Es gibt Berufe, die man auch nach Feierabend ausüben muss. Wenn man Anwalt, Kfz-Mechaniker, Arzt, Versicherungsmakler oder Web-Designer ist, finden sich im Freundes- und Verwandtenkreis immer reichlich Kandidaten, die nur mal eben kurz um einen schnellen Gefallen bitten. Gott sei Dank gehöre ich nicht zu den benannten Berufsgruppen.

Als Geografin darf ich getrost mein wohlverdientes Feierabendbier genießen, denn niemand will wirklich wissen, warum sich wo wie welche Räume entwickelt haben. Und sowieso weiß niemand wirklich, was Geografen wissen, tun und lassen. Wenn ich mich hingegen als Beraterin bei der Existenzgründung, Berufsorientierung oder Projektantragstellung oute, kann es schon mal sein, dass jemand das Gespräch sucht, um noch diesen oder jenen Tipp abzugreifen. Aber da das selten vorkommt, bin ich offen für freundschaftliche oder verwandtschaftliche Ratgesuche. So wird dieser Tage mal wieder mein Einsatz gefordert.
Meine Mutter rief unlängst an, mein Neffe, derzeit im Zivildienst, wüsste so gar nicht, was er werden will und kriege seinen Hintern nicht hoch, viel zu spät sei er dran mit den Bewerbungen, oh je oh je, ob das noch was wird! Ob ich da nicht mal was machen könne. Klar, kann ich natürlich schon. Fragt sich nur, ob mein Neffe sich das auch wünscht. Tanten sind eigentlich dafür da, heimlich hinter dem Rücken der Eltern den Nichten und Neffen Schokolade und ein bisschen Taschengeld zuzustecken. Ansonsten sitzt man als Tante besser unaufdringlich an der Festtafel und geht dem jungen Gemüse nicht ungefragt mit schlauen Tipps aus dem Leben auf den Geist. So habe ich schüchtern meine Tanten- beziehungsweise Beratungsdienste angeboten, mein Neffe zeigte sich aber offen, und so versuchten wir gemeinsam herauszufinden, was der Junge denn mal werden wolle. Nun habe ich mich in meinen Rollen verfangen. Als Tante habe ich ihm klargemacht, dass er vor allem ruhig Blut bewahren und sich nicht verrückt machen lassen soll, dass er irgendwann wissen wird, was er will. Dass auch Umwege und Irrwege früher oder später irgendwohin führen; dass man alles, was man anfängt, auch wieder sein lassen kann. Also ein Loblied auf das Irgendwas-Irgendwie-Irgendwann. Siehe die Tante! Mit einem schlechten Abizeugnis, einer abgebrochenen Lehre, ein paar nicht bestandenen Prüfungen, einem Jahr Jobberei zur Überbrückung ist ja schließlich doch was aus mir geworden! Endlich konnte ich mich mal jemandem als Vorbild präsentieren. Nach diesem Prolog bin ich dann aber in meine Rolle als Potenzialberaterin gewechselt. Und muss feststellen: Mein Neffe möchte sich nicht anstrengen, nicht viel lernen müssen, ist vollkommen unmobil, ein geordneter Tagesablauf als Beamter wäre prima, bloß keine Überstunden, einfach genug Geld, um eine kleine eigene Wohnung bezahlen zu können. Tja, das haben wir nun von der Hochbegabtenförderung! Ein klassischer Fall von Überförderung, der Bursche will für den Rest seines Lebens einfach nur noch eine ruhige Kugel schieben. Keine Panik! flüstern wir uns hinter seinem Rücken heimlich zu, Motivation und Ambitionen kommen dann später schon noch … Erstmal irgendwo bewerben, damit er was in der Tasche hat.

Aber oh je! Zuletzt bin ich zufällig als Überraschungsgast in seine Bewerbungen gestolpert, als ich meinen Bruder zu ihm begleitete, der ihm den Drucker anschließen wollte, damit er seine Bewerbungen ausdrucken könne. Ja, der Drucker zickte, aber das war das geringste Problem. Als er schließlich lief, kamen lieblose Anschreiben wie aus dem Katalog ohne Pepp auf knitterigem schlechten Papier aus dem Ding. Zudem fehlten Umschlag, Briefmarken, Bewerbungsmappen. Es war Sonntag, am nächsten Tag musste mein Neffe früh weg. Als Tante habe ich ihn natürlich unterstützt, ganz fürsorglich, seine Schusseligkeit aufgefangen, ihm seinen Kram erledigt. Pädagogisch zwar nicht wertvoll, aber als Tante … Nun habe ich ihm als Beraterin eine saftige Standpauke hinterhergepfeffert wegen dieser miserablen Bewerbungen. Falls er meinen fachlichen Rat nicht befolgt und keine Ausbildungsstelle findet, fange ich ihn eben als Tante wieder auf und tröste ihn, dass das ja gar nicht so schlimm ist und er irgendwann irgendwie…

Julia Siebert

06/02/09

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