Was Augenzeugen in Almaty bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Stadt erlebten.

Swetlana Jakowlewa, wohnhaft im Nurly-Tau-Komplex, 22. Etage. Arbeitet auch dort, 3. Etage.

Am 4. Januar machten wir uns mittags mit den Kindern auf zum Dostyk Plaza an der Scholdasbekowa-Straße. Die Furmanowa unterhalb der Satpajewa war schon abgesperrt, und der Verkehr wurde über die Scholdasbekowa umgeleitet. Wir verbrachten den Tag bis um fünf im Dostyk Plaza, und fuhren dann nach Hause. Dort hörten wir zunächst vom Hof Feuerwerk, und es wurde jemandem zum Geburtstag gratuliert. Eine halbe Stunde später, gegen 22:30 Uhr, ertönte vom Platz (der Republik) plötzlich ein ganz anderer Lärm: Dort explodierten Blend- und Rauchgranaten. Das ging bis früh um 6. Wir schliefen nicht, die Kinder hatten Angst. Ständig explodierten weitere Blendgranaten.

Am nächsten Tag standen wir um 7 auf und gingen zur Arbeit. Unsere Kollegen konnten nicht ins Büro, weil schon keine Taxen mehr fuhren. Nur wenige waren da. Als ich nachmittags aus dem Fenster schaute, sah ich, wie ein großer Pulk von Soldaten aus Richtung des Platzes gerannt kam. Panik. Wir riefen alle Mitarbeiter dazu auf, so schnell wie möglich nach Hause zu fahren. Als sie sich in ihre Autos setzten, eilten die Soldaten zu ihnen und baten sie, sie so schnell wie möglich wegzubringen – Hauptsache weg von diesem Ort –, denn die Demonstranten griffen gezielt Leute in Uniform an. Einer unserer Kollegen nahm einen Offizier mit, der am ganzen Leib zitterte.

Danach war ein Tag wie der andere. Wir saßen zuhause, hatten kein Internet, und die ganze Zeit war die Stadt in Qualm gehüllt. Schüsse, Salven und Schießereien ertönten, und je mehr geschossen wurde, desto dichter wurde der Qualm. Als wir mitbekamen, dass das Akimat und die Präsidentenresidenz brennen, ging es dann stündlich mit Maschinengewehrsalven weiter. Wir verbarrikadierten uns zuhause, machten das Licht aus, und saßen im Dunkeln, weil die Salven sehr, sehr nah waren.

In der Nacht zum 7. Januar war dann schon die ganze Zeit Ausgangssperre. Mein Vater rief an und sagte, er sei gestürzt und könne nicht aufstehen. Wir riefen den Rettungsdienst und den Katastrophenschutz – um den Rettern zu helfen, in die Wohnung zu kommen. Doch die meldeten sich kurze Zeit später und erklärten, dass man ihnen verboten hätte, auszurücken. Der Rettungsdienst sagte, dass die Demonstranten – oder besser Terroristen?! – sie riefen, weil es dort Verwundete gebe, und die Retter sollten sich um diese kümmern. Sie sagten, die Terroristen würden sie festhalten, schlagen und nicht fortlassen. Deswegen würden sie sehr sorgfältig jedes Ausrücken prüfen.

Annabel Rosin, 22 Jahre, Studentin aus Baden-Württemberg

Eigentlich wollte ich in Almaty nur meine Weihnachtsferien verbringen – doch die Ereignisse der letzten Woche brachten so einige Veränderungen mit sich. Schon am 4. Januar wurden gegen 22 Uhr die Internetleitungen gekappt, und so blieben wir eine ganze Weile ohne jegliche Informationen, was genau in der Stadt vor sich geht. Es war eine schlaflose Nacht. Obwohl sich meine Unterkunft doch um einiges vom Platz der Republik und dem Akimat entfernt befand, waren bis in die Morgenstunden Granaten und Schüsse zu hören.

Die Tage nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen fühlten sich für mich wie die Anfangszeit der Corona-Pandemie an: Fast menschenleere Straßen und geschlossene Geschäfte. Die örtliche Polizei wies ab dem 5. Januar täglich gegen 22:30 Uhr per Megafon auf die kommende Ausgangssperre bis zum Morgen hin.

Weil bei den Protesten auch einige Filialen der hiesigen Supermarktketten zerstört worden waren, blieben auch diese für einige Tage geschlossen. So bildeten sich vor den kleinen Lebensmittelgeschäften lange Warteschlangen – gerade vor denen, die Brot verkauften. Aber auch andere Lebensmittel wie Eier, Wurst und Käse waren in diesen Tagen schnell vergriffen.

Fast fünf Tage saßen wir durchgehend ohne Internet in unserer Wohnung – abgeschottet von der Außenwelt. Nur staatliche Nachrichtenportale wie tengrinews.kz funktionierten nach wenigen Tagen ohne Internetverbindung, und so konnten wir uns immerhin etwas über die Geschehnisse informieren. Kontakt zu Freunden und Familie konnten wir zum Glück per SMS und Telefonanrufe aufrechterhalten. So konnte ich auch mit meinen Eltern in Deutschland kommunizieren – wenn auch zu hohen Tarifen.

Auch die örtliche Online-Bezahlmethode der Kaspi-Bank – die mittlerweile das Bargeld in Kasachstan fast verdrängt hat – funktionierte letzte Woche ohne Internetverbindung kaum. Viele Menschen eilten daher zu den noch funktionierenden Bankautomaten, um in den kommenden Tagen noch einkaufen zu können. Doch nicht jeder hatte Glück: Die meisten Automaten konnten schon nach kurzer Zeit kein Papiergeld mehr ausgeben.

Julia Gerlitz, arbeitet wenige Blöcke vom Platz der Republik entfernt

Am 5. Januar nach der Mittagszeit sahen meine Kollegen und ich vom Fenster aus, wie Offiziersanwärter aus der Richtung des Platzes stürmten. Einige von ihnen waren bis auf die Unterwäsche ausgezogen. Einer von ihnen suchte bei ihnen Zuflucht im Gebäude. Er war verprügelt, seine Kleidung zerrissen, und er weinte und zitterte. Er erzählte, dass die Menge angefangen hatte, die Einsatzkräfte zu schlagen, die dort an der Absperrung auf dem Platz standen. Er bat um bürgerliche Kleidung, weil er sich in Militäruniform nicht mehr auf der Straße sehen lassen könne, ohne sofort geschlagen zu werden.

Die Leute besorgten ihm solche Kleidung und riefen seine Verwandten an, die kamen um das Kerlchen einzusammeln. Als ich abends nach Hause kam, fiel mir auf, dass fast die Hälfte der Autos, die noch in der Stadt unterwegs waren, keine Nummernschilder hatten. Sie waren mit deutlich erhöhter Geschwindigkeit unterwegs, beachteten keine roten Ampeln, und fuhren sogar auf der Gegenfahrbahn. Und später sahen wir im Fernsehen, dass die Terrorbrüder sich Autos geschnappt hatten, um sie für ihre Angriffe zu
nutzen.

DAZ

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