Beim EU-Frühjahrsgipfel wurde die Reform des Stabilitätspakts gebilligt. Dem freien Dienstleistungsverkehr innerhalb Europas wurde dagegen eine Abfuhr erteilt

Die Pläne für einen schrankenlosen Wettbewerb für Dienstleistungen in Europa sind vom Tisch. Schon zum Beginn des Brüsseler EU-Gipfels machten Bundeskanzler Gerhard Schröder und mehrere andere Staats- und Regierungschefs am 22. März klar, dass die so genannte Bolkestein-Richtlinie von Grund auf überarbeitet wird, um Sozial- und Lohndumping zu verhindern. Die Richtlinie ist Teil eines Wachstumsprogrammes für Europas kränkelnde Wirtschaft bis zum Ende dieses Jahrzehnts, das die Gipfelrunde beschließen wollte.

Die Verabschiedung des Kompromisses für eine Reform des Euro-Stabilitätspakts, den die EU-Finanzminister am 20. März gefunden hatten, galt bei dem Gipfeltreffen als Formsache.

Schröder bekräftigte bei seiner Ankunft in Brüssel die Ablehnung der Dienstleistungs-Richtlinie. „Ich finde, dass der luxemburgische Ratspräsident Jean-Claude Juncker erstklassige Arbeit geleistet hat“, sagte er. Auf die Frage, ob er Junckers Ablehnung der Richtlinie teile, sagte Schröder: „Wir werden ihn in allen Punkten unterstützen. Und wenn ich sage in allen, dann meine ich in allen“.

Juncker sagte, seine Regierung könne der Vorlage so nicht zustimmen. „Alle, die so tun, als ob es keine Änderungen geben würde, vertun sich gewaltig“, sagte Juncker. Die Liberalisierung dürfe nicht zu Lasten der Arbeitnehmer oder kleinerer Betriebe gehen.

Vor allem Schröder und Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac hatten die Debatte über die Bolkestein-Richtlinie ins Rollen gebracht. Chirac fürchtet, dass das Gesetzesvorhaben zur Ablehnung der EU-Verfassung führen könnte. Darüber werden die Franzosen Ende Mai abstimmen. Diplomaten meinten am Rande des Gipfels, man müsse Chirac in der Frage der Dienstleistungsrichtlinie entgegenkommen.

Schwedens Regierungschef Göran Persson ging in seiner Kritik so weit, einen völlig neuen Entwurf der Richtlinie zu fordern. „Wir haben eine neue Kommission, und sie sollte einen neuen Start mit dieser Richtlinie machen“, sagte er. „Der Entwurf ist ein Problem für viele Länder.“ Auch Belgien strebt Änderungen an. Premierminister Guy Verhofstadt forderte, das Bildungs- und Gesundheitswesen nicht den Kräften des freien Marktes zu überlassen.

Kommissionspräsident José Manuel Barroso versprach, seine Behörde werde Nachbesserungen an dem EU-Gesetz zur Öffnung des Dienstleistungsmarktes mittragen. Offen blieb zunächst, ob der Gipfel dabei das Prinzip des Herkunftslandes in Frage stellen würde. Gewerkschafter sehen darin die größte Gefahr für einen Sozialabbau.

Der Entwurf der Richtlinie sieht vor, dass Dienstleister bei grenzüberschreitenden Angeboten weitgehend an die Vorschriften ihres Herkunftslandes gebunden sind. „Man kann nicht die niedrigsten Standards eines Landes nehmen und sie über die gesamte EU ausbreiten“, sagte der Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes, John Monks. Parallel zu den „Chefs“ kamen auch die Außen- und Finanzminister zusammen. Die Außenminister wollten unter anderem über die Reform der Vereinten Nationen beraten. Auf der Tagesordnung der Finanzminister stand die Nominierung des stellvertretenden US-Verteidigungsministers Paul Wolfowitz zum Chef der Weltbank durch die USA. Schröder hatte bereits erklärt, die Bundesregierung wolle dessen Wahl unterstützen. Frankreich hält sich dem Vernehmen nach zurück, weil es die Kandidatur des früheren EU-Handelskommissars Pascal Lamy für den Chefsessel der Welthandelsorganisation WTO nicht erschweren will. (dpa)

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