Eines der Dokumente aus dem Archiv des Präsidenten der Republik Kasachstan enthält eine Geschichte, die schwer zu glauben wäre, wenn man die Zeit und die Umstände nicht kennen würde: Damals kann so etwas nicht geschehen sein. Die Ereignisse sind zwar dokumentiert, aber einige Details sind nicht auf dem Papier festgehalten und daher nur mutmaßlich, was aber nichts am Kern der Sache ändert.
Also, Aktjubinsk, 1947. Bereits im Oktober 1941 kamen Staffeln mit Deportierten, meist Deutschen, in der Region Aktjubinsk an. Im Jahr 1942 wurden Arbeitsmänner der Armee für Bau- und Industrieanlagen hierher gebracht. Nach Kriegsende wurden die Kolonnen der Arbeitsarmee aufgelöst, aber im Januar 1945 wurde den Arbeitsmobilisierten der Status von Sondersiedlern gesetzlich zugesichert und sie wurden der Aufsicht der Kommandantur unterstellt. Augusta Schwarz (nennen wir sie Augusta Schwarz, da ihr richtiger Name hier aus ethischen Gründen nicht genannt wird) gehörte zu dieser Kategorie.
Die Familie Schwarz lebte, wie aus dem Dokument hervorgeht, vor dem Krieg in Leningrad: Vater, Mutter und 13 Kinder. Das Geburtsdatum des ältesten Kindes deutet darauf hin, dass Augusta 1891-1892 geboren wurde. 1939 starb das Familienoberhaupt Otto Schwarz im Dorf Pachta-Aral im Gebiet Südkasachstan, wohin er offenbar nach den Repressionen im „deutschen Fall“ 1937-1938 gegangen war.
Manche Auswanderer wurden reich
Die Kriegszeit zerstreute die Familie. Sohn Hugo, Ingenieur in einem großen Leningrader Werk, wurde während des Krieges vermisst. Sohn Theodor und Tochter Victoria, Leningrader Studenten, verhungerten während der Blockade. Augusta und zehn ihrer Kinder wurden aus Leningrad deportiert und landeten in Kasachstan.
Was in den Kriegsjahren mit ihnen geschah, lässt sich nur in groben Zügen erahnen. Augusta wurde zur Arbeitsarmee gebracht und landete in der Region Aktjubinsk. Nach ihrem Alter zu urteilen, könnten auch die anderen Kinder zur Arbeitsarmee gebracht worden sein. Nur einer, Bruno, wird erwähnt, der nach Karaganda mobilisiert wurde, wo er starb. Im Jahr 1947 lebte Augusta in Aktjubinsk.
Im selben Jahr starb Johann Schwarz, ein enger Verwandter von Otto Schwarz, in den Vereinigten Staaten. Viele Deutsche waren während der Katastrophen des 20. Jahrhunderts aus Russland ausgewandert, und einige hatten es geschafft, reich zu werden. Johann erinnerte sich an seine Verwandten in der Sowjetunion, wusste aber nicht, dass einige von ihnen nicht mehr am Leben waren. Er vermachte allen 15 Mitgliedern der Familie Schwarz 42 Millionen Dollar. Die entsprechenden Dokumente wurden vom Obersten Gerichtshof des Staates New York bestätigt.
Devisengeschäfte gleich Staatsverbrechen
Überraschenderweise wurde Augusta Schwarz bereits im April 1947 im fernen Aktjubinsk gefunden. Eigentlich war der Mechanismus für die Suche nach den Erben schon lange ausgearbeitet worden. Bereits 1937 wurde in der UdSSR unter der Schirmherrschaft des Justizministeriums das Ausländische Rechtskollegium eingerichtet, um den Eintritt sowjetischer Bürger in die Erbrechte nach dem Tod ihrer ausländischen Verwandten zu formalisieren. Gleichzeitig wurde 1937 der Artikel 25 in die Strafgesetzgebung aufgenommen, der Devisengeschäfte mit Staatsvergehen gleichsetzte. Sowjetbürgern war der Besitz von Devisen untersagt, so dass eine Erbschaft, z. B. eine Dollar-Erbschaft, in Rubel-Gegenwert auf das Konto des Erben überwiesen wurde. Der Währungsbetrag selbst ging an den Staat.
Post an Stalin
Es ist schwierig, den „Dollar-Rubel-Kurs“ im Jahr 1947 zu berechnen, aber er lag bei etwa 4 Rubel pro Dollar, was für Augusta Schwarz einen fantastischen Reichtum darstellte. Zu der Zeit, als sie ihr Erbe antrat, gab es im Land ein Kartensystem für Lebensmittel und Industrieerzeugnisse, obwohl man alles auf dem Schwarzmarkt kaufen konnte. Was hat Augusta getan? Am 28. April stellte sie eine Schenkungsurkunde aus, in der sie im Namen ihrer neun Kinder und sich selbst als Familienoberhaupt der sowjetischen Regierung in Person von Stalin 42 Millionen Dollar schenkte.
Sie schrieb: „Ich bitte darum, dass diese Summe für folgende Zwecke verteilt wird:
1. 15 Millionen Dollar für den Wiederaufbau der Volkswirtschaft in den von den Nazis überfallenen Gebieten;
2. 15 Millionen Dollar für die Stärkung der militärischen Macht unseres Mutterlandes, der Sowjetunion;
3. 12 Millionen Dollar für die Unterstützung der Invaliden des Vaterländischen Krieges und der Waisen von Soldaten, die in den Kämpfen gegen die Nazi-Invasoren gefallen sind“.
Ein Exemplar des Dokuments mit dem entsprechenden Vermerk wurde an Stalin persönlich in den Kreml gesandt.
Die Klagen der Nachkommen
Was konnte Augusta, eine deutsche Sondersiedlerin, die der Kommandantur unterstellt war, sonst tun? Ich denke, dass sie sich nicht über ihre Millionenerbschaft freute, sondern Angst vor möglichen neuen Repressionen hatte, die durchaus real waren. In den 1930er Jahren bekämpften die Staatssicherheitsorgane der UdSSR Pakete und Geldtransfers an die Sowjetdeutschen und bezeichneten sie als „faschistische Hilfe“. Wenn Augusta das nicht wusste, müssen die „zuständigen Personen“ sie daran erinnert haben.
Augustas Kinder müssen sich mehr als einmal an die verschwundene goldene Fata Morgana erinnert haben… Sonst hätten sie nicht versucht, die Schenkungsurkunde von 1947 anzufechten, die von ihrer Mutter und auf ihren Namen ausgestellt worden war.
In den 1990er Jahren behaupteten die Geschwister Schwarz, die selbst schon erwachsen waren, dass ihre Mutter eine solche Entscheidung getroffen hatte, als sie schon älter war. Sie verfügten jedoch nur über eine beglaubigte Kopie der Schenkungsurkunde. Weder im Archiv der Region Aktjubinsk noch im Archiv des staatlichen Notariats wurden Unterlagen zu diesem Fall gefunden.
Es wurde vermutet, dass das gesamte Material einst durch das Ministerium für Staatssicherheit der UdSSR geleitet wurde und nicht zugänglich war. Die Familie Schwarz bat darum, diese Tatsache als Ausdruck politischer Repressionen gegen sie anzuerkennen, aber die Archivakte enthält keine entsprechenden Schlussfolgerungen.
Autorin: Tamara Wolkowa, Kandidatin der Geschichtswissenschaften und emeritierte Professorin an der Kasachisch-Deutschen Universität. Übersetzung: Annabel Rosin.