Ein Blick in traurige, desillusionierte, ja sogar resignierte Gesichter zeigt, dass die Euphorie in unserer Zeit längst zum Luxusgut verkommen ist. Aber stimmt das wirklich? Der beste Beweis ist ein Abend voller bunter Überraschungen.

Wir sind auf der Suche nach einem Fabrikgelände. Heute soll dort eine Vernissage stattfinden. Die künstlerische High Society des Landes hat geladen. Komisch, wie die Straßen und Häuser innerhalb einer Stadt so unterschiedlich wirken können. Gerade schlenderten wir noch eine freundliche Allee entlang. Jetzt stehen um uns herum gläserne Hochhäuser, die düster und kalt auf uns herabstarren. Ein paar Bäume versuchen, in dieser Gegend die Illusion lebenswerter Natur aufrecht zu erhalten. Zumindest auf knopfdruckartige Verdrängung hin gelingt es mir, etwas anderes zu sehen in den Ecken und Kanten der Gebilde um mich herum. Ich stelle mir vor, wie ich auf einer geschnörkelten Rutsche von ganz oben in ein riesiges Becken voller Luftballons gleite. Unten wartet ein freundlicher Clown, der mit bemerkenswerter Ausdauer Seifenblasen durch die Gegend pustet.

Dabei ist Bunt doch das neue Grau. Vielleicht ist es aber auch nur das Motto der Kunstausstellung, die wir endlich erreichen. Beim Eintreten der riesigen Halle bleibt uns kurz die Luft weg. Bunte Lichter blitzen, gestriegelte Menschen kommen uns entgegen. Ein Römerkleid ist hellblau, und man kann sich mit einem langen Band darin einwickeln, sodass es für andere total künstlerisch wirkt. Der menschliche Körper, manchmal in modischer Hülle, ist eben auch eine Kunst für sich.

In der Halle müssen die Sinneseindrücke neu sortiert werden. Die Ohren nehmen elektronische Musik wahr. Lachen und Stimmengewirr. Die eine Hand hält das Weinglas, die andere ein Stück ungewöhnlich kalten Apfel. Das sieht wahrscheinlich total elegant aus, denke ich mir in diesem Moment und beiße schließlich ein Stück ab. Meine Begleiterin fließt in die Menge. Ihr gelber, knöchellanger Rock löst in mir ein fröhliches Gefühl aus. Sie ist eine bunte Fledermaus, die mit mir zusammen durch die Ausstellung fliegt. In der Mitte der Halle bleiben wir stehen. Über uns sind Fotos in einem großen Quadrat installiert. Sie zeigen Menschen aus dem ganzen Land. Die Fotosubjekte wirken ärmlich, aber glücklich. Ich drehe mich im Kreis, und die Gesichter dieser Menschen drehen sich mit mir, sodass wir eins sind für einen Moment. Das also ist ein intentionaler Akt! Dann fällt mein Blick auf ein riesiges Stück Mauer, auf dem das verzerrte Gesicht einer stark geschminkten Frau gesprayt ist.

Hier ist die Euphorie

Die Fledermaus und ich ziehen fasziniert weiter zu einer Bühne, auf der eine Band anfängt zu spielen. Triphoppige Klänge wirbeln das Zusammenspiel unserer Wahrnehmungen erneut durcheinander. Die anderen Menschen scheinen wie eine bewegungsunfähige Anordnung von Säulen. Sie eignen sich wunderbar, in kreisenden Bewegungen um sie herumzutanzen. Der Abend und die Stimmung nehmen ihren Lauf. Wir kommen ins Gespräch mit einigen Künstlern. Alle sind sehr herzlich und freuen sich, unsere Meinung zur Ausstellung zu hören. Hier ist die Euphorie. In diesem Moment. Ich hätte gerne ein kleines Marmeladenglas, damit ich genau diesen Moment hineinpacken kann.

Zum Abkühlen zwischendurch gibt es ein Bad in goldenen Kugeln. In einem kleinen schwarzen Würfel endet unser reisender Abend. Durch einen Perlenvorhang gelangen wir ins Innere. Dort finden wir eine plakative Darstellung der Entwicklung des Menschen zum Roboter. Die Künstlerin erklärt ihr selbsterklärendes Werk in Überlänge. Schnell flattern wir zurück in die Nacht. Dort genießen wir in Erinnerung an diesen kaleidoskopischen Abend schwelgend.

Am nächsten Tag wird mir erneut klar, dass die Euphorie in dein Leben springt, wenn du ihr die Tür offen hältst. Den Moment, in dem das passiert, muss jeder individuell erkennen. Ich kann nur sagen: Es ist wundervoll. Also immer hereinspaziert! (MM)

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