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Tätigkeit unseres Volksverbandes geschaffen. Hier gibt es beispielsweise den deutschen Sängerchor, eine Jugendlaientheatergruppe, befindet sich die deutsche Rundfunkredaktion, eine Bibliothek mit mehreren Tausend deutschsprachigen Büchern. Wir veranstalten hier kostenlose deutsche Sprachkurse, die wiederum zugänglich sind sowohl für deutschstämmige wie auch für alle unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Interesse für die deutsche Kultur und Sprache haben. Wir machen diese Kurse bewusst kostenlos und für die Allgemeinheit zugänglich, denn wir sind der Auffassung, dass nur derjenige, der unsere Kultur und Sprache kennen lernt, bisherigen Vorurteile gegen uns Deutsche abbauen kann.
DAZ: Die Arbeit des Volksverbandes wird im Wesentlichen auch durch die Rundfunksendungen erweitert. Darüber hinaus haben Sie auch eine Internetseite unter www.dvvstimme.org.yu, wo man Informationen über die Tätigkeit des Verbandes oder auch Veranstaltungshinweise bekommen kann.
Weiss: Ja, wir haben seit 1998 jeden Freitag bei Radio Subotica deutschsprachige halbstündige Rundfunksendungen. Wir haben damit bereits gute Erfahrungen gemacht. Es gibt dort Redaktionen für Kinder und Jugendliche, aber selbstverständlich auch für uns Erwachsenen. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren schon in Deutschland, beispielsweise in Stuttgart bei Südwestfunk oder auch in München beim Bayerischen Rundfunk, um durch Weiterbildungskurse Erfahrung zu sammeln. Wir sind auch ein Mitglied beim Funkforum. Das ist eine Organisation deutschsprachiger Rundfunkredaktionen in Südost- und Mitteleuropa. Wir hatten hier in Subotica im Jahre 2003 eine Konferenz des Funkforums organisiert. Dadurch, dass wir Beiträge untereinander austauschen, sind wir auch auf diese Weise über die Lage unserer Landleute in Kroatien, Rumänien und Ungarn bestens informiert. Darüber hinaus schicken wir dadurch eine klare Botschaft an unsere Landsleute: Wir sind nicht allein! Wir sind eine große donauschwäbische Familie in Mittel- und Südosteuropa. Dieses Gefühl ist für uns sehr wichtig. Die Zahl der Deutschstämmigen in der Wojwodina, die sich zum Deutschtum bekennen, beläuft sich nur auf etwa vier Tausend. Durch dieses Zusammengehörigkeitsgefühl, durch das Bewusstmachen, dass hinter uns die deutsche Bundesregierung, die deutschen Verbände in den Nachbarnländern und der Weltverband der Donauschwaben sowie die Deutsche Weltallianz stehen, können wir uns weiter ermuntern, sich als Deutsche zu bekennen.
DAZ: Stichwort Landleute. Wie sind eigentlich die Beziehungen zu den hier Geborenen, die sich jedoch derzeit europa- bzw. weltweit befinden?
Weiss: Wir haben zu ihnen sehr gute Beziehungen. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus waren hier bei uns in Subotica im Jahr 2001 führende Persönlichkeiten der deutschen Verbände aus den USA, Kanada, Argentinien, Brasilien, aus Österreich und aus Deutschland. Auch Gäste aus den Nachbarländern Ungarn, Kroatien und Rumänien. Wir bekommen regelmäßig deutschsprachige Zeitungen, Zeitschriften und andere Periodika aus diesen Ländern. Dadurch können unsere Verbandsmitglieder feststellen, dass es in der Welt auch andere lebendige donauschwäbische Gemeinden gibt. Sie bekommen dadurch die Zuversicht, dass für unser Volkstum ebenso hier, in der Wojwodina und Serbien, eine Zukunft gibt.
DAZ: Aus dem Gesagten könnte man zusammenfassen, auch in Serbien ist es heutzutage keine Schande mehr, ein Deutscher zu sein. Wie sehen die Zukunftspläne Ihres Verbandes aus, und was brauchen Sie, um diese Pläne zu verwirklichen?
Weiss: Auf dem Mediensektor wollen wir in Kürze die deutschsprachigen Sendungen erweitern. Beispielsweise ab September dieses Jahres beginnen wir bei einem privaten Rundfunksender mit einem Monatsmagazin unter dem Titel „Stimme der Deutschen“ mit einer Dauer von einer Stunde. Die Sprachkurse wollen wir ebenfalls weiter ausbauen. Es ist ein neues Theaterstück geplant, mit dem wir bei Veranstaltungen in den Nachbarnländern auftreten wollen. Ebenfalls wollen wir unsere Internetseite auffrischen und aktualisieren. Den Dialog mit der serbischen Bevölkerung wollen wir weiterführen und vertiefen. Dazu ist im Herbst eine Konferenz im Deutschen Haus mit Beteiligung auch von anderen Volksgruppen unter dem Motto „Dialog statt Konflikte“ geplant. Dieses Jahr werden wir 180 Jahre deutscher Einsiedlung feiern.
DAZ: Ihrer Visitenkarte ist zu entnehmen, dass Sie auch Vizevorsitzende der Evangelischen Kirche Augsburger Bekenntnisses in Serbien sind. Was tun die Deutschen hier in dieser Kirche?
Weiss: Wir sagten bereits bei der Gründung unseres Volksverbandes, dass wir unsere christlichen Wurzeln nie aufgeben werden. Wir pflegten unsere kirchlichen Feiertage schon immer, wir singen unsere kirchlichen Lieder in deutscher Sprache. Etwa 80 Prozent der hiesigen Deutschen sind Katholiken, 15 Prozent sind Lutheraner und etwa 2,2 Prozent sind reformierte evangelische Christen. Ich bin als Verbandsvorsitzender ein Lutheraner, das ist aber überhaupt keine Schwierigkeit, denn wir feiern sowieso zusammen. Beispielsweise wenn wir Ostern in einer katholischen Kirche begehen, feiern wir anschließend Pfingsten in einer evangelischen Kirche. Was uns verbindet, ist unser christlicher Glaube und unser Deutschtum. Dieses Bewusstsein möchten wir auch an unsere Kinder und Jugendliche weitergeben.
DAZ: Herr Weiss, vielen Dank für dieses Gespräch, Ihnen alles Gute!
Weiss: Ich bedanke mich auch herzlich für dieses Interesse, weil wir sehen, dass das Ausland Interesse für unser Schicksal zeigt.
Das Interview führte Josef Bata
02/09/05