Deutschland ist in Sachen technischer Fortschritt nicht gerade für Experimentierfreudigkeit bekannt. Das lässt sich vor allem am Internet sehen: In vielen Ländern Osteuropas oder Afrikas ist das Internet schneller und dazu bei weitem günstiger als am sogenannten Innovationsstandort Deutschland. Online-Bankkonten und Bezahlen per Smartphone-App gehören in Sierra Leone und Ruanda zum Standard, beim deutschen Bäcker aber keinesfalls. Bei uns gilt noch immer: nur Bares ist Wahres!

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Ich gehöre der letzten Generation an, die überhaupt noch eine Zeit vor dem Internet kennt. Als ich das erste Mal „online“ ging, musste man sich mit einem kleinen schwarzen Kästchen über die Telefonleitung einwählen. Die Modems damals haben zuerst sehr technische Geräusche ausgespuckt und schließlich am Ende des Monats für fürchterlich hohe Telefonrechnungen und Familienkrach gesorgt. Seitdem sind fast 30 Jahre vergangen. Das Web 2.0 kam. Mit den sozialen Medien konnten die Benutzer plötzlich Inhalte selbst gestalten und rund um die Welt miteinander in Kontakt treten. Eine Revolution für die Globalisierung und für den direkten, unmittelbaren Informationsaustausch. Inzwischen sind wir beim Web 3.0 gelandet, dem sogenannten Internet der Dinge. Die Welt rast um sich selbst und ich fühle mich jetzt schon furchtbar alt, zu alt.

Hier in Kasachstan musste ich den deutschen Konservatismus und das Technikmisstrauen ablegen. Taxen bestelle ich per App, und sehe in Echtzeit auf der Karte, wo sich mein Fahrer gerade befindet. In Restaurants und Bars bezahle ich bargeldlos, indem ich einen Strichcode einscanne. Wenn ich den Bus nehme, sehe ich in der App, wie lange ich noch warten muss, bezahle die Fahrt mit Kontaktloskarte und bekomme sofort eine Push-Benachrichtigung über meine Busfahrt. Bankgeschäfte sind in Sekunden per Fingerabdruck autorisiert.

Das Start-up Dodo Pizza aus dem nordrussischen Syktywkar macht momentan in der IT-Welt und in Almaty Furore. Die Schnellrestaurants backen leckere Pizzen, aber dahinter stecken zwei russische Technik-Nerds, die in erster Linie eine Software zur Optimierung von Herstellungsprozessen erfunden haben. Seitdem kann man den Weg seiner Pizza sekundengenau per App verfolgen, sieht online, wie viele Pizzen gerade im Backofen sind und kann per Webcam überprüfen, was gerade in der Backstube los ist. Von jedem Ort der Welt aus. Totale Transparenz ist das Firmenmotto.

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Ich selbst bin seit kurzem Kunde eines etwas anderen Internetunternehmens. Ich lasse mir jetzt wöchentlich meine online bestellten Lebensmittel nach Hause liefern. Dabei wird mir ein kompletter Wochenspeiseplan zusammengestellt. Es kommen exakt so viele Zutaten an, wie man für das jeweilige Menü benötigt. Eine Kochanleitung liegt bei, bei der selbst ich als Kochamateur jedes Menü in höchstens 25 Minuten kochen kann. Seitdem schmeiße ich nichts mehr weg, habe nichts übrig, und ernähre mich sogar gesünder, da fettärmer.

Das Internet der Dinge, die vernetzte Welt ist in Kasachstan Realität. Und es ist unbestritten eine Vereinfachung meiner täglichen Routineabläufe. Was hinter den Kulissen passiert, bleibt freilich trotzdem ein Rätsel. Die totale Überwachung des Bürgers kommt einem da schnell in den Sinn. Chinesen werden inzwischen auf Schritt und Tritt per Kamera überwacht und auf einer Punkteskala nach ihrer Sozialkompetenz eingestuft. Guter Chinese, böser Chinese. George Orwell lässt grüßen. Vielleicht ist das der Grund für das deutsche Misstrauen gegenüber der Technik? Das Internet lässt sich für viele Dinge nutzen. Weder den Chinesen oder den Amerikanern ist in diesen Tagen zu trauen, wie wir spätestens seit Edward Snowden wissen.

Die Technik macht unser Leben an vielen Stellen einfacher. Sie nimmt dem gestressten, von Burnout bedrohten, Großstadthipster Arbeit und Verantwortung ab. Doch vielleicht sollten wir uns bei all dem durch die sozialen Medien verursachten Selbstoptimierungswahn mal fragen, ob wir wirklich so gestresst oder einfach nur faul geworden sind.

Philipp Dippl

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