Bei der deutschen Bundestagswahl im September ging auch die türkische Minderheit an die Wahlurnen. Die deutschen Parteien wurden auch anihrer Integrations- und Türkeipolitik gemessen. Unser Autor beschreibt drei Gruppen türkischstämmiger Wähler in Deutschland.

Es ist noch keine lange Zeit vergangen seit der letzten Bundestagswahl in Deutschland am 18. September. Das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPD und CDU/CSU ist durch die Große Koalition mit einem „Unentschieden“ ausgegangen. Daran konnten auch die 219.000 Wahlberechtigten des Wahlkreises Dresden 1 nichts ändern.

Laut des religionswissenschaftlichen Medien- und Informationsdienstes e.V. (REMID) besitzen 732.000 Muslime und Musliminnen den deutschen Pass. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden zudem in den Jahren 1972 bis 2004 insgesamt 666.475 türkstämmige Personen eingebürgert. Folglich könnte daher in naher Zukunft ein Wahlsieg vor allem von der Partizipation der türkischstämmigen Deutschen abhängen und wird daher von den Parteien immer ernster genommen.

Nun steht die neue schwarz-rote Regierung mit ihrer ersten Bundeskanzlerin Angela Merkel. Anders als in der Bundestagswahl 2002 schienen die eingebürgerten Ausländer dieses Mal nicht das Zünglein an der Waage zu sein. Damals brachten die Stimmen der türkischstämmigen Ausländer den entscheidenden Vorsprung für Gerhard Schröders SPD. Jedoch ändert das für zukünftige Wahlkämpfe nichts an der Tatsache, dass ein Wahlkampf von der Partizipation der türkischstämmigen Deutschen abhängen kann.

Wie aber lassen sich die türkischen „Deutschländer“ politisch motivieren, am gesellschaftlichen Prozess mitzuwirken? Die politische Partizipation hängt meistens von der Assimilation bzw. der Integration und damit auch vom Grad der kulturellen Verwurzelung des Herkunftslandes ab. Türkischstämmige Deutsche wählen vorwiegend SPD oder Grüne. Neuerdings gibt es aber den Trend, dass auch CDU und FDP von der türkischen Minderheit bei Wahlen favorisiert werden. Vereinfacht gesagt, gibt es drei Wählerschichten innerhalb der Bevölkerungsgruppe der türkischstämmigen Deutschen.

Drei Wählergruppen Türkischstämmiger

Die Assimilierten haben meist keinen Bezug mehr zu ihren kulturellen, sprachlichen oder religiösen Wurzeln. Sie sehen und fühlen sich als „vollwertige“ Deutsche. Für diese Schicht steht vielmehr die Deutschlandpolitik im Vordergrund. Demnach ist es nicht verwunderlich, dass diese Schicht auch CDU/CSU oder FDP wählt und kein Interesse an Ausländer- und Auslandspolitik zeigt.

Zum anderen gibt es die Integrierten. Integriert kann man in Deutschland in zweierlei Art und Weise sein. Entweder man versucht, eine Brücke von Deutschland in die Türkei zu schlagen oder umgekehrt. Danach entscheidet sich die Frage nach der Staatsbürgerschaft. Somit handelt es sich bei den Integrierten um Personen, die mit beiden Kulturen harmonisch auskommen und diese verbinden können. Ausschlaggebend für diese Wählerschicht ist neben der Deutschlandpolitik vor allem die Ausländerpolitik.

Die aktuelle Diskussion um Einheit oder Vielfalt in Deutschland ist ausschlaggebend dafür, ob sie Deutsche sein können, ohne ihre kulturellen Werte aufgeben zu müssen. Diesen Wählern ist vor allem die Kultur- und Integrationspolitik wichtig, damit sich Deutschland von einer deutschen zu einer „deutschländischen“ Gesellschaft entwickelt. Bei der dritten Wählerschicht ist es etwas schwieriger, da hier die Wahlbeteiligung und der Prozess an politischer Partizipation am geringsten erscheinen. Die Einbürgerung erfolgt in dieser Schicht meistens aus wirtschaftlichen Erwägungen oder der Entscheidung ausländischer Eltern, dass ihre Kinder den deutschen Pass besitzen sollten. Diese Eingebürgerten sind kulturell in ihrer Heimat sehr verwurzelt, und es herrscht unter ihnen sogar eine Mentalität, dass diese Personen als Türken oder Türkinnen sich nicht in „fremde“ Angelegenheiten der Deutschen, wie z.B. die Bundestagswahlen, einzumischen haben und folglich nicht wählen gehen. Paradoxerweise können diese türkstämmigen Deutschen sich auch nicht in ihre „eigenen“ Angelegenheiten einmischen, da sie durch die Einbürgerung das Wahlrecht in der Türkei aufs Spiel gesetzt haben. Hier liegt folglich der besondere Knackpunkt für alle Parteien, diese kulturell verwurzelten „Deutschländer“ zu mobilisieren.

Türkeipolitik der Parteien

Konsequenterweise spielt hierbei nicht die Deutschlandpolitik die große Rolle, sondern die Türken- und Ausländerpolitik und vor allem die Türkeipolitik der Parteien. Die Stimme wird abgegeben nach dem Kriterium: Was ist gut für die Türkei? Und dies zeigt wie sehr Außenpolitik zum festen Bestandteil eines innerstaatlichen Ereignisses werden kann.

Es würde wohl von daher keinen verwundern, dass aus dieser Sicht die SPD und die Grünen mit ihrer Pro-EU-Politik gegenüber der Türkei die besten Chancen hätten, die Stimmen aus dieser Wählerschicht zu bekommen. Diese Wähler fühlten sich zum ersten Mal persönlich angesprochen, und es wäre taktisch von Vorteil, ihnen das Gefühl zu geben, eine große Verantwortung gegenüber der Türkei zu tragen. Dass die türkischstämmigen Deutschen durchaus differenziert zur Wahlurne gehen, hat uns die vergangene Bundestagswahl zu Ungunsten der SPD gezeigt. Denn ausgerechnet im Wahlkreis 84 (Berlin Friedrichshain, Kreuzberg, Prenzlauer Berg-Ost), ein Stadteil mit besonders hohem Ausländeranteil, unterlag der türkischstämmige SPD-Direktkandidat Achmet Iyidirli dem deutschen Grüne/Bündnis 90-Kandidaten Christian Ströbele. Für einen Sitz im Bundestag durch die Zweitstimme hat es dann für Iyidirli doch nicht mehr gereicht, da er zu weit unten auf der Liste der SPD aufgeführt wurde. Diese Tatsache zeigt im Grunde, dass es an der Zeit ist, politisch umzudenken. Denn es ist überdeutlich erkennbar, dass es im Zuge des (erfolgreichen) Integrationsprozesses für Kandidaten mit ausländischen Wurzeln automatisch längst keinen Bonus mehr gibt. Eben auf die Politik kommt es an!

09/12/05

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