Unbeantwortet scheint die Frage, wie Europa enger und über eine reine Nachbarschaft hinaus mit den Staaten Kaukasiens und Zentralasiens kooperieren könnte. Ein Hindernis scheint die enge Verflechtung zwischen EU und NATO. Eine Akzentuierung ihrer Aufgaben – bei Teilhabe Russlands – könnte für den Kaukasus und Zentralasien eine stabilitätspolitische Perspektive eröffnen.

Unbeantwortet scheint die Frage, wie Europa enger und über eine reine Nachbarschaft hinaus mit den Staaten Kaukasiens und Zentralasiens kooperieren könnte. Ein Hindernis scheint die enge Verflechtung zwischen EU und NATO. Eine Akzentuierung ihrer Aufgaben – bei Teilhabe Russlands – könnte für den Kaukasus und Zentralasien eine stabilitätspolitische Perspektive eröffnen.

Mit der Europäischen Union (EU) und der Nordatlantischen Allianz (NATO) haben zwei Akteure der internationalen Politik mit geopolitischer Bedeutung ihren Sitz in der Europametropole Brüssel. Beide verschreiben sich auf unterschiedlicher Ebene der internationalen Sicherheit. Die EU strebt eine tief greifende Integration ihrer Mitgliedsstaaten an und sichert so Frieden und Stabilität in Europa. Dies erfordert einen hohen Grad an Gleichklang von Politik und Wirtschaft. Die NATO steht für grundlegende militär- und sicherheitspolitische Kooperation mit ungleich niedrigeren politischen Anforderungen an ihre Mitglieder und über die Grenzen Europas hinaus. Seit dem Fall des Eisernen Vorhanges und dem Ende der klaren Ost-West-Konfrontation richten EU und NATO ihren Blick gen Osten.

EU und NATO vollzogen jüngst umfassende Erweiterungen. Der 2004 erfolgte Beitritt acht mittel- und osteuropäischer Staaten sowie der Mittelmeerinseln Malta und Zypern bedeutete eine beachtliche Ausdehnung der EU. Die Debatte über die geplante Südosterweiterung um Bulgarien und Rumänien oder ein möglicher Beitritt der Türkei oder der Ukraine zeigen deutlich: Die EU scheint an die Grenze ihrer Integrationskraft, die von dem Widerspruch zwischen Erweiterung und Vertiefung geprägt ist, zu stoßen. Denn je größer und heterogener die Zahl der Mitglieder solch eines Integrationsprojektes wird, desto schwieriger gestaltet sich sein Fortgang. Die gar noch von Gorbatschow wiederbelebte Vision einer Einigung Europas von Atlantikküste bis Ural scheint überholt. In der Öffentlichkeit weniger beachtet vollzog das sicherheitspolitische Bündnis NATO nahezu zeitgleich zur EU ebenso eine bedeutende Osterweiterung. Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien wurden Mitglieder. Polen, Tschechien und Ungarn traten bereits 1999 bei. Das transatlantische Bündnis grenzt nun unmittelbar an die Russische Föderation. Erstmals umfasst es sogar ehemalige Teilrepubliken der Sowjetunion. Seitens der NATO musste erhebliche Überzeugungsarbeit im Kreml geleistet werden, obwohl heute keine wirkliche Konfliktlage zwischen NATO und Russland erkennbar ist.

Verschiedenes stabilitätspolitisches Potential in Brüssel

Die EU hat ihre europäische friedenspolitische Dividende nahezu eingelöst. Der Integrations- und Sicherheitsraum EU nimmt Konturen an. Strategien für den kooperativen Umgang mit den Nachbarstaaten und -regionen sind indes noch auszuarbeiten. Dies gilt sowohl im mediterranen Dialog mit Nordafrika als auch für Russland, die Staaten des Kaukasus und Zentralasien. Dennoch stellt sich die Frage, wie Europa enger und über rein nachbarschaftliche Beziehungen hinaus mit den Staaten Kaukasiens und Zentralasiens kooperieren könnte. Zumal sich der postkommunistische Raum hier am deutlichsten in verschiedenen Facetten und Reformstrategien präsentiert und infolgedessen eine besondere sicherheitspolitische Herausforderung darstellt. In Kaukasien und Zentralasien reicht das Spektrum von gestoppten oder gescheiterten Tranformationen mit strukturellen Problemen bis zu partieller oder verzögerter hoffnungsvoller Liberalisierung.

Eine Kooperationsperspektive könnte der zweite Akteur der internationalen Politik mit Sitz in Brüssel anbieten: Die NATO. Sie ist kein rein europäisches, sondern ein transatlantisches Bündnis. Sie könnte gemäß ihrem Selbstverständnis auch in von Europa entfernten Regionen Flagge zeigen. Je nach politischem Klima und Konfliktlage lässt das NATO-Hauptquartier mehr oder weniger deutlich verlauten, dass die Vergrößerung der Allianz keineswegs abgeschlossen sei. Im Rahmen des seit Mitte der 1990er bestehenden Programms „Partnerschaft für Frieden“ bestehen lose Kooperationen mit fast 30 Staaten. Darunter Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgisistan, Moldau, Tadschikistan, Turkmenistan oder Usbekistan. Als mögliche NATO-Neumitglieder werden derzeit Albanien oder Kroatien gehandelt, über einen Beitritt der Ukraine oder Georgiens wird schon fleißig diskutiert.

Institutionalisierte Dialogformen

Seit 2002 arbeiten das Brüsseler Hauptquartier und der Kreml im NATO-Russland-Rat (NRR) eng zusammen. Sicherheitspolitische Fragen sollen gemeinsam beantwortet werden. NATO und Russland führen einen breit angelegten politischen Dialog. Es werden Positionen in Bezug auf die Irakfrage, die sicherheitspolitische Lage in Georgien, Usbekistan oder andere sensitive Fragen diskutiert. Genauso wie Russland will das Sicherheitsbündnis die Ukraine an euro-atlantische Strukturen heranführen. Auf dem NATO-Gipfel 2004 in Istanbul wurde mit Robert Simmons sogar erstmals offiziell ein Sonderbeauftragter für die Region Kaukasien und Zentralasien benannt. Die Staats- und Regierungschefs erklärten Kaukasien und Zentralasien zu regionalen Schwerpunkten des NATO-Partnerschaftsprogramms. Durch Entsendung je eines Verbindungsoffiziers soll die Präsenz vor Ort gestärkt werden. Ein Selbstverständnis, dass die NATO auf einer Konferenz unter dem Titel: „Neue Aufgaben und Herausforderungen“ im Juli dieses Jahres verdeutlichte.

Der amtierende NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer betonte, dass das Verhältnis zu Russland weiter ausgebaut werden müsse. Aber „nicht nur Europa und Nordamerika müssen ihre Kooperation ausbauen. Wir werden ebenso enger mit anderen Akteuren in anderen Teilen der Welt zusammenarbeiten müssen. Wir müssen neue Bindungen in den Kaukasus und nach Zentralasien knüpfen, da diese Regionen gewaltige sicherheitspoltische Herausforderungen zu bewältigen haben  und die NATO einiges zu bieten habe“, so de Hoop Scheffer. Mit der letzten Erweiterung und seinen bestehenden Kooperationen sendete das Militärbündnis ein strategisches Signal. Die NATO versteht sich durchaus als politischer Akteur mit Selbstbewusstsein. Das Brüsseler Sicherheitsbündnis bekennt sich zu Verantwortung für Frieden, Friedenssicherung und Krisenbewältigung jenseits der Grenzen der EU und in von der Europametropole entfernten Gebieten.

Eine Kooperation im Rahmen der Partnerschaft für Frieden ist keine Einbahnstraße in Richtung NATO-Vollmitgliedschaft. Dennoch bietet sie für die Republiken Kaukasiens und Zentralasiens eine stabilitätspolitische Perspektive. Eine NATO-Mitgliedschaft scheint für diese Staaten möglich – auch für Russland, wo schon eine EU-Perspektive schwerlich vorstellbar ist. Zumal der Beitritt zum transatlantischen Sicherheits- und Militärbündnis durchaus integrationspolitische Attraktivität und Signalfunktion hat. Er ist Test für die Fähigkeit eines Landes, eng mit der internationalen Staatengemeinschaft zu kooperieren.

Die NATO als Vorbote der EU?

Für viele Staaten war und ist die NATO ein Vorhof zur engeren internationalen Anbindung und zur Bindung an Europa; gar zur EU-Mitgliedschaft. Obwohl beide Mitgliedschaften  vordergründig nichts miteinander zu tun haben. Durch die Entwicklungen der letzten Jahre drängt sich dennoch leicht der Eindruck auf, dass hier eine Korrelation und Kausalität bestünde. Musterbeispiele sind Polen, Tschechien, Ungarn oder Bulgarien und Rumänien. Zumal die langjährige NATO-Mitgliedschaft der Türkei sicherlich die EU-Ambitionen am Bosporus bestärkt hat. Der NATO-Generalsekretär betonte während der Zeremonien der letzten Osterweiterungsrunde des Militärbündnisses, dass er in allen Beitrittsländern das Gefühl habe, dass die Menschen sich als Heimkehrer fühlen würden. Dies klingt wie eine integrationspolitische und nicht wie eine nüchterne sicherheitspolitische Argumentation. Die Worte des Generalsekretärs zeigen die Crux der derzeitigen Brüsseler Arbeitsteilung zwischen EU und NATO, die abgesehen von den USA fast gleiche Mitglieder- und Kandidatenkreise umfassen. Die Aufgabenbereiche beider Institutionen erwecken den Eindruck, wenig scharf voneinander abgegrenzt zu sein.

Eine weitere Ausdehnung der NATO nach Osten, nach Kaukasien oder gar nach Zentralasien unter der derzeitigen Konstellation wird auf Widerstände Moskaus treffen. Der Kreml verfolgt selber handfeste integrationspolitische eurasische Interessen. Während das zukünftige Verhältnis NATO-Russland und des gemeinsamen Rates noch ungeklärt scheint. Wenn Europa Russland, Kaukasien und Zentralasien in verlässliche eurasische und internationale Beziehungsstrukturen einbeziehen will, wäre dies über eine NATO als akzentuiertes Sicherheits- und Verteidigungsbündnis mit grundlegenden Kooperations- und Interaktionsabsichten möglich – getrennt von der EU als tief greifendem Integrationskonzept.

Solch schärfere Akzentuierung beider Institutionen erscheint vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen in Zentralasien angebracht. Der Bilateralismus der USA ruft hier national und international Ressentiments hervor. Eine multilaterale, transatlantische NATO, die eng mit Russland kooperiert, könnte im Kaukasus und Zentralasien mehr Wirkung entfalten. Die derzeit zu beobachtende Vermengung von Sicherheit und Integration führt indes zu einer Ausgrenzung Russlands, Kaukasiens und Zentralasiens. Ein Vakuum, das bilaterale Interessenverfolgung in der Region, egal welcher Couleur, begünstigt und multilaterale Lösungsansätze verhindert.

Diskrepanz zwischen Wollen und Können in Brüssel

Um selbstgesetzten Ansprüchen an ihre Handlungsfähigkeit gerecht zu werden, sollten EU und NATO deutlicher verschiedene Positionen beziehen. Die EU sollte aus schärferer integrationspolitischer Perspektive, die hohe politische Anforderungen an einen begrenzen Kreis von Mitgliedsstaaten stellt, gen Osten blicken. Die NATO sollte aus einer unschärferen sicherheitspolitischen Perspektive, die weniger hohe Anforderungen an einen weiteren Kreis potenzieller Mitgliedsstaaten stellt, gen Osten und Zentralasien schauen. So erscheinen Kooperationsstrukturen möglich, die allen Beteiligten Vorteile versprechen und dem Anspruch der NATO gerecht würden, Kaukasien und Zentralasien eine sicherheitspolitische Perspektive zu bieten. Gerade auch einem Land wie Kasachstan, dass de jure über keine verlässlichen internationalen Garantien und zwei ambitionierte große Nachbarn verfügt.  China hat beispielweise nur an der gemeinsamen Grenze dreimal mehr Soldaten stehen als die gesamte kasachstanische Armee umfasst. (Mehr zur Debatte über die Zukunft der europäischen Sicherheitspolitik unter: www.swp-berlin.org

16/09/05

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