Sie ist aus der Werbepause auf deutschen Sofas nicht mehr wegzudenken: „Weichspüler mit Seidenextrakt“, „Zart wie Seide“, „Seidenglatte Haut“. Die Seide lockt mit ihren Vorzügen – noch immer. Denn das hochwertige Material eignete sich schon in vorchristlicher Zeit hervorragend zu Marketingzwecken. Auf der nach ihr benannten Seidenstraße gelangte das begehrte Produkt aus China damals sogar bis nach Europa. Luxusliebende Museumsgänger können den alten Weg der Seide durch die Welt nun selbst nachvollziehen: In der Ausstellung “Die Seidenstraße. Seidenkunst aus China” zeigt das Kastejew-Museum bis zum 15. April 145 Exponate verschiedener Epochen über und aus chinesischer Seide.

/Bild: Andrea Rüthel. ‚Hauchzart und doch stabil: Wegen ihrer Elastizität können Seidenfäden sogar in der Chirurgie verwendet werden.’/

“Die Chinesen waren in vielem die Ersten: Sie hatten als Erste den Marmor, das Porzellan, die Papier- und die Keramikkunst. Die Seide steht auch auf dieser langen Liste”, sagte Maria Kopeliowitsch, Kuratorin des Kastejew-Museums bei der Eröffnung der Ausstellung „Die Seidenstraße. Seidenkunst aus China” am 17. März. Tatsächlich ist die Ausstellung nur ein Teil des Vorhabens, diese lange Liste abzuarbeiten: Als Ausstellungsreihe „Spuren der Seidenstraße“ zeigte das Kastejew-Museum unter anderem bereits Keramik-, Jade- und Marmorkunst aus China. „Ein weiteres Mal erfreuen uns unsere nächsten Nachbarn mit dem unendlichen Reichtum, der unendlichen Vielfalt und vor allem der unendlichen Schönheit ihrer Kunstschätze. Wir hoffen, es wird nicht das letzte Mal sein”, äußerte sich die Kuratorin kurz vor der Zerschneidung des roten Bandes.

Eine Ausstellung zum Anschmiegen

Und wer könnte wohl besser über das wertvolle Material erzählen, als das Heimatland der Seide selbst? In China hat sich über Jahrtausende nicht nur eine reiche Seidenkultur entwickelt. Hier fanden Forscher auch Seidenstoff-Fragmente aus den Jahren 475 bis 221 vor Christus – die ältesten der Welt. Damit auch Seidenliebhaber in Kasachstan in den Genuss des schimmernden Stoffes kommen, gab sich das Chinesische Nationale Seidenmuseum in Hangzhou, im Südosten der Volksrepublik, selbst die Ehre, zwei Räume des Kastejew-Museums in Almaty mit 145 seidenen Kunstschätzen zu füllen. Dabei erhielt es Unterstützung vom Generalkonsulat der Volksrepublik China in Almaty und dem Kulturministerium der Republik Kasachstan. „Für mich war es interessant zu sehen, mit welcher Sorgfalt Chinesen eine Ausstellung ausrichten”, staunte die Kuratorin.

Bis zum 15. April schickt das Kastejew-Museum seine Besucher auf Entdeckungsreise durch verschiedene Epochen: Gigantische Wandteppiche erschlagen durch ihre Größe, Webstühle wie sie im elften und zwölften Jahrhundert gebraucht wurden, werden teilweise für die Museumsgänger in Gang gesetzt.

Auch präparierte Seidenspinnerraupen liegen hinter Glas. Sie erinnern an die zahllosen Seidenlegenden, die man sich im „Himmlischen Reich“ seit Urzeiten zuraunt: Sie besagen, es sei die Gemahlin des gelben Kaisers Huang Di, des mystischen Gründers der chinesischen Kultur, gewesen, die ihr Volk lehrte, die Seidenspinnerraupe zu züchten und den Stoff zu verarbeiten.

Im zweiten Ausstellungssaal schimmert es schließlich in allen Farben: An der Wand aufgereiht steht die traditionelle Tracht der reichen chinesischen Oberschicht. Ein geschultes Auge kann an den prunkvollen Gewändern ablesen, welche Position ihr Träger in der chinesischen Gesellschaft einnahm. Mit ihrer sichtbar aufwendigen Verarbeitungsweise, den künstlerischen Stickereien und den ausladenden Ärmeln sind die Kleider noch heute ein echter Augenfang: Das verrät die Masse der Museumsbesucherinnen, die sich vor den Kostümen in gespielter chinesischer Pose ablichten lässt.

Unvergänglich: Spuren der Seidenstraße in der Moderne

Ein Highlight der Ausstellung sind auch die Originaldokumente aus den Staatsarchiven der Volksrepublik China. „Es sind die Zeugnisse unserer Vorfahren, dass die Beziehungen zwischen Kasachstan und China schon damals eng und freundschaftlich waren. Kasachstan war ein wichtiger Punkt auf der Seidenstraße“, betonte Sun Linjiang, Generalkonsul der Volksrepublik China in Almaty.

„Touren durch die alten Städte an der großen Seidenstraße”: Was heute vor allem eine touristische Attraktion ist, war über Jahrtausende hinweg eine wichtige Verbindung zwischen Ost und West. Auf der Seidenstraße verkehrten Händler, aber auch Gelehrte und Armeen, schon in vorchristlicher Zeit zwischen Ostasien und dem Mittelmeerraum. Auf dem Wegenetz wurden jedoch nicht nur materielle Güter zwischen den Kulturen ausgetauscht: Auch der Buddhismus gelangte über die Seidenstrasse von Indien nach China.

Die Kaufleute handelten außer mit Seide auch mit anderen Kostbarkeiten, darunter Pelze, Keramik, Bronze und Gewürze. Die Seide scheint allerdings einen besonders guten Absatz gehabt zu haben. Sie war es schließlich, die der Seidenstraße ihren weltbekannten Namen gab. Denn das Material war nicht nur prächtig anzuschauen. Durch seine Elastizität in Folge hoher Proteinhaltigkeit war es auch praktisch einsetzbar. Seine Widerstandsfähigkeit veranlasste die Mongolen sogar dazu, quasi „in Seide gehüllt“ in den Kampf zu ziehen: Sie stellten ihre Brustpanzer aus dem Material her. „Seide hatte einen ähnlichen Wert wie Gold”, so die Kuratorin des Kastejew-Museums, das sich in einem weiteren Ausstellungsteil den engen Handelsbeziehungen zwischen dem Quing-Imperium und Kasachstan widmet.

Es ist an den Gesichtern der Besucher des Kastejew-Museums abzulesen: Die Zeit hat den Glanz der Seide nicht getrübt. Doch das Material in Reinform ist heutzutage nur noch selten anzutreffen. Zusatzstoffe aller Art haben die Seide längst zeitgenössischen Bedürfnissen angepasst – sie ist jetzt funktionaler und, zur Blütezeit der Discount-Supermärkte, nicht zuletzt auch kostengünstiger. Dennoch lässt auch nur ein Prozent „reinster Seidenextrakte” auf der Verpackung immer noch so manchen Luxusliebhaber seinen Geldbeutel zücken. Die Seide ist und bleibt ein verlässliches Handelsmittel – auch für den modernen Marktschreier.

Von Andrea Rüthel

26/03/10

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