Als Mitte des 19. Jahrhunderts zur Sicherung der südlichen Grenzen des Russischen Reiches die Festung Wernoje gegründet wurde, siedelten sich auch im Umland von Wernoje Kosaken an und gründeten Dörfer. Einer dieser südlichen Außenposten nahe Wernoje beherbergte 1857 40 Kosaken, weitere 143 Familien ließen sich 1859 nieder. Ab 1860 war dieser Ort als Staniza Ljubawinskaja bekannt. In diesem Dorf wurde 1899 ein gewisser Oras Kikimowitsch Dschandosow geboren.

Oras Dschandosow schloss 1918 das Männergymnasium in Werny, welches inzwischen zur Stadt geworden war, ab, und trat im selben Jahr in die Kommunistische Partei ein. Ebenfalls 1918 wurde das Dorf Ljubow in Troitzkoje umbenannt. 1929 bekam die Siedlung den Namen, den sie noch heute trägt: Kaskelen.

Oras Dschandosow machte indes eine ziemlich erfolgreiche Karriere in den Reihen der sich in Zentralasien festigenden Kommunistischen Partei. Zwischen 1921 und 1923 hatte er den Posten des Leiters der Agitations- und Propagandaabteilung der KP Turkestans inne. Als Vorsitzender des Gebietes Siebenstromland unterzeichnete er am 5. Februar das Dekret zur Umbenennung der Stadt Werny in Alma-Ata. Dem folgte ein Studium an der Akademie für Landwirtschaft in Moskau zwischen 1923 und 1924. Nach Abschluss dieses Studiums rückte Dschandosow in die Position des Leiters der Agitations- und Propagandaabteilung des kasachischen Regionalkomitees auf und führte auch eine Expedition in die Provinz Siebenstromland und zum Fluss Syrdarja zur Erforschung der ländlichen Wirtschaft durch.

Dschandosow, der im November 1927 zum Volkskommissar für Bildung der Kasachischen ASSR ernannt wurde, beaufsichtigte die Gründung zahlreicher Bildungseinrichtungen und Universitäten. Das Veterinärinstitut Alma-Ata wurde durch einen Beschluss des Rates der Volkskommissare der RSFSR am 1. Oktober 1929 gegründet. Es war die erste landwirtschaftliche Hochschule auf dem Gebiet des heutigen Kasachstan. Nur ein Jahr später, im Jahr 1930, wurde das Kasachische Landwirtschaftsinstitut gegründet. Erster Rektor dieses Instituts wurde Oras Kikimowitsch Dschandosow. Im ersten Abschlussjahr, 1933, schlossen insgesamt 78 Personen, darunter 20 Kasachen, das Kasachische Landwirtschaftsinstitut ab.

Opfer des Stalinschen Terrors

Dschandosow, der in den 1930er Jahren noch diverse politische Posten in der Region Alma-Ata bekleidete und unter anderem auch an der Staatlichen Kasachischen Universität lehrte, geriet jedoch, wie so viele in den 1930er Jahren, zwischen die Mühlen der Politik. Es war die Zeit des großen Stalinschen Terrors. Er wurde 1937 seiner Posten enthoben und aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen. Am 13. Oktober 1937 wurde Oras Dschandosow wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer antisowjetischen Organisation verhaftet und zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde am 2. März 1938 durch Erschießung vollstreckt. Erst 1957 erfolgte die vollständige Rehabilitierung Dschandosows.

Der Architekt N. Petrow erbaute 1934 ein erstes Gebäude, in dem die beiden erst wenige Jahre zuvor gegründeten Institute für Veterinärwissenschaft und Landwirtschaft unterkamen. Dieses Gebäude war im klassischen, stalinistischen Zeitgeist gestaltet. Der große Porticus über dem Haupteingang besitzt Anklänge an nationale zentralasiatische Oneramentik. Der stalinistische Zuckerbäckerstil hatte später, kurz vor dem Tod Josef Stalins, seinen Höhepunkt erreicht. Das erste Gebäude erweiterte der Architekten W. Birjukow bis 1954 um zwei weitere Gebäudeteile in derselben klassizistischen Formensprache. Die weiten Säulengänge und die Figurengruppe von Bäuerin und Arbeiter, ganz im Stile des sozialistischen Realismus, zieren den weitläufigen Gebäudekomplex bis heute.

Neustart nach dem Zusammenbruch

Das Kasachische Institut für Landwirtschaft erhielt 1971 den Rotbannerorden der Arbeit, eine besondere Auszeichnung der Sowjetunion für Leistungen in öffentlichen Diensten. 1981-1982 waren über 10.000 Studenten an den 12 Fakultäten des Instituts immatrikuliert, 541 Lehrkräfte gaben Seminare und erteilten Unterricht. Doch mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hatten auch sämtliche sowjetischen Auszeichnungen und Prämien keinen Bestand mehr.

Um in den für Kasachstan wirtschaftlich sehr schwierigen 1990er Jahren wiederum Fuß zu fassen, legte man 1996 das Veterinärinstitut und das Landwirtschaftsinstitut zu einer Universität zusammen – der Kasachischen Staatlichen Agraruniversität. Am 5. Juli 2001 wurde sie per Dekret von Nursultan Nasarbajew in den Status einer nationalen Universität erhoben und heißt seitdem Kasachische Nationale Agraruniversität.

Stalin: Natur muss dem Menschen dienen

In den frühen 2000er Jahren fanden großangelegte Renovierungsarbeiten an dem dreiteiligen Gebäudekomplex statt. Hammer und Sichel verschwanden zwar zugunsten des Nationalwappens Kasachstans. Die klassizistische Erscheinung blieb aber erhalten, inklusive der sozrealistischen Figurengruppe über dem Haupteingang. Seitdem ist der langgestreckte Gebäudekomplex – nach wie vor Hauptcampus der Kasachischen Nationalen Agraruniversität – wieder entlang des Abai-Prospekts zu besichtigen.

Es kommt nicht von ungefähr, dass sich eine der bedeutendsten Agrarhochschulen der Sowjetunion in Kasachstan befindet. Kasachstan hat eine lange Geschichte der Landwirtschaft. Oder besser gesagt: eine lange Geschichte der Versuche, das harsche, weite, menschenleere Land urbar zu machen. Die Kasachen waren ursprünglich Nomaden, passten sich ihrem Lebensraum an, und betrieben Viehzucht. Mit der Herrschaft der Bolschewiken kamen auch die Fantasten nach Zentralasien.

Josef Stalin war der Meinung, die Natur existiere, um dem Menschen zu dienen. Großangelegte Eingriffe in die Natur zum Wohle der Menschen, insbesondere des sozialistischen Proletariats, wären daher gerechtfertigt. Stalin und die ihm Nächsten ersonnen wahnwitzige Projekte, Kanäle und Wasserstraßen durch die Arktis, Brücken und Tunnel nach Amerika oder die Umleitung von Flüssen und Ozeanen. Die Flüsse Amudarja und Syrdarja wurden auf die Baumwollfelder Usbekistans geleitet, was zur beinahe vollständigen Austrocknung des Aralsees und zu einer der größten Umwelt- und Klimakatastrophen der Menschheitsgeschichte führte.

Chruschtschow und das Neuland-Desaster

Nikita Chruschtow, Erster Sekretär der KPdSU, war vielleicht einer der letzten Fantasten in diesem Sinne, als er 1953 die Neuland-Kampagne ausrief. Die Steppen rechts der Wolga, im Nordkaukasus, in Westsibirien und in Nordkasachstan sollten für den großangelegten Getreideanbau kultiviert werden. Kasachstan sollte zur Kornkammer der Sowjetunion werden. Chruschtschow rief 1954 seinem Publikum zu: „Jugend, auf nach Neuland!“ und im Sommer des gleichen Jahres folgten 300.000 junge Komsomolzen dem Aufruf in die kasachische Steppe.

Die ersten Jahre im Neuland begannen vielversprechend mit Rekordernten. 1960 entstand der Zelinnyj Kraj, die „Neuland-Region“. Das Provinzstädtchen Akmolinsk wurde in Zelinograd, „Stadt der Neulandgewinnung“, umbenannt und zur Hauptstadt der neuen Provinz. Doch mit Beginn der 1960er Jahre wendete sich das Blatt. Die Ernteerträge im Neuland gingen stark zurück, die Lebensbedingungen waren hart, und es fehlte an allem. Dazu kamen die harschen klimatischen Bedingungen in dem Gebiet mit wenig Niederschlag in den kurzen Sommern sowie eisigen Starkwinden in den langen, bitterkalten Wintern. Bodenerosion und Versalzung wurden zum unüberwindbaren Problem für den Getreideanbau. Spätestens ab 1964 war die Neuland-Kampagne praktisch tot. Und auch für die Ideen der Umgestaltung der Natur fanden sich immer weniger Anhänger. Die Welt war im Wandel.

Zelinograd, die Hauptstadt der Neulandgewinnung, ist seit dem Jahr 1997 die Hauptstadt der jungen Republik Kasachstan und trägt seit 2019 den Namen Nur-Sultan. Die Hauptstadt inmitten der Steppe wächst seitdem unaufhörlich, die Behörden setzen mit großen Anstrengungen Aufforstungsprojekte im gesamten Gebiet um, um Bodenerosion und Sandstürmen vorzubeugen. Die Zeit wird zeigen, ob dieser gutgemeinte und auch sinnvolle Eingriff in die Natur im 21. Jahrhundert erfolgreich war.

Philipp Dippl

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