Seit kurzem kann man als Deutscher ohne Visum in die Volksrepublik einreisen. Wie das auf dem Landweg funktioniert, wollte unser Praktikant Hauke Schenck wissen. Mitgebracht hat er viele einzigartige Erlebnisse.
Die Stimmung ist angespannt, die Menschen um mich herum sprechen eine fremde Sprache. Die Wartezeit in der Schlange an der Passkontrolle an der chinesisch-kasachischen Grenze ist lang. Deutschland hat zusammen mit fünf weiteren Ländern seit dem 1. Dezember 2023 eine Vereinbarung mit China, laut der Touristen bis zu 15 Tage ohne Visum in die Volksrepublik einreisen dürfen. Diese Chance wollte ich mir nicht entgehen lassen, und so stieg ich in Almaty in den Reisebus gen Osten.
Eigentlich sollte es für mich in das kasachisch geprägte Ili gehen. Doch bei der Einreisekontrolle werde ich sehr lange zu meinem Lebenslauf befragt. Es gäbe ein Problem mit dem Chip meines Reisepasses, heißt es außerdem, obwohl dieser erst im Februar dieses Jahres ausgestellt wurde.
Tatsächlich macht die Beamten stutzig, dass ich Journalismus studiere und mit einer Kamera unterwegs bin. Grund genug, mich von der Immigrationsinspektions-Polizei in einen Verhörraum bringen zu lassen. Ich werde abgetastet, mein Handy wird durchsucht und mein Gepäck von oben bis unten durchsucht.
Als ich schließlich meinen Stempel bekomme, ist draußen der Bus schon ohne mich abgefahren. Ich begreife, dass der Trip nach Ili wohl doch nicht so einfach sein wird wie gedacht. Zum Glück wurde ich nicht als Einziger aufgehalten. Ich schließe mich mit Hafiz (Name geändert) aus Tadschikistan zusammen, der ebenfalls nicht wieder in seinen ursprünglichen Bus einsteigen konnte.
Er sagt, er reise öfters nach China und in Ili gäbe es nicht so viel zu sehen. In Ürümqi hingegen könne man eine wahre chinesische Großstadt auch im Westen des Landes hautnah erleben. Ich lasse mich überzeugen – auf geht´s nach Ürümqi mit meinem neuen Freund. Wir finden einen Nachtbus mit Betten, treffen einen uigurischen Banker und machen uns auf die Reise durch den chinesischen Abschnitt des Tienschan-Gebirges.
Super-App für alles
Nach einer aufregenden Nacht auf der Straße kommen wir um 6 Uhr morgens in der größten westchinesischen Stadt an. Mit vier Millionen Einwohnern ist sie in etwa so groß wie Berlin und doppelt so bevölkerungsreich wie Almaty. Trotzdem ist sie nicht einmal unter den Top Ten der bevölkerungsreichsten Städte der Volksrepublik.
Es ist eine Stadt mit touristischen Angeboten, die sich jedoch vornehmlich an Chinesen richten. In fünf Tagen finde ich keinen einzigen weiteren Touristen aus Europa. Mir wird gesagt, die Meisten reisten in die bekannteren Großstädte im Osten wie Shanghai, Peking oder die Metropolregion Perlflussdelta.
Auf Englisch kann man vor allem mit den Jüngeren kommunizieren. Ansonsten wird Mandarin und Uigurisch gesprochen, selbst wenn man mit Händen und Füßen deutlich macht, dass man nichts versteht. Es ist also empfehlenswert, sich vorher Gedanken um eine Übersetzungsmöglichkeit zu machen und sich zumindest grundlegende Worte anzueignen. Bei Google Übersetzer kann man sich vereinfachtes Chinesisch runterladen, das dann auch offline zur Verfügung steht.
Ansonsten gibt es mit Alipay eine App für Alles, die eine hervorragende Sprache-zu-Text-Übersetzungsfunktion bietet. Mithilfe dieser App kann man außerdem Hotels buchen, Taxis bestellen, mit neuen Bekannten chatten und vor Allem an fast jedem Ort schnell und einfach per QR-Code bezahlen. Dafür muss man seine Kreditkarte im Vorhinein mit der App verknüpfen. Achtung: Kreditkarten aus anderen Ländern werden in Ürümqi nur sehr selten akzeptiert.
Ein weiteres Argument für die Installation von Alipay während des Aufenthalts ist die nationale Restriktion von Whatsapp, Paypal und amerikanischen Sozialen Netzwerken im Generellen. Wer dagegen vorhat, mit VPN-Diensten trotzdem auf das Internet seines Heimatslandes zuzugreifen, der wird merken, dass dies nicht immer funktioniert und wenn, dann oft auch nur sehr wechselhaft. Es ist daher wirklich schwer, China zu besuchen und dabei AliPay zu vermeiden.
Der Staatsapparat ist omnipräsent
Als wir nun endlich an der Busstation in Ürümqi aussteigen, stellen wir uns der Herausforderung, ein Hotel zu finden, in dem man auch als Ausländer einfach einchecken kann. Dank eines freundlichen Einheimischen finden wir jedoch recht schnell eine geeignete Unterkunft. Der einzige Haken: Wir müssen unsere Reisepässe an der Rezeption abgeben.
Dabei brauchen wir diese für den Erwerb einer chinesischen SIM-Karte, um uns beispielsweise in dem Wlan-Netzwerk des Hotels einzuloggen oder den Rückflug zeitnah zu buchen. Die Sammlung der Daten und die hohen Sicherheitsstandards des Systems werden beinahe zu einem kleinen Teufelskreis. Doch für uns wird an der Rezeption eine Ausnahme gemacht und wir dürfen unsere Reisepässe behalten. Da wir uns jetzt gut in das chinesische System integriert haben, kann endlich die Stadterkundung beginnen.
Ürümqi ist die Hauptstadt der uigurisch-autonomen Region Xinyiang im Nordwesten Chinas. Sie ist die am weitesten vom Meer entfernte Großstadt der Welt. Das Stadtbild ist geprägt von modernen Hochhäusern, chinesischen und arabischen Aushängeschildern und eng aneinandergereihten 50m2 Geschäften, die die kulturelle Vielfalt Chinas offenbaren.
Schätzungsweise alle 500 bis 1.000 Meter wartet eine kleine Polizeistation, Überwachungskameras sind omnipräsent und große Militärfahrzeuge mit bewaffneten Soldaten werden öffentlich ausgestellt, um die Staatsmacht zu demonstrieren. „China wird bald die Nummer Eins der Welt sein“, teilt mir ein junger ambitionierter Mann stolz mit, und fragt: „Kennst du den Begriff China-Speed?“
Nachdem ich die Baustellen hier und eine Ausstellung des Architekturbüros „Loulan Mansion“ mit einer beeindruckenden Zeitleiste der Bauprojekte der letzten 20 Jahre in Ürümqi gesehen habe, wird mir klar, was er damit meint: Wirtschaftliches Wachstum. Ermöglicht wird es durch die genau regulierte Verteilung von Aufgaben in der Gesellschaft durch die Regierung.
Eine der Schattenseiten ist die Umweltbelastung, die dadurch entsteht. Selbst wenn man ablehnt, wird einem im Laden noch eine große Plastiktüte für die kleinen Plastiktüten der einzelnen Produkte mitgegeben. Im Restaurant werden ganze Mahlzeiten einfach stehen gelassen, wenn man doch schon früher gehen muss. Es gibt immerhin spezielle Recycling-Mülleimer, doch das Umweltbewusstsein scheint auf den ersten Blick nicht sehr hoch zu sein. Immerhin: Die Straßen sind sauber und es ist kaum Müll auf dem Boden zu sehen.
Rock verbunden mit uigurischer Volksmusik
Ein Highlight der Stadt und auf jeden Fall einen Ausflug wert ist der Berg Yaomoshan. Dort genießt man eine ruhige Atmosphäre und kann in der Natur abschalten. Selbst am Samstag ist nur wenig los und man kann sich gut von den ständigen Menschenmengen in der Stadt erholen. Der Berg befindet sich in der Mitte der Großstadt und von seinen Spitzen aus lassen sich die zahlreichen Hochhäuser der Umgebung schön betrachten. In den Gebüschen warten weitere kleine Überraschungen, wie Schreine und Familiendenkmäler aus dem 20. Jahrhundert.
Es gibt einen großen Basar mit uigurischen Türmen, ein Fußballkino mit Ledersitzen in einem Wettbüro, ein Smiley-Männchen, das auf einem Hochhaus sitzt und eine Jazzbar, in der eine Rockband jeden Abend Songs darbietet, die auf eine sehr intensive Art Rock mit uigurischer Volksmusik verbinden. Doch abseits von all diesen kleinen Sehenswürdigkeiten waren die schönsten Eindrücke die zahlreichen Interaktionen mit den Einwohnern der Stadt. Viele Einheimische freuen sich über Touristen und finden es sehr spannend, mal mit einem Menschen aus einem fremden Land zu reden.
Hafiz und ich verbringen den letzten Nachmittag in einem chinesischen Café und reden über Gott und die Welt. Er wird geschäftlich weiter in das Landesinnere reisen, ich fliege zurück nach Almaty.
Insgesamt war es eine sehr interessante und wahrlich einzigartige Reise in das drittgrößte Land der Welt. China macht fast alles auf seine eigene Art und Weise und versorgt sich in vielen Bereichen selbst, was vor allem im Technologiebereich eine Besonderheit ist. Das Land blickt auf eine 5.000 Jahre alte Geschichte zurück, und selbst wenn man als Tourist in einer Stadt wie Ürümqi ständig aufmerksam sein muss, dass man sich angemessen verhält, ist es der Besuch auf jeden Fall wert.