Kasachstan gilt seit 2009 als weltgrößter Förderer und Exporteur von Uran. Billigen Atomstrom soll es in Zukunft auch im eigenen Land geben: Der Bau von drei Atomkraftwerken ist geplant. Die Nichtregierungsorganisation IPPNW engagiert sich gegen nukleare Bedrohung und hielt ihren diesjährigen Weltkongress in der Hauptstadt Astana ab. Zuvor machte sie mit einer spektakulären Fahrradtour durch Kasachstans Steppe auf ihr Anliegen aufmerksam.

Zehn Tage lang in der über 30 Grad heißen Steppe Kasachstans in die Pedale treten – man kann sich angenehmere Ausflüge vorstellen. „Es war heiß. Aber das Gute am Fahrradfahren ist der Fahrtwind. Wir haben die Hitze erst während der Rastpausen bemerkt“, beruhigt Antonia Neuberger. Am 14. August 2014 startete die Medizinstudentin aus Mainz als Teil einer 18-köpfigen Fahrradkolonne in Semej.

Radeln für den Frieden

Das Fahrradfahren war kein reines Freizeitvergnügen, sondern zivilgesellschaftliches Engagement der 24-jährigen. Als Mitglied der Organisation IPPNW (International Physicians for the Prevention of Nuclear War – Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges) nahm sie an der über 1.100 Kilometer langen Fahrradtour durch die kasachische Steppe teil. Unter dem Motto „Cycling for Peace“ machte die Studierendendelegation der IPPNW auf die Gefahren von Atomwaffen aufmerksam. Zehn Tage strampelten die Teilnehmer auf ihren Zweirädern durch das karge Flachland Nordkasachstans. Am Ende kamen alle unversehrt in der kasachischen Hauptstadt Astana an, wo die IPPNW ihren diesjährigen Weltkongress abhielt.

Die Organisation wurde einst von einem sowjetischen und einem amerikanischen Kardiologen auf dem Höhepunkt des kalten Krieges gegründet. Mittlerweile hat sich die ehemalige Ärzteorganisation auch Nicht-Medizinern und der Problematik der Atomenergie im Allgemeinen geöffnet. Sie zählt 150.000 Mitglieder aus 50 Nationen, 8.000 davon kommen aus Deutschland. 1989 wurde sie für sie ihre Arbeit mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Bevor es jedoch zum Radeln in die Wüste ging, unternahmen die Medizinstudenten einen Ausflug nach Semej, ehemals Semipalatinsk. Zu Sowjetzeiten wurden dort jahrzehntelang Atomwaffentests durchgeführt, was der Stadt einen traurigen Bekanntheitsgrad bescherte.
100 Meter tiefe Krater und ein Museum in Kurtschatow erinnern noch daran, dass hier mal im Wochentakt Atompilze in die Höhe schossen, Tier und Mensch versengten und auf unbestimmte Zeit die Umwelt verseuchten. Die kasachische Regierung beschloss 2007, dass es Zeit für ein neues Image sei und benannte die Stadt kurzerhand in Semej um. Unverändert sind jedoch die verheerenden gesundheitlichen Schäden, die bis heute auf die Bewohner der Gegend und ihre Nachkommen nachwirken. Die Opfer sehen sich in der dritten und vierten Generation mit Missbildungen aller Art bei Neugeborenen und gehäuftem Auftreten von bösartigen Erkrankungen konfrontiert. Geblieben ist auch Kasachstans enormes Uranvorkommen, dessen Abbau Kasachstan regelmäßig steigert.

Durch die Steppe bei dreißig Grad. | Bild: Antonia Neuberger

Das internationale Team mit Teilnehmern aus acht verschiedenen Ländern fuhr nicht ohne Polizeieskorte, die in jedem neu betretenen Verwaltungsbezirk ausgetauscht wurde. Sie diente dem Schutz der Delegation. Unterwegs hatten sie reichlich Gelegenheit, die kasachische Gastfreundschaft kennenzulernen. Regelmäßig wurden sie bei ihrer Ankunft in den Dörfern mit Süßigkeiten beworfen – in Kasachstan ist dieses Ritual ein Zeichen der Ehrerbietung. Anschließend wurden traditionelle kasachische Köstlichkeiten wie Beschparmak und Stutenmilch serviert. Letzteres ist aufgrund seiner starken Säure und seines kräftigen Geschmacks für den europäischen Gaumen gewöhnungsbedürftig. „Zu meinen Lieblingsgetränken ist sie definitiv nicht geworden“ kommentiert Antonia Neuberger. Die Zeit zwischen den Pressekonferenzen wurde genutzt, um mit den Kasachstanern über die Risiken und Gefahren von Atomwaffen und Atomenergie zu diskutieren.

Atomwaffen und Atomenergie sind zwei Seiten derselben Medaille

Antonia Neuberger hatte dabei wiederholt den Eindruck, dass Kasachstaner Atomwaffen zwar kategorisch ablehnen, den geplanten Bau der Atomkraftwerke jedoch begrüßen. Häufig äußerten sie die damit verbundenen Vorteile und assoziierten Atomstrom mit der Technologie des Fortschritts. Nicht zuletzt hoffe die Bevölkerung, auch am wirtschaftlichen Erfolg des Landes teilzuhaben, vermutet Neuberger. Welche Gefahren der Uranabbau für Mensch und Umwelt birgt, dessen waren sich die wenigsten der Diskussionsteilnehmer bewusst.

Kasachische Politiker jonglieren mit den gleichen Argumenten wie ehemals deutsche Politiker vor der Katastrophe in Fukushima und der Energiewende: Der Strom sei billig, sauber und die Anlagen sicher. Beim Abbau von Uran ist es jedoch gleichgültig, ob sich dessen Energie zukünftig in einer Bombe entladen oder durch ein Kraftwerk kanalisiert Strom ergeben soll. Die Methoden sind identisch und sie sind alles andere als sauber. Beim Herauslösen des Urans entstehen gewaltige Mengen radioaktiv strahlender Abraum. Für die Weiterverarbeitung des Uranerzes müssen aggressive Chemikalien wie Schwefelsäure, Quecksilber und Arsen verwendet werden. Deren Rückstände kontaminieren Gewässer und Böden zusätzlich. Kasachstan hat bis heute keine Pläne für die Sanierung seiner Rückstände aus dem Uranabbau aus der Sowjetzeit – von den hinzukommenden Abfällen durch den stark steigenden Uranabbau ganz zu schweigen.

Gibt es kasachisches Uran in Deutschland?

Am meisten bewegte es Antonia Neuberger während der Fahrradaktion, wenn sie und die anderen Teilnehmer es schafften, bei den Kasachstanern einen kritischen Denkprozess in Gang zu setzten. Aktuell exportiert Kasachstan über 8.000 Tonnen Uran jährlich, auch in europäische Staaten. Ob auch Deutschland indirekt Uran aus Kasachstan erhält, ist unklar. Die Strukturen im weltweiten Uranhandel sind mehr als undurchsichtig. Die Bundesregierung schweigt sich zu der Frage aus. Sicher ist nur, dass Deutschland bei dem Energieträger zu 100 Prozent importabhängig ist. Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges fand kein Uranabbau in der BRD statt. Lediglich zu Zeiten der DDR wurden bis 1990 noch große Mengen Uran in Sachsen und Thüringen gefördert und exportiert. Über 2.000 Fachkräfte sind heute noch mit der Sanierung des dadurch verursachten Landschaftsschadens beschäftigt.

Nicht aufgeben ist die Devise

Für die IPPNW sieht es manchmal nach einem Kampf wie zwischen David und Goliath aus. Antonia Neuberger lässt sich nicht entmutigen. Zu ihrer Motivation tragen die positiven Erfahrungen in Kasachstan bei. „Man sieht, dass man nicht allein ist. Andere Leute sind auch engagiert und am Brennen. Während der Fahrradtour und der Tagung bekam ich die Versicherung, dass es eine ganze Welt da draußen gibt. Und obwohl wir so unterschiedlich sind, haben wir doch dieselben Ziele und Wünsche.“

Nach der Rückkehr nach Deutschland plant die Medizinstudentin erst mal eine lokale IPPNW-Studierendengruppe in Mainz zu gründen. Vorher geht es jedoch erst mal nach Palästina: Zwei Monate Praktikum im Kinderkrankenhaus „Caritas Baby Hospital“ in Bethlehem.

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Befindet sich auch Deutschland unter den Profiteuren des kasachischen Uranabbaus?

Die IPPNW widmete sich 2010 der Beantwortung der Frage. Bekannt war, dass Deutschland die Energieträger für seine Atomkraftwerke weitgehend von Zwischenhändlern, das heißt Ländern ohne eigene Uranproduktion, bezieht. In der Regel handelt es sich dabei um vorgefertigte Brennstäbe, die eine minimale Weiterverarbeitung in Deutschland erfordern. Ein weiterer Teil der Uranimporte stammt direkt aus den USA – dem zweiten Exportriesen auf dem Markt neben Kasachstan.

Über die Hälfte des in Deutschland verarbeiteten Urans kommt aus Frankreich. Das Nachbarland wiederum bezieht den Brennstoff aus über sieben Ländern, darunter auch dem Niger, einem der ärmsten Länder der Welt. Laut IPPNW-Bericht kamen neun Prozent des französischen Urans aus Kasachstan. Nirgendwo wird dokumentiert, wessen Uran Deutschland nun enthält. Die Grünen und die Linke hakten 2012 nach und stellten eine parlamentarische Anfrage. Das Bundeswirtschaftsministerium antwortete spärlich und kommentierte, eine genauere Angabe über die Herkunft deutschen Urans sei „nicht erforderlich und nicht verfügbar“.

Von Olga Herschel

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