Ilja Sokolow aus Kasachstan studiert in Wuppertal Europäistik. Die Frage, was genau Europa eigentlich ausmacht, ist aber auch für ihn schwer zu beantworten. Hat vielleicht jeder Deutsche sein „eigenes Europa“?

Dass Deutschland sowie ganz Europa auch ohne ausländische Studierende multikulturell sind, ist seit langem bekannt. Dennoch machen ausländische Studierende Deutschland noch „bunter“. Dazu leiste auch ich einen Beitrag.

Deutschland hat eine Schlüsselstellung in der Europäischen Union – sowohl auf der Landkarte als auch in der europäischen Politik. Daher bin ich hier in Deutschland im Zentrum des Geschehens – nicht umsonst studiere ich „Europäistik“. Mit dem Masterstudiengang Europäistik an der Bergischen Universität Wuppertal bin ich von Europa direkt betroffen: Ich lerne Fragen der europäischen Integration aus der interdisziplinären Perspektive von Wirtschaft, Recht, Geschichte, Politik und Fremdsprachen kennen. So befinde ich mich zwischen „Europe Studies“ einerseits und dem europäischen Alltag andererseits. Ob ich in Wuppertal außerhalb meines Studienganges etwas von „Europa“ spüre, ist schwierig zu beurteilen, da ich meinen Studienplatz durch eine deutsch-russische Initiative erhielt. Aber ich kann hundertprozentig sicher sagen, dass das Europa, das ich in Kasachstan kannte, in der Wirklichkeit anders ist. Aufgrund der erworbenen Kenntnisse über Europa lässt sich sagen, dass Europa ein in der Welt einzigartiges Projekt ist – sowohl wirtschaftlich als auch politische.

Was sagen aber die hier lebenden Deutschen selbst dazu? Die 21-jährige Iris, die in Wuppertal Politik und Wirtschaft studiert, spürt unterwegs in der Stadt nach eigener Aussage bewusst nichts von Europa – auch wenn es durch den gemeinsamen Binnenmarkt viele Produkte aus dem europäischen Raum gebe. „In der Universität ist schon mehr von Europa zu spüren“, erzählt Iris. „Zum Beispiel durch die vielen Erasmus- und Austauschstudenten. Außerdem liegt in dem Fach Politikwissenschaft an unserer Universität ein Schwerpunkt auf Europa, und dadurch wird man stärker für das Thema sensibilisiert.“ Ob die EU als Vorbild für andere Regionen dienen kann, weiß Iris nicht zu sagen: „Das hängt ja auch von der Region und den Voraussetzungen dort ab. Was man aber sagen kann, ist das seit der Gründung der EU in Europa Frieden herrscht und es keine bewaffneten Konflikte mehr gab. Das ist auf jeden Fall ein Erfolg.“

Für junge Leute vieles selbstverständlich

Der 33-jährige Christian ist Mitarbeiter an der Universität Wuppertal. Seiner Meinung nach erhalten große Errungenschaften der EU wie die Sicherung des Friedens oder die Reisefreiheit nicht mehr die Beachtung, die sie eigentlich verdienten – einfach, weil sie für viele Deutsche, die in den 1980er Jahren oder später geboren wurden, selbstverständlich seien: „Aktuelle Streitigkeiten wie die Euro-Krise trüben die öffentliche Meinung über Europa daher sehr schnell.“ Christian ist der Ansicht, dass die Deutschen sich noch zu wenig mit Europa identifizieren und zu national dächten: „Die Bereitschaft, anderen europäischen Ländern zu helfen, die in einer Gemeinschaft selbstverständlich sein sollte, ist so gut wie nicht vorhanden.“ Stattdessen heiße es: „Warum sollen wir fleißigen Deutschen die Schulden der faulen Griechen bezahlen?“ Das Gebilde „Europa“ hält Christian zwar für einzigartig. Dennoch ist er der Meinung, dass Europa Vorbildcharakter für die Staaten der ehemaligen Sowjetunion besitzt.

Dass die Europäische Gemeinschaft zu einer Friedensgemeinschaft geworden ist, ist höchstens denjenigen Jugendlichen unklar, die sich gar keine Gedanken machen, was „Europa“ in ihr Leben gebracht hat. Ob aber die EU als Vorbild der Kooperation in Zentralasien dienen könnte, bleibt immer noch fraglich. Man kann jedoch deutlich sagen, dass diese „einzigartige“ Kooperation nicht ohne Streitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten sowohl in der Geschichte, als auch in der Gegenwart Europas verläuft.

Von Ilja Sokolow

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