In unserem Leben begegnen wir nicht nur gescheiten und starken Menschen, sondern auch Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung. Über die Umsetzung der Inklusion in Usbekistan spricht der Behindertenpädagoge Stephan Kehl im Interview.

In Usbekistan gibt es schon seit 90 Jahren Gesetze gegen die Vernachlässigung von Kindern. Aber sie werden bis jetzt selten angewendet. Der Grund dafür ist, dass Eltern von Kindern ohne Behinderung nicht wollen, dass sich ihre Kinder mit anderen behinderten Kindern austauschen. Dank der Initiative der EU in dem Projekt „Inklusive Bildung für Kinder und Jugendliche mit Behinderung“ wird das gemeinsame Lernen und Leben der Kinder mit und ohne Behinderung usbekistanweit realisiert. Dieses Projekt wird von der EU mit zwei Millionen Euro unterstützt und dauert von 2014 bis 2016. Es verfolgt das Ziel, 150 Kinder mit Behinderung zusammen, vor allem in den Kindergärten und Grundschulen zu unterrichten. Das ist eine erste Umsetzung der inklusiven Bildungspolitik in Usbekistan.

Was Inklusion ist, welche Probleme bei der ihrer Umsetzung auftreten, dass erklärt der Behindertenpädagoge Stephan Kehl im folgenden Interview. Kehl ist 29 Jahre alt und studierte in Köln und Budapest Behindertenpädagogik. Er lebt und arbeitet seit zwei Jahren in Samarkand.

In Usbekistan gibt es seit 90 Jahren Gesetze gegen die Vernachlässigung von Kindern.

Herr Kehl, ein ungewohntes Wort – „Inklusion“! Was verbirgt sich dahinter?

In der Inklusion geht es vor allem darum, dass Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung zusammen lernen, spielen und natürlich auch später als Erwachsene zusammen arbeiten und leben können. Das ist der Grundgedanke der Inklusion. Auch in Europa sind einige Experten der Meinung, dass die Sonderschulen oder Wohnheime für behinderte Menschen – die sogenannte Segregation – besser als Inklusion sind.

Andere wiederum sind der Auffassung, dass alle Kinder zusammen lernen und später zusammen arbeiten sollen, damit die Menschen mit Behinderung nicht in der sozialen Isolation leben. Das versteht man unter Inklusion.

Wie wird die Inklusion von Seiten der Wissenschaft verstanden?

In der Wissenschaft wird Inklusion von dem Begriff „Integration“, „Segregation“ oder „Exklusion“ abgegrenzt. Das heißt, Inklusion will folgendes sagen: Alle Menschen sind verschieden. Egal, ob hinsichtlich ihrer Hautfarbe, ihrer Haarfarbe, ihren körperlichen oder geistigen Eigenschaften. Man hat früher in Deutschland zum Beispiel nicht von Inklusion gesprochen, sondern von Integration. Und jetzt sagt man: Nein, das war falsch.

Warum?

Integration heißt: Hier sind die Normalen, hier die Anderen, das heißt Menschen mit Behinderung. Bei der Integration dürfen die Anderen mit den Normalen zusammen leben, spielen, lernen und arbeiten. Inklusion heißt aber, dass es nicht die Normalen und die Anderen gibt, sondern schon von Anfang an nur Verschiedene. Jeder hat seine Stärken und Schwächen. Jeder hat positive oder weniger positive Seiten. Im Gegensatz zur Integration oder Inklusion gibt es Exklusion. Das heißt, Andere werden ausgeschlossen, sie bleiben zu Hause und sie lernen nicht. Segregation ist zur Zeit noch sehr verbreitet. Das heißt, Kinder und Jugendliche mit Behinderung lernen getrennt von den Anderen. Beispiele hierfür sind die Sonderschulen und Internate.

Welche Besonderheiten haben behinderte Menschen?

Ich kann die Frage nicht eindeutig beantworten, weil die Inklusion sagt: Alle sind besonders. Ich kann nicht sagen, dass ein behinderter Mensch mehr das eine oder andere braucht. Ich würde sagen, alle Menschen haben ihre Stärken und Schwächen. Und bei ihren Schwächen brauchen alle Menschen mehr Unterstützung.

Welche Schwierigkeiten gibt es im Alltag der Inklusion?

Die schwierigste Aufgabe ist, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die Inklusion für alle einen großen Nutzen hat. In der Tat bin ich davon überzeugt, dass nicht nur die Menschen mit Behinderung, sondern alle profitieren können, wenn wir unsere Pädagogik verändern. Das muss man natürlich auch den Eltern mit Kindern ohne Behinderung erklären, weil sie große Angst haben. Zum Beispiel glauben sie, dass ihr Kind in einer Klasse mit Behinderten nichts lernt, weil die Aufmerksamkeit nur den behinderten Kindern geschenkt wird. Deshalb müssen die Wissenschaft und die Befürworter der Inklusion die Gesellschaft davon überzeugen, dass die Inklusion für alle ein großer Gewinn ist. Das gilt sowohl für Europa als auch für Asien, Amerika und natürlich auch für Usbekistan. Fraglich ist sicherlich, was danach mit den Kindern mit Behinderung passiert.

Vielen Dank für dieses Gespäch.

Interview: Turonbek Kozokov

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