Anton Markschteder ist in Karaganda (Kasachstan) geboren, lebt seit 17 Jahren in Deutschland und studiert Kulturwissenschaften.
/Bild: privat/
Wenn Sie über Deutschland schreiben, begehen Sie nicht den Fehler, das Land in den Mittelpunkt zu setzen. Es ist kein besonderes Land. Kein großer Strom teilt Deutschland in zwei Hälften, kein gewaltiger Bergrücken raubt einem die Sicht und den Atem, keine glühende Wüste fordert einen heraus. Dieses Land ist durch und durch gewöhnlich. Vergeblich sucht man hier grölende Wasserfälle, schlummernde Vulkane oder unberührte Wälder. Dieses Land ist einzig und allein dazu da, um in der Unscheinbarkeit verloren zu gehen, ja, es ist die Unscheinbarkeit selbst. Keine Naturkatastrophe stört dieses scheinbar leblose Land. Weder Feuer, noch Beben suchen diesen Fleck Erde heim und selbst Hunger und Pest machen einen Bogen um ihn.
Machen Sie also nicht den Fehler, deutsche Landschaften zu beschreiben, wenn Sie über Deutschland schreiben wollen. Vergessen Sie auch die Architektur. Ob vergreiste Fachwerkhäuser oder pubertäre Wolkenkratzer – die übrige Welt hält massenweise Interessanteres bereit. Auch der Blick auf deutsche Siedlungen verrät nichts Neues. Die Städte sind schmutzig und die Provinzen verschlafen; und über allen tickt dieselbe Weltzeit. Man wird auch nicht fündig, wenn man der deutschen Musik lauscht. Wenn Sie nicht von Marschmusik besessen sind, wird sie Ihnen vieles schuldig bleiben.
Vergeblich werden Sie auch das typisch Deutsche in der deutschen Kulinarie suchen. Es ist eine Küche ohne Adjektive. Man wird satt, für alles andere gibt es fremdländische Restaurants. Ähnlich verhält es sich mit der Dichtung, Urlaubsgewohnheiten, Diskussionskultur, Verkehrsverhalten, Körperpflege und dem Glauben an das Gute im Menschen. Überall herrscht eine gediegene Reserviertheit, eine emotionslose Sachlichkeit, ein zum Prinzip erhobenes Pflichtbewusstsein.
Wenn Sie also über Deutschland schreiben wollen, muss Ihnen bewusst werden, dass die Deutschen eine sehr nüchterne Beziehung zu ihrer eigenen Umwelt pflegen. Es ist ein Arrangement, eine verlässliche Geschäftsbeziehung zu der eigenen Kultur, in der das Private nichts zu suchen hat. Erst wenn Sie dies verinnerlicht haben, werden Sie begreifen, worüber es sich eigentlich zu schreiben lohnt. Nämlich über den Deutschen an sich.
Das Leben ist ein Fest. Aber nicht für den Deutschen. Für ihn ist das Leben ein Bankett, bei dem das Besteck seinen Platz kennen muss. Und während die anderen Nationen kräftig feiern, vertreibt sich der Deutsche seine Zeit mit Überlegungen, welche Technologie die Eisskulptur vom Schmelzen abbringen könnte.
Ja, fangen Sie damit an. Wenn Sie immer noch über Deutschland schreiben wollen, dann fangen Sie am besten mit der Wut des Deutschen an, nützliche Alltagsgegenstände und Verfahren zu erfinden. Der Deutsche ist dazu da, um aus der Welt einen Mechanismus zu machen. Dabei will, kann und muss er alles richtig machen, was auch immer er anpackt. Ob er ein Picknick plant, eine Familie gründet oder eine Leiche plastiniert – der Deutsche ist immer konstruktiv und pragmatisch. Erst im Vergleich zu ihm offenbart sich die verhängnisvolle Nonchalance der übrigen Erdbewohner. Nein, ein solcher irrationaler Lebensstil ist dem Deutschen fremd. Sein Sinn für die Vernunft ist schon gekränkt, wenn im Zuge einer Revolution eine einzelne Mauer zu Bruch geht.
Um das mysteriöse Wesen des Deutschen zu verstehen, müssen Sie sich in ihn hineinversetzen. Eichen Sie Ihre Uhr, spitzen Sie Ihren Bleistift, ordnen Sie die Gegenstände auf Ihrem Tisch parallel zu den Tischkanten, vergewissern Sie sich, dass Ihr Herd ausgeschaltet ist, dass Sie genug Papier haben und dass Ihr Herz rhythmisch schlägt. Wenn Sie all das erledigt haben – horchen Sie vorsichtig in sich hinein. Spüren Sie es? Spüren Sie die Anwesenheit eines Ihnen fremden Geistes? Nein?
Dann sollten Sie wieder eine bequeme Position einnehmen. Schreiben Sie über Deutschland. Über die Lüneburger Heide, über das Brandenburger Tor, über den Fischmarkt in Hamburg, über das Oktoberfest, über panierte Schnitzel und über die Bayreuther Festspiele. Mit anderen Worten – schreiben Sie über all das, was Deutschland ausmacht…
Anton Markschteder
23/05/08