In Nur-Sultan feiern die Deutschen Kasachstans das 30-jährige Jubiläum der „Wiedergeburt“. Das Festival mit zahlreichen Gästen aus dem Ausland ist auch ein Zeichen dafür, wie die deutsche Gemeinschaft an Status und Anerkennung gewonnen hat.


Jugendliche versammeln sich auf dem Schulhof, gehüllt in traditionelle Kleider und Trachten, mit bunten Hüten und Haarschmuck. Auf den blumenverzierten Schildern, die sie emporhalten, stehen die Orte, aus denen sie kommen: Pawlodar, Ridder, Karaganda oder Almaty. Die Szene steht symbolisch für das Motto des zehnten Festivals der deutschen Kultur, auf dem die Stiftung „Wiedergeburt“ am Wochenende ihr 30-jähriges Jubiläum feierte: „Wir sind zusammen“. Nun ist die große Geburtstagsfeier vorbei, die Teilnehmer und Organisatoren wieder zuhause in ihren Regionen, die Nationaltrachten zurück im Kleiderschrank – wenn sie nicht auf einem der zahlreichen Oktoberfeste in den kommenden Wochen zum Einsatz kommen. Von dem bunten Fest werden dagegen alle noch lange zehren.

Viel Lob für die Deutschen Kasachstans

Dabei sind es nicht nur die schillernden Bilder der farbenfrohen Kostüme, die Klänge kasachisch-deutscher Lieder, die als Erinnerung an das Festival bleiben. Es sind vor allem die Botschaften, die davon ausgingen und auch außerhalb der „Wiedergeburt“ gehört wurden. Die deutsche Minderheit hat sich in Nur-Sultan nicht nur selbst gefeiert, sie hat sich diesmal auch feiern lassen. „Die Deutschen sind ein nicht wegzudenkender Teil des geeinten Volkes Kasachstans“, sagte der frühere stellvertretende Vorsitzende der Volksversammlung Kasachstans Leonid Prokopenko in seinem Grußwort während des Festaktes am Samstag. Er bezeichnete die Minderheit als „Beispiel für das Streben nach Entwicklung und Konkurrenzfähigkeit“.

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Anerkennend äußerte sich auch der deutsche Botschafter Tilo Klinner in seinem Grußwort. Er lobte den „wirklich engen Kontakt der „Wiedergeburt“ mit der deutschen Botschaft und auch mit den deutschen Institutionen in Kasachstan“, das zuletzt gestiegene Engagement der Selbstorganisation für die Jugend und ihr Eintreten für gesellschaftliche Harmonie im Land. „Besonders freut mich, dass die „Wiedergeburt“ sich nicht als Insel versteht, sondern als konstruktiven Teil dieses schönen Landes Kasachstan, und dass sie eine enge Beziehung zu allen anderen Ethnien pflegt.“

Es ist die Linie, die auch die Leitung der Wiedergeburt verfolgt und als Garanten für ein erfolgreiches Dasein der deutschen Minderheit in Kasachstan sieht: Geschlossenheit nach innen, Offenheit nach außen, Bekenntnis zur gemeinsamen Gegenwart und Zukunft in einer vielseitigen Gesellschaft. „Lasst uns unsere Unabhängigkeit wahren und unser wunderbares Kasachstan verherrlichen“, hallte es am Ende des Galakonzerts am Samstag passend dazu von der großen Bühne – eine Liebeserklärung an das viel beschworene „gemeinsame Haus“.

Neue Impulse nach innen und außen

Seit Albert Rau 2017 das Ruder bei der „Wiedergeburt“ übernahm, hat die deutsche Minderheit ihre Stellung in der kasachstanischen Gesellschaft gefestigt. Als Maschilis-Abgeordneter verfügt Rau über gute Kontakte in die Landespolitik und ist zudem auf Ausgleich bedacht, was politische Unterstützung für die Anliegen der Deutschen seitens der kasachischen Regierung wahrscheinlicher macht. Erste Erfolge zeigen sich bereits in vielen Bereichen. So wurde die Beschränkung des Deutschunterrichts an höheren Schulen im vergangenen Jahr aufgehoben und Deutsch gegenüber Englisch als dritte Sprache aufgewertet, an den Universitäten des Landes werden wieder junge Deutschlehrer ausgebildet und mit Grants gefördert, ethnische Deutsche erhalten häufiger Visa zur mehrmaligen Einreise in den Schengen-Raum, es gibt gemeinsame Bestrebungen zur Entwicklung und Förderung des Unternehmertums.

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In ihrer inneren Struktur hat sich die Selbstorganisation der Deutschen Kasachstans mit dem Umbau zur gesellschaftlichen Stiftung völlig verändert: dem zwölfköpfigen Gründungskomitee wurde ein Kuratorium gegenübergestellt, die Zentrale zog in die Hauptstadt um, ein neues Konzept für eine verbesserte Jugendarbeit wurde erstellt.

Trotzdem sieht die Leitung der „Wiedergeburt“ noch reichlich Arbeit vor sich: mit dem „Programm zur Entwicklung der deutschen Gemeinschaft“, das von mehr als 60 Experten ausgearbeitet wurde, soll das Bildungsniveau gesteigert, die Sozialarbeit verbessert, die Lebensqualität gehoben und so der Migrationsdruck verringert werden. Auch die weitere Professionalisierung der Minderheitenmedien steht weit oben auf der Agenda. Während des Jubiläums erinnerten Teilnehmer daran, dass die deutsche Gemeinschaft bei vielen Fragen noch klären müsse, welchen Weg sie gehen wolle.

Spracherwerb Aufgabe Nummer eins

Die drängendste Aufgabe neben der Jugendarbeit bleibt freilich der Spracherwerb und –erhalt. Für Beobachter von außen wirkt es merkwürdig, wenn auf einem Festival allerorts deutsche Trachten zur Schau gestellt, deutsche Bräuche vermittelt, deutsche Rezepte ausgetauscht und deutsche Tänze aufgeführt werden – zugleich aber Podiumsdiskussionen zwischen Spitzenvertretern der Minderheit und deren Redebeiträge zur Feier des Tages allesamt auf Russisch stattfinden. Einzig der frühere Leiter des ersten Deutschen Theaters Jakob Fischer stach hier am Ende der Festveranstaltung als Ausnahme heraus. Viele Angehörige der deutschen Gemeinschaft gehen mit dem Problem durchaus selbstkritisch um. „Der Spracherwerb muss unsere Aufgabe Nummer eins sein“, rief etwa eine Frau aus dem Publikum den Teilnehmern der Podiumsdiskussion vom Samstag zu. „Wir müssen deutsch sprechen und deutsch denken.“

Etwas anders sieht das Renata Trischler, die als Vertreterin der Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten (FUEN) extra aus Berlin nach Nur-Sultan geflogen war. „Wir wissen, dass die Sprachsituation für die Minderheiten in der ehemaligen Sowjetunion historische Gründe hat“, sagte Trischler am Rande des Festivals. Angesichts der jahrelangen Repressionen gegen die deutschsprachige Bevölkerung sei es eine große Errungenschaft, dass der Sprachverlust nicht auch zu einem Verlust der Identität geführt habe. „Besonders beeindruckt mich, wie viele junge Leute es in den Reihen der Deutschen Kasachstans gibt und wie stark sie die deutsche Kultur leben, selbst wenn sie nur wenig Zugang zur Sprache haben“, so die Kroatiendeutsche.

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Wenn Trischler sagt, es gebe in wenigen Ländern eine ähnlich aktive und zugleich junge deutsche Gemeinschaft wie in Kasachstan, ist das nicht einfach so dahingesagt. Als Koordinatorin der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten (AGDM) innerhalb der FUEN ist sie für deutsche Minderheiten in 21 Ländern zuständig und kennt die Situation dort gut.

Die „Wiedergeburt“ ist als Stiftung erst seit diesem Jahr Mitglied der FUEN. Der Besuch von Renata Trischler und FUEN-Vizepräsident Vladimir Ham war deshalb auch ein starkes Signal, dass die Selbstorganisation der Deutschen Kasachstans sich auf die Unterstützung aus Europa verlassen kann. „Die FUEN ist durch den Beitritt der ‚Wiedergeburt‘ reicher geworden“, sagte Trischler am Rande des Festivals. Nun gelte es, die Zusammenarbeit und den Austausch trotz der großen Entfernung weiter zu vertiefen. Eine gute Möglichkeit dafür bietet die Wanderausstellung, mit der die FUEN aktuell 25 deutsche Minderheiten in ihren Ländern vorstellt: Nächstes Jahr wird sie voraussichtlich nach Kasachstan kommen, um von dort nach Kirgisistan und Usbekistan weiterzuziehen.

Christoph Strauch

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