Der Politik- und Rechtswissenschaftler Raban Graf von Westphalen hat 20 Jahre an der Technischen Fachhochschule Berlin (heute Beuth Hochschule) unterrichtet und lehrt jetzt an der Universität Erfurt. Bis Ende Dezember war er als Gastprofessor an der Deutsch-Kasachischen Universität (DKU) in Almaty. Es war sein erster Aufenthalt in Kasachstan.
Unsere Studenten aus der Gruppe „AlmaTeam“ haben für Sie eine Stadtführung in Almaty gemacht. Welchen Eindruck haben Sie nach dieser Stadtführung von Almaty bekommen?
Von der Stadt habe ich einen schönen und lebendigen Eindruck bekommen. Das Wetter im September und Oktober war herrlich, und die Stadt präsentierte sich mit ihren vielen Bäumen und breiten Straßen sehr angenehm, jedenfalls im Zentrum.
Sie waren mit uns auch in der Philharmonie. Welchen Eindruck haben Sie von Konzert, Akustik und Gebäude insgesamt bekommen?
Ich war mehr an etwas anderem interessiert. Ich fand sehr eindrucksvoll, wie groß das Interesse der Menschen an dieser Musik ist. Die Preise sind bezogen auf ein durchschnittliches Einkommen relativ hoch, das heißt also, dass die Menschen einen erheblichen Teil ihres Einkommens für kulturelle musikalische Ereignisse opfern. Das hat mich sehr überzeugt.
Sie haben auch die Oper besucht, wo „La Bohème“ des italienischen Komponisten Puccini aufgeführt wurde. Wurde das Werk ihrer Meinung nach für die kasachische Gesellschaft irgendwie adaptiert oder nicht?
Ich kann das nicht beurteilen. Aber ich fand es sehr schön. Es waren schöne Stimmen, das Schauspielerische spielte keine große Rolle. Die Oper hatte ein universelles Thema, das in Frankreich, Kasachstan oder China spielen kann.
Jetzt ein bisschen zum Leben an der Uni: Was können Sie über die Atmosphäre zwischen den Professoren an der DKU sagen, ist sie mehr förmlich oder freundschaftlich? Gibt es Unterschiede zu Deutschland?
Das kann man nach vier Monaten nicht sagen. Ich bin hier Gastprofessor, kein unmittelbares Mitglied der Universität. In Berlin waren die Verhältnisse sehr kollegial. Allerdings ist die Universität dort viel größer, 46 Professoren an einer Fakultät und 12.000 Studenten. Das ist natürlich ein großer Unterschied. Hier an der DKU ist ein Problem, dass viele Professoren nach Stunden bezahlt werden, so entsteht leicht ein Konkurrenzverhältnis zu den ausländischen Gastprofessoren. So kann der Eindruck entstehen, dass ausländische Professoren den DKU-Lehrkräften Arbeit wegnehmen.
Was finden Sie besser für Studenten – eine kleine Universität oder große?
Beide sind richtig. Die DKU ist zu klein, sie hat eine kritische Größe von 600 Studenten bei vier Fakultäten. Der kasachische Staat verlangt jetzt, wie ich höre, mindestens 2.000 Studenten für eine Universität. Das kann die DKU nicht erreichen. Auf der anderen Seite sind die großen Universitäten mit 30.000, 40.000 oder wie in München 50.000 Studenten. Große Universitäten sind für die Studenten schwieriger, aber sie sind auch wirtschaftlicher. Insofern haben beide – große wie kleine – Universitäten Vorteile und Nachteile.
Welche neuen Methoden des Lehrens benutzen Sie?
Was hier geschehen muss ist die Modularisierung der Studiengänge. Kasachstan ist seit 2010 Mitglied der Bologna-Deklaration. Diese verlangt, dass die Studiengänge in Module gegliedert werden, die von allen Mitgliedern des Bologna-Prozesses inhaltlich gegenseitig anerkannt werden. Hier wird Kasachstan einen großen Schritt machen und die Verantwortung für die Studiengänge von den Ministerien weg an die Hochschulen übertragen müssen. Die Verantwortung für die Studiengänge muss bei den Hochschulen sein. Module sichern auch ein höheres Maß an Übersichtlichkeit einerseits für die Studenten im Lernprozess wie auch für den Dozenten im Lehrprozess.
Jetzt lassen wir die Frage von Studium einmal beiseite und möchten Sie fragen, was Sie über die Menschen in Kasachstan sagen können. Was ist Ihrer Meinung nach typisch kasachisch?
Typisch kasachisch finde ich eine sehr distanzierte Freundlichkeit. Ich habe nur gute Erfahrung mit den Menschen hier gemacht. Ich kenne viele Leute auf der Erde, aus 50 Ländern. Hier in Kasachstan sind die Menschen außerordentlich freundlich, aber distanziert. Sie fragen nicht, wo du herkommst. Aber wenn man mit ihnen zu tun hat, sind sie freundlich und nett. Auch Sie als Studenten gehen miteinander anders um als in Europa. Ich habe woanders noch nicht gesehen, dass die Studenten sich umarmen, das gibt es nicht in Deutschland, in Amerika, oder England. In Frankreich vielleicht ein bisschen mehr, aber eigentlich gibt es das nicht. So eine Körperlichkeit ist ganz anders. Ich habe auch woanders nie gesehen, dass Mädchen an Universitäten sich schminken. Sie gehen nach dem Unterricht raus und streichen die Lippen und finden das ganz normal. Während des Unterrichts flechten sich die Mädchen die Haare. Das finden Sie in Deutschland nicht.
Ihre Frau war vor kurzem hier in Kasachstan. Was hat sie gesagt?
Meine Frau hat sich hier sehr wohl gefühlt. Es war aber das Problem, dass es sehr schwierig ist, im Land zu reisen, da es praktisch keine Busverbindungen gibt. Wir wussten natürlich, dass Kasachstan das neuntgrößte Land der Erde ist, aber welche Schwierigkeiten zu reisen damit verbunden sind, haben wir erst in den drei Monaten hier vor Ort erfahren.
Interview: Nurgul Zhazykbayeva und Alexandra Davydova