Zur Diskussionsrunde „Kasachstan – vom Aufschub der Todesstrafe zur Abschaffung“ trafen sich Experten aus acht Ländern und 40 Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen (NGO) im Hotel Kasachstan in Almaty. Das Ereignis ist Teil eines Projektes der Europäischen Union, die Todesstrafe in zentralasiatischen Staaten abzuschaffen. Unterstützt haben die Versammlung die Deutsche Botschaft in Kasachstan und die Menschenrechtsorganisation „Freedom House“.
Gleich zu Anfang der Konferenz macht Adrian van der Meer deutlich, worum es geht: Der Kampf gegen den Terrorismus solle keine Rechtfertigung für die Todesstrafe sein. Im Hotel „Kasachstan“ hatten sich um die 40 Vertreter von Nichtregierungsorganisationen und Botschaften getroffen, um über die Abschaffung der Todesstrafe in Zentralasien zu diskutieren.
„Unser Ziel ist es, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das Thema zu lenken und Dialoge anzuregen“, sagt Antonio Stango, Vorsitzender von „Freedom House“, einer NGO in Kasachstan. Die gute Entwicklung Kasachstans auf dem Gebiet der Menschenrechte lobt Joachim Baron von Marschall von der Deutschen Botschaft. Er erhoffe sich aber, dass dieses Gespräch dazu beitrage, dass sich das Land vom jetzigen Zustand der noch immer existierenden Todesstrafe ganz verabschiede.
Tod oder lebenslange Haft
Am 17. Dezember 2003 hatte Präsident Nursultan Nasarbajew das „Moratorium für Exekutionen“ unterzeichnet. Das heißt, dass in Kasachstan die Todesstrafe im Gesetzestext noch existiert, angewandt wurde sie jedoch seit Dezember 2003 nicht mehr. Alternativ ist dafür am 1. Januar 2004 die lebenslange Haft als höchste Strafe ausgesetzt worden. Davor wurden auf staatliches Geheiß noch 84 Menschen von 2001 bis 2003 mit dem Tod bestraft, so die Angaben des Innenministeriums. Die Intention der Deutschen, die die Todesstrafe bereits 1949 abschafften, erläutert von Marschall: „Wie die Nationalsozialisten mit dem menschlichen Leben umgegangen sind, hat uns geprägt.“ Er fügt hinzu, dass das Leben, wie schon in den meisten Religionen festgeschrieben, in allen Ländern unantastbar sein sollte. Auf der Konferenz stimmt Swetlana Kowljagina ihm zu. Die Vositzende des Komitees für die Überwachung von Strafverbesserung in Pawlodar sagt: „Gerechtigkeit darf nicht töten. Jeder hat das Recht zu leben, egal was die Person auch getan hat. Es muss aber gewährleistet werden, dass eine lebenslange Haftstrafe nicht Schlimmeres bedeutet, als die Verurteilung zum Tod.“ Julia Wassiljewa, Initiatorin der Konferenz, gibt einen kurzen Überblick darüber, wie die einzelnen zentralasiatischen Staaten mit der Todesstrafe umgehen. Sie ist Vorsitzende von „Hands off Cain“. Demnach will Kirgisistan frühestens 2006 den staatlich angeordneten Mord abschaffen, Usbekistan 2008. Turkmenistan hat den Plan bereits im Jahr 2000 umgesetzt, Tadschikistan im Februar 2005. Für tadschikische Männer zwischen 18 und 63 Jahren ist die Höchststrafe lebenslange Haft, sind sie unter 18 oder über 63, können sie maximal zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt werden. Dieses Strafmaß gilt für Frauen jeden Alters.
Nach einer Pause ist die Gruppe um die Hälfte geschrumpft, die meisten Vertreter der europäischen Länder sind verschwunden. Die Usbekin Hi-kouat Kadurowa aus Taschkent erzählt von persönlichen Schicksalen.
Marco Perduca, Mitglied von „Hands off Cain“, einer Organisation, die sich weltweit für einen Aufschub bzw. die Abschaffung der Todesstrafe einsetzt, sagt abschließend: „Nur wenn die Bürger über das Thema Todesstrafe nachdenken und den Gedanken, diese abzulehnen, weitertragen, kann es funktionieren, den Tod als Höchststrafe zu verbieten.“
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Über die Köpfe hinweg
Hinter verschlossenen Türen diskutierten Vertreter von Nichtregierungsorganisationen (NGO), verschiedene Botschafter und EU-Mitarbeiter die Abschaffung der Todesstrafe in Zentralasien. Man versicherte sich gegenseitig, Zentralasien helfen zu wollen, sich von der Todesstrafe zu verabschieden. Doch Zutritt zum Konferenzraum hatte nur, wer auf der Gästeliste stand. Die Bürger Kasachstans, die eigentlich darüber entscheiden sollten, was die Höchststrafe in ihrem Land ist, blieben außen vor. Wer trägt aber dann das Besprochene dem einfachen Mann vor, wer diskutiert mit ihm, wenn die extra dafür organisierten Versammlungen es nicht tun? Und sollte diese Thematik nicht viel eher den autokratischen Präsidenten der Länder vorgetragen werden, die letztendlich über die Köpfe hinweg entscheiden, welches Gesetz verabschiedet wird? Denn ein Mitspracherecht hat das Wahlvolk Kasachstans sowieso nicht, und die Diskussion um das Sterben als Strafe ist hier eine andere: Es steht nicht wie z.B. in Europa zur Debatte, ob Schwerverbrecher und Triebtäter zum Schutz vor der Gesellschaft lebenslang weggesperrt oder sie zur „ausgleichenden Gerechtigkeit“ getötet werden sollen. Stattdessen scheint die Todesstrafe ein Instrument, um Oppositionelle und solche, die gegen Korruption und die Allmacht des Staates aufbegehren, Angst zu machen. Angst, z.B. wegen freier Meinungsäußerung mit dem Tod „bestraft“ zu werden. In Kasachstan wurden bis zum Moratorium der Todesstrafe „militärische Verbrecher“ und „Staatsfeinde“ mit der tödlichen Höchststrafe belegt. Todesstrafe ja oder nein ist somit die Frage nach Demokratie ja oder nein. Und würden sich die zentralasiatischen Staaten und vor allem ihre Bürger für ein „Nein“ entscheiden, lägen sie damit in Sachen Demokratie sogar noch vor den USA.
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Von Eva Hotz
02/06/06