Frauen reisen selten alleine durch Kasachstan. Unsere Praktikantin Alexandra Reinig gehört zu denjenigen, die es sich trauen. Sie reist gerne allein und schreibt hier über ihre Erfahrungen und Erlebnisse.
„Wie diese Ausländer unsere Toiletten anschauen und angeekelt das Weite suchen. Sowas gibt’s bei denen in China oder sonstwo halt nicht“, macht sich die Frau, mit der ich mir gerade die Toilette teile, lustig. Zwei Löcher im Boden, getrennt durch einen halben Meter hohe Trennwand, keine Türen. Ich lächle und erkläre, ich sei auch Ausländerin. Woher? Deutschland. Die Kasachin staunt, von wie weit die Reisenden herkommen. Kasachstan ist gewöhnlich nicht das erste Land, in das sich ausländische Frauen verirren. „Nur eine von zehn Reisenden in Kasachstan ist eine Frau“, sagt Alexej Chakimschanow, Manager der kasachischen Tourismusvereinigung.
„Natürlich, wir sind ein muslimisches Land, was viele abschrecken mag. Jedoch wird bei uns Toleranz großgeschrieben“, erklärt Chakimschanow die Situation. Wer sich nicht so leicht abschrecken lässt und ins Unbekannte aufbricht, erhält Einblick in ein faszinierendes Land. Zu dem gehört die muslimische Prägung.
Religiöse Tradition
In meinem Hostel begegne ich einer Mutter (50) mit ihrer 17-jährigen Tochter. Nachdem wir bereits reichlich Schwarztee geteilt und die Stadt zusammen erkundet haben, verkündet die Tochter: „Um acht Uhr gehen wir aus. Später erfährst du, wo es hingeht“. Ich solle mir etwas Langärmliges sowie ein Tuch mitnehmen. Ich komme der Sache auf die Spur: Der Muezzin ruft zum Gebet. Die Sonne geht unter. Die Muslime der Stadt haben sich vor der Moschee versammelt. Ich werde darunter gemischt. Die Frauen beten auf der unsrigen Seite, die Männer auf der anderen. Ich beobachte fasziniert die Zeremonie, die sich an dieser Stelle allabendlich abspielt. Im Monat Ramadan werden im Anschluss Berge an Essen getafelt, an dem sich die Muslime nach einem Tag des Fastens, umsonst satt essen können. Meine Ersatzfamilie stellt sicher, dass ich auch etwas Obst esse. Der Rest wird für zu Hause eingepackt. Es zeigt sich auch die Faszination einer religiösen Tradition, die Frauen davon abschrecken mag, alleine durch das Land zu reisen. Dabei kann gerade, wer als Frau alleine unterwegs ist, einen Einblick in die lokale Kultur gewinnen, der von verbreiteten Vorurteilen abweicht.
Das Leben in Almaty
In Almaty und seiner Umgebung gibt es reichlich Sehenswürdigkeiten für Touristen: Museen, Parks und natürlich die Berge. Reisende können aber auch einfach genießen, entlang der grün-bepflanzten Straßen durch die Stadt zu spazieren und das Leben zu beobachten, das sich um sie herum abspielt. Seit zwei Wochen bin ich alleine rund um Almaty unterwegs. Das heißt, alleine bin ich dabei fast nie. Nur sind es keine Freunde von zuhause, die mich begleiten. Manchmal sind es andere Reisende, meistens aber Einheimische. Sie zeigen mir ihre liebsten Produkte auf dem Basar, unter den deutschen Importwaren im Supermarkt und aus der Schokoladenfabrik. Rings herum duftet es nach Schokolade. Ich tauche ein in das Stadtleben. Dass Almaty so viele Nationalitäten vereint, kommt mir hier zugute. Als Europäerin bin ich auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Im Anschluss an meinen Spaziergang gibt es eine große Menge Tee, wozu kasachische Süßspeisen gereicht werden. Wie diese zubereitet werden, zeigt mir meine kasachische Ersatzmama gleich mit. Dabei werde ich über mein Leben in Deutschland ausgefragt und erfahre im Gegenzug etwas über ihre Träume und Sorgen.
Von und nach Almaty
Vielen anderen weiblichen Reisenden begegne ich nicht in Kasachstan. Dabei gibt es sie. Ihr erster Anlaufpunkt bei ihrer Ankunft in Almaty ist meist ein Hostel, zum Beispiel das Nomad. Dort blättert die Rezeptionistin Asem Schakir im Buch der Gästehausstatistik. In den letzten zwei Monaten checkten 32 alleinreisende Frauen hier ein. Die meisten kommen aus Deutschland und den USA, einige auch aus anderen Ländern Westeuropas und Ostasiens. Sie sind meistens jung, zwischen 23 und 37 Jahren, und unverheiratet. Die meisten bereisen nicht nur Kasachstan. Sie reisen häufig weiter nach Kirgisistan oder Russland. In einer Bar treffe ich auf Pauline, 27, und auch aus Deutschland. Sie überquerte die Grenze von Kirgisistan nach Kasachstan. Auf der kasachischen Seite setzte sie sich in einen der Kleinbusse, um in Richtung Almaty zu fahren. Der Kleinbus geriet in eine Polizeikontrolle. Der Fahrer drehte sich um und erklärte: „Ich bin kein offizielles Taxi. Falls Sie jemand fragt, ich habe Sie einfach irgendwo mitgenommen.“ Da sie die einzige europäische Frau im Minibus und mit einem großen Rucksack bepackt ist, fällt der Blick des Polizeibeamten sofort auf sie. „Ich konnte weder verstehen, warum wir angehalten wurden, noch hätte ich auf Russisch erklären können, was ich hier tue. Falls etwas passiert wäre, hätte niemand gewusst, wo ich bin. Bei dem Gedanke war mir schon etwas unwohl“, erklärte Pauline. Die Kasachin neben ihr hatte zuvor sichergestellt, dass Pauline ihr Wechselgeld bekommt. Jetzt erklärt sie dem Polizeibeamten, alles sei hier in Ordnung. Der Polizeibeamte lässt das Nicht-Taxi weiterfahren. „Es lässt sich nicht vermeiden, dass man in Situation gerät, auf die ein Sprachkurs nicht vorbereitet. Ich konnte jedoch immer auf die Hilfe anderer Frauen zählen. Häufig war es nicht nur Nachteil, sondern auch Vorteil, eine Frau zu sein. Meine männlichen Freunde wurden bei ihrer Reise durch Kasachstan häufiger kontrolliert“, sagt Pauline.
Alleine Reisen
Alleine Reisen kostet Überwindung. Doch wer die Herausforderung annimmt, wird belohnt werden. Ein Land wie Kasachstan hält eine reiche lokale Kultur bereit, in die Alleinreisende leichter hineingeworfen werden. Dabei weiß man nicht immer, wie einem geschieht. Das gehört aber zum Abenteuer. Zu dem gehört es auch, frei zu sein. Wer alleine reist, entscheidet selbst, wohin, wann und mit wem man reisen möchte. Diese Freiheiten sind für Frauen keine Selbstverständlichkeit. Selbst heute verstecken sich hinter der Empörung „Was? Du willst, als Frau alleine durch Kasachstan reisen? Das ist doch viel zu gefährlich!“ Unwissen und Vorurteile über das Land, aber auch darüber, was Frauen alles nicht können.
Nichtdestotrotz sind eine Beschäftigung mit den lokalen Gegebenheiten und gewisse Vorsichtsmaßnahmen unverzichtbar. Wenn ich alleine reise, halte ich mich gewöhnlich an Frauen, setzte mich neben sie im Bus, frage sie nach dem Weg. Manchmal hilft auch ein „Ehering“ weiter, um ungewollten Gesprächen mit Männern aus dem Weg zu gehen. „Besonders wer in ländlichere Regionen reisen möchte, sollte auch Russisch können. In den Städten kommt man aber auch mit Englisch durch“, erklärt Chakimschanow. „Die Hälfte der Reisenden spricht auch Russisch, die andere nur Englisch“. Die Gastfreundlichkeit in Zentralasien ist meist auch ohne Russischkenntnisse zu verstehen. Sie tröstet über manch üble Toilettensituation hinweg.