Meine erste Begegnung mit Kasachstan war weder in Astana noch in Almaty, sondern im fernen Westen. Per Anhalter reiste ich über die Landgrenze von Astrachan in Russland nach Atyrau und weiter nach Kuryk. Die Eindrücke dieser Reise sind mir noch immer gut im Gedächtnis.

Auf dem Weg von Astrachan zur Grenze war ich mir unsicher, ob ich richtig bin. Wenn man als Anhalter an wenig befahrenen Straßen steht, wird der Arm zwar nicht so schnell schwer, dafür aber das Gemüt. Doch auch hier half das Allheilmittel für solche Situationen: Geduld. So fand mich Yunus, ein usbekischer LKW-Fahrer auf dem Weg nach Taschkent. Nachdem wir die Grenze passiert hatten, waren es nur noch 300 Kilometer bis nach Atyrau. Klingt nah, aber diese Straße hatte es in sich. Selten wurde ich so durchgeschüttelt. Aber wir haben die zehn Stunden genutzt, um mir einige Brocken Russisch beizubringen. Die Zahlen bis zehn habe ich damals geschafft!

In Atyrau angekommen, hat mich der Wohlstand des Landes überrascht. Für Europäer ist Zentralasien meist ein weißer Fleck auf der Landkarte. Ich erwartete jedoch zumindest ein ärmeres Land als Russland. Das erfüllte sich nicht, zumindest wenn man eine Stadt wie Atyrau mit weniger bedeutenden russischen Städten als Moskau oder Sankt Petersburg vergleicht.

Steppe weit und breit

Atyrau hat außer einer schönen Moschee wenig architektonische Highlights zu bieten. Ich hatte dort einen Gastgeber über ein soziales Netzwerk gefunden. Er und seine Familie waren unglaublich freundlich, die zwei kleinen Kinder sorgten für viel Unterhaltung. Wir schwammen zusammen im Ural, auf der Grenze zwischen Europa und Asien. Theoretisch kann ich also behaupten, dass ich von einem zum anderen Kontinent geschwommen bin. Aber wenn man ehrlich ist, sind wir mit unserem Mini-Kontinent ganz schöne Hochstapler.

Von Atyrau ging es weiter um das Kaspische Meer herum. Trampen funktionierte gut, auch wenn es in Kasachstan wohl üblich ist, etwas Spritgeld beizusteuern. Bei seltsam aussehenden Ausländern mit großen Rucksäcken ist das Interesse jedoch groß und man wird auch ohne Beitrag mitgenommen. Die Strecke von Atyrau nach Beineu ist geprägt von Öl- und Gasfeldern. Immer wieder sieht man Pipelines, Fabriken und Arbeitersiedlungen. Das Land ist rau, keine Bäume, keine Berge, nur Steppe weit und breit.

Dankbar für Gastfreundschaft

Hinter Beineu öffnen sich auf einmal wunderschöne Schluchten, skurrile Felsformationen und imposante Täler. Es kam mir vor, als ob wir die Ebenen wechselten. Die Straßen hier waren schon deutlich besser und ich kam gut voran, sodass ich bei Einbruch der Nacht die kleine Siedlung Munaishy erreichte. Aus Langeweile streckte ich nochmal den Daumen raus – mit Erfolg. In gebrochenem Russisch fragte ich nach einem Platz zum Zelten für die Nacht. Und wurde prompt nach Hause eingeladen.

Diesen Abend werde ich nie vergessen: Die Familie nahm mich herzlich auf, gab mir Essen und Trinken. Ohne mich zu kennen und ohne mich wirklich zu verstehen. Die Nacht verbrachte ich draußen vor dem Haus in meinem Schlafsack. Der Sohn des Hauses schlief neben mir und versuchte, mich in ein Gespräch über den Koran zu verwickeln, aufgrund der Sprachbarriere jedoch nur mit wenig Erfolg. Für diese Gastfreundschaft, die mir zwar auch schon in Frankreich, Spanien oder der Schweiz begegnet ist, aber in asiatischen Ländern deutlich stärker ist, bin ich sehr dankbar.

Bunt gemischte Runde

Am nächsten Morgen ging es weiter Richtung Kuryk, einem Hafen südlich der Stadt Aktau. Vermutlich nahm ich den falschen Weg, denn wieder landete ich an einer Straße, an der ein Auto pro Stunde fuhr. In solchen Momenten fängt man oft an, die fehlenden Kilometer einfach zu laufen. Aber auch hier war das Glück wieder auf meiner Seite, und eine freundliche Familie lud mich ein, mit ihnen zu fahren. Besonders an den prächtigen Schnauzbart des Opas kann ich mich gut erinnern. Zum Abschied wollten alle noch ein Foto mit mir.

In Kuryk angekommen, suchte ich erst einmal Personal im Hafen, um herauszufinden, wann das Frachtschiff nach Baku fährt. Die Antwort blieb vage: „In den nächsten Tagen“. Ich war zu Anfang noch der einzige Wartende, aber noch am selben Tag trafen weitere Passagiere ein. Zwei Hippies aus Deutschland, die von einer Zentralasienreise zurück nach Deutschland reisten. Ein Aserbaidschaner, der in Kasachstan lebte und arbeitete. Eine Roma-Familie mit einem georgischen Auto. Ein französischer und ein türkischer Motorradfahrer. Und ein junger Aserbaidschaner mit einem leichten Alkoholproblem, der mich als seinen Helden auserkoren hatte.

Wir alle vertrieben uns die Zeit mit verschiedensten Dingen. Schwimmen im Kaspischen Meer und Reparaturen von Taschen und Kleidung standen bei mir auf der Liste. Durch Kartenspiele lernte ich die Hippies kennen und schätzen. Am zweiten Tag wollte ich einen Ausflug ins Dorf machen und erlebte einen ersten richtigen Kulturschock, als ich Geld abheben wollte. Es gab einfach keine Schlange, sondern alle stellten sich gemeinsam vor den Automaten. Da ich partout nicht an die Reihe kam, erbarmte sich eine Bankmitarbeiterin und wollte mir helfen. Sie nahm meine Karte und fragte: „Was ist Ihre PIN?“ So etwas hatte ich wirklich noch nie erlebt.

Ein Sturm bringt zusammen

Am dritten Tag war es endlich so weit: das Schiff lief ein, geschmückt mit den Farben Aserbaidschans. Eigentlich ein Frachter, konnte man für 40 Euro auch als Passagier mitreisen, Verpflegung und Bett in einer Viererkabine inbegriffen.

Als wir uns alle eingerichtet und die Verladung der Fracht inklusive Zug, der auf das Schiff fährt, beobachtet hatten, gab es schlechte Nachrichten: Wir würden erst einmal nicht abfahren können. Ein Sturm tobe auf dem Kaspischen Meer. Das gab uns jedoch die Möglichkeit, uns kennen zu lernen. Besonders die türkischen LKW-Fahrer verbreiteten neben ihrem mobilen WLAN auch gute Stimmung und selbstgefangenen Fisch.

Dann war es so weit: Die kasachische Polizei kam aufs Schiff, kontrollierte die Ausweise und wir waren offiziell ausgereist. Die Fahrt nach Baku konnte beginnen.

Das war meine erste Woche in Kasachstan. Es war eine schöne Woche voller interessanter Begegnungen. Besonders den usbekischen LKW-Fahrer, die Gastgeber in Atyrau und Munaishy sowie die Mitreisenden auf dem Frachtschiff nach Baku werde ich immer in kostbarer Erinnerung behalten. Danke, Westkasachstan, für deine Gastfreundschaft.

Lukas Grebenstein

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2 Kommentare

  1. Ich danke Ihnen für diesen tollen Bericht, Herr Grebenstein. Teilen Sie gerne weitere Erlebnisse mit der hiesigen Leserschaft, ich für meinen Teil freue mich auf mehr.
    Gruß,
    Gabriel Assmus

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