Der Verkauf und Transport von Autos deutscher Herstellung nach Kasachstan zeigte sich in den 90er-Jahren als ein erfolgreiches Business, gerade unter Kasachstandeutschen. Sergej Neumann ist einer der wenigen, die diesem noch nachgehen. Das Besondere an ihm: All das zeigt er seiner großen Anzahl an Followern auf TikTok. Wir haben mit ihm über seine Herkunft, die aktuelle Rentabilität dieses Geschäfts und seine Bloggertätigkeit gesprochen.

Sergej, wie kamen Ihre Vorfahren nach Kasachstan? Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Kindheit?

Es ist schwer, die Geschichte meiner Vorfahren genau zu rekonstruieren. Ein großer Teil meiner Vorfahren mütterlicherseits hat seinen Ursprung in der Umgebung von Ulm in Deutschland, sie bauten sich nach der Einladung Katharinas II ein Leben im heutigen Dagestan auf und flüchteten während der Oktoberrevolution an die Wolga. Anschließend wurden sie, wie so viele andere, in die kasachische Steppe deportiert.

Meine Mutter lebte zunächst im heutigen Umutker im Gebiet Karaganda, wo mein Großvater als Schmied gearbeitet hat. Auch hier war das Leben schwer. Seine Fähigkeiten als Schmied haben dazu geführt, dass er von den dort lebenden Kasachen festgehalten wurde. Später haben sie sich dazu entschlossen, nach Korneewka zu fliehen. Hier lernten sich meine Eltern kennen.

Mein Vater lebte zuvor mit seiner Familie in Anzhar. Auch sie teilten das Schicksal vieler Wolgadeutschen und wurden ebenfalls nach Kasachstan vertrieben. Es zog die Familie meines Vaters nach Korneewka, weil dort viele Nationalitäten zusammenkamen. Kasachen, Ukrainer, Deutsche, Russen, Tschetschenen und andere lebten hier friedlich miteinander.

Dort wurde ich 1979 als jüngstes von fünf Kindern geboren. Ich erinnere mich gerne an meine Kindheit dort, wir hatten viel Freiraum. Ich konnte mich um unsere Tiere kümmern. Wir hatten Pferde, Kaninchen, Kühe, Hühner und Schweine, die ich versorgen musste, wenn meine Eltern arbeiten waren. Weil meine Mutter eine begabte Bäckerin war, haben sich häufig viele Kinder bei uns zu Hause versammelt. 1994 fassten meine Eltern den Entschluss, alles zu verkaufen und mit unserer Familie nach Deutschland aus- beziehungsweise zurückzuwandern, um ihren Kindern und Enkeln eine bessere Zukunft zu ermöglichen.

Wie kamen Sie zu dem Verkauf und Transport von deutschen Autos nach Kasachstan? Ist das Ihr Hauptberuf?

Nein, es ist nicht mein Hauptberuf. Weil ich Freude daran habe, nach Kasachstan zu reisen, mir das Land anzusehen und Freunde und Bekannte zu besuchen, habe ich nach einem Weg gesucht, mir diese Leidenschaft zu finanzieren. Mit dem Transport von deutschen Autos nach Kasachstan kann ich mir also etwas dazuverdienen, mir diese Reisen ermöglichen und gleichzeitig anderen den Wunsch nach hochwertigen und beliebten Autos erfüllen. Ich war über 22 Jahre als LKW-Fahrer in ganz Europa tätig. Den Beruf habe ich aufgegeben und genieße nun meine Zeit mit Reisen.

Dieses Business war ja in den 90er Jahren unter Kasachstandeutschen sehr beliebt. So gut wie alle haben es mittlerweile aufgegeben. Warum führen Sie es noch fort? Lohnt sich das wirklich noch?

Meine Erfahrung zeigt, dass noch viele Leute in Kasachstan großes Interesse an deutschen Autos haben und sich den hohen Aufwand leisten können. Neben dem Transport ganzer Autos gibt es auch eine Nachfrage von Ersatzteilen. Weil ich das Business klein halte und nicht im großen Stil viele Autos transportiere, lohnt es sich schon für mich. Man wird zwar nicht reich dadurch, aber ich kann mir die Reise finanzieren.

Was machen Autos deutscher Herstellung auch heute noch so beliebt in Kasachstan?

Ganz einfach! Autos von Mercedes, BMW oder auch VW sind zuverlässig, langlebig und haben sich seit den 90er Jahren bewährt. Es ist die Qualität der Fahrzeuge, die sie so besonders macht. Teilweise kann ich es mir selbst nicht erklären, wie die Fahrzeuge mit 90er-Baujahr heute noch fahren. Ich nehme an, deutsche Technik ist auf der ganzen Welt beliebt. Viele möchten auch einfach ein Statussymbol, weil deutsche Autos auch häufig in Filmen zu sehen sind.

Andererseits erobern chinesische und koreanische Produktionen immer mehr den PKW-Markt. Sehen Sie hier große Konkurrenz?

Für mich nicht, da ich alles in kleinem Rahmen halte. Ein paar Liebhaber von deutschen Autos findet man immer. Aber für die deutsche Industrie sieht das natürlich vollkommen anders aus. Die kasachische Regierung fordert hohe Zollgebühren für die Einfuhr von deutschen Autos, weswegen es meiner Meinung nach zunehmend schwieriger für die Menschen in Kasachstan wird, sich ein neues deutsches Auto zu leisten.

Wie würden Sie Ihre kasachstanischen Kunden beschreiben? Wie läuft letztendlich der Kaufprozess ab?

Meistens habe ich es mit reicheren Leuten zu tun, die sich selbst ein neues Auto in Deutschland kaufen, aber auch mit solchen, die an älteren Modellen interessiert sind. Ich bin derjenige, der das Auto dann liefert und die Ersatzteile besorgt. Meistens fahre ich das Auto oder die Teile selbst vom Händler zum Kunden. Ich verkaufe die Autos nicht. Mein Geschäft beschränkt sich auf die Logistik und den Transport.

Durch die geopolitischen Umstände sind Fahrten durch Russland mit gültigem Visum problemlos möglich, allerdings steht man oft tagelang an der Grenze. Dadurch, dass ich bereits viele Bekannte und Freunde haben, die mir helfen, komme ich ganz gut durch. Insgesamt bin ich ungefähr vier bis fünf Tage unterwegs.

Wenn Sie es oft mit „besonderen“, reichen Leuten zu tun haben: Gibt es vielleicht einen Auftrag, der Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Ja, vor kurzem habe ich einen neuen Mercedes für einen kasachischen Diplomaten, der in den Niederlanden gearbeitet hat, von dort nach Astana überführt. Die Fahrt mit einem diplomatischen Kennzeichen war eine gute Erfahrung, da man besondere Rechte hat.

Und all das zeigen Sie Ihren rund 76.000 Abonnentinnen und Abonnenten auf TikTok. Wie kam der Entschluss, „Blogger“ zu werden?

Weil ich sowieso viel unterwegs bin, wollte ich meine Reisen mit der Welt teilen. Meine Beiträge und Kurzvideos sind für das deutsche Publikum mit Wurzeln aus Kasachstan interessant. Sie haben dadurch die Möglichkeit, ihre Heimat, die sie seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen haben, mit mir zusammen zu erleben. Genauso ist es für meine kasachstanischen Follower spannend zu sehen, wie das Leben in Deutschland ist. Einige von Ihnen haben Familie und Bekannte hier.

Das Besondere an Social Media ist, dass viele Menschen miteinander interagieren können. Mein Account hilft manchen, zueinander zu finden – sei es geschäftlicher oder familiärer Natur. Außerdem kann ich meine Erfahrungen und das Wissen, das ich auf meinen Reisen sammle, mit der Welt teilen und anderen dabei helfen, sich zu informieren, wenn sie selbst mit ihrem Auto nach Kasachstan fahren, um Urlaub zu machen oder ein Abenteuer zu erleben.

Sie zeigen auf Ihren Social-Media-Kanälen neben den Fahrten nach Kasachstan auch private, nostalgische Einblicke in Ihr Leben. Wie wichtig finden Sie die Erinnerung eines Menschen an seine Herkunft? Geben Sie die kasachstandeutschen Traditionen auch an Ihre Kinder weiter?

Sehr wichtig. Ich denke, es wichtig, sich stetig zu erinnern, wo man herkommt und was die Geschichte der eigenen Familie ist, was sie erlebt und wie sie gelebt haben. Das macht uns zu dem, der wir heute sind. Diese Zeit hat unsere Großeltern und deren Eltern sehr geprägt. Ihre Werte und Traditionen haben sie an uns weitergeben, wie wir sie jetzt unseren Kindern weitergeben. Der Ursprung und die Vergangenheit sind immer auch im Hier und Jetzt präsent. Vielleicht finden es unsere Kinder in einem gewissen Alter zunächst uninteressant, später aber werden sie sich Fragen stellen, die ihnen dann vielleicht keiner mehr beantworten kann.

Eine kleine persönliche Zukunftsprognose: Wie lange, denken Sie, werden Sie Ihr kleines Business noch fortführen können?

Es ist wichtig, noch einmal zu erwähnen, dass es für mich mehr Hobby als Business ist. Oder zumindest ein Mittel zum Zweck. Solange die Nachfrage nach deutschen Autos da ist, werde ich meine Besuche nach Kasachstan damit finanzieren können. Wer weiß, ob irgendwann allein meine Aktivität in Social Media ausreichend sein kann, um diese Reisen möglich zu machen. Diejenigen, die etwas von dem sehen möchten, was ich tue, können sich gerne meinen TikTok-Account ansehen: @sersch79.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Annabel Rosin.

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