Da wird man älter und weiser, und alles wird leichter. Denkt man. Denkste! Liebeskummer lässt sich mit Ende 30 nicht leichter ertragen als mit 20. Man macht es sich nur komplizierter, indem man die unerwiderte Liebe auf einen Sockel aus Geschwafel hebt. Wahrhaftiger ist die direkte Sicht der Jugend. Wie mir das Gespräch mit meinem Neffen gezeigt hat.

Da saßen wir lange an der Theke und tranken viel Bier. Mein Neffe und ich. Wir haben uns immer gut verstanden und uns stets in die entsprechenden Rollen unserer unterschiedlichen Lebensphasen gefügt. Er war klein, und ich hütete ihn. Er war naiv, und ich brachte ihm Schimpfwörter bei. Er suchte einen Ausbildungsplatz, und ich gab tantenhafte Ratschläge von mir. Die anderen Verwandten, Eltern und Großeltern, waren spießig, ich war cool.

Nun trafen wir uns ganz ohne Anlass und das erste Mal ohne weitere Sippschaft, einfach, um uns mal zu treffen. Schon bald stellten wir fest, dass wir uns in derselben Situation befinden: Liebeskummer. Und wenige Sätze weiter stellten wir fest: Wir fühlen uns beide gleich schlecht. Damit waren Altersunterschied und Rollenverteilung aufgehoben. Ich versuchte anfänglich noch so etwas wie tantenhafte Lebensreife einzubringen, dass es trotz allen Kummers doch toll sei, dass man überhaupt liebe, so tief liebe, so viel Gefühl aufbringen könne usw. bla bla.

Mein Neffe hörte sich brav und geduldig mein Geschwafel an und kommentierte: Das bringe ihm überhaupt nichts. Allein das Ergebnis zähle für ihn. Wenn seine Geliebte die Gefühle nicht erwidere, fühle es sich trotzdem Scheiße an, und alles andere sei egal. Damit stürzte jäh mein Gerüst in sich zusammen, ich fühlte: Er hat Recht! Und da es dazu nichts weiter zu sagen gab, tranken wir noch weitere Kölsch und prosteten uns solidarisch zu: Alles Scheiße! Das war zumindest ehrlich. Wie die Jugend so ist.

Die traurige Einsicht ist, dass Liebeskummer niemals besser wird, dass es kein Patentrezept dagegen gibt, dass man sich jahrzehntelang immer wieder damit abquält, sich zerfleischt, zu Tode reflektiert, denkt, gestärkt daraus hervorzugehen, um dann beim nächsten Mal doch wieder in den unsäglichen Qualen der Liebe zu landen. Keine schönen Aussichten! Aber immerhin hat es uns näher zusammengeführt.

Was mich doch wieder veranlasst, Positives daraus ziehen zu wollen. Dass man mit sich konfrontiert wird, auf dies und jenes gestoßen wird, daran wächst, zu anderen Menschen Nähe aufbauen kann usw. bla bla.

Aber Fakt ist: Aus Liebeskummer sind tolle Werke der Musik, Literatur und Bildenden Kunst entstanden, immerhin. Und auch diese Glosse, immerhin. Wenigstens habe ich Stoff bis zum nächsten Redaktionsschluss. Immerhin. Aber beschissen bleibt es trotzdem.

Julia Siebert

19/03/10

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